Kaum hatten die Attentäter nach dem Blutbad auf der Redaktion der Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» ihr Fluchtfahrzeug bestiegen, rollte eine gigantische Nachrichtenwelle an, die in kürzester Zeit das Internet geradezu flutete. Und noch bevor bekannt war, was genau sich im 11. Arrondissement der französischen Hauptstadt abgespielt hatte, wussten die ersten Analytiker schon Bescheid.
Bald tauchten dann auch die ersten «Ungereimtheiten» auf – Nahrung für all die Verschwörungstheoretiker, die hinter jedem Geschehen eine versteckte Wahrheit wittern. Dieser wird mitunter auch ein bisschen nachgeholfen, wenn es sein muss: Auf einer täuschend echt aussehenden BBC-Seite und einem gefälschten BBC-Youtube-Kanal verbreite, es gebe Zweifel an der Echtheit des Videos, das die kaltblütige Ermordung des Polizisten Ahmed Merabet zeigt. te eine u nbekannte Täterschaft die Nachricht
Der Artikel auf der gefälschten BBC-Seite, die mittlerweile nicht mehr online ist, sollte der Behauptung einen seriösen Anstrich verleihen, es habe sich bei dem Anschlag um eine verdeckte Operation westlicher Geheimdienste gehandelt.
Das Massaker in Paris als False-Flag -Operation – das ist eine beliebte Verschwörungstheorie. Und nicht die einzige. Hier eine Übersicht über die wichtigsten «Ungereimtheiten» und Behauptungen, die zu den Vorgängen um «Charlie Hebdo» kursieren:
Das zuvor erwähnte Video der Ermordung des wehrlosen Polizisten, das im BBC-Fake als Fälschung dargestellt wurde, dient anderen als Beweis dafür, dass der Anschlag nicht so ablief, wie die offizielle Version lautet. Der Autor Freeman zum Beispiel argumentiert auf dem Blog «Alles Schall und Rauch», es sei keine Verletzung und kein Blut zu sehen; der Schuss sei danebengegangen.
Auch die Tatsache, dass Youtube das Video immer wieder löscht, weil es gegen die «Richtlinie zu schockierenden und abstossenden Inhalten verstösst», ist für den Blogger ein Beweis dafür, dass Medien und Behörden lügen. Andere vermuten ein Komplott, weil die Rückspiegel des Fluchtfahrzeugs mal weiss, auf anderen Bildern aber dunkel erscheinen.
Im Fluchtwagen fand die Polizei den Ausweis von Said Kouachi, einem der beiden Attentäter. Ken Jebsen, einen ehemaligen deutschen Radiomoderator, der extrem anti-israelische und verschwörungstheoretische Positionen vertritt, erinnert dies an die Anschläge vom 11. September 2001: «Ähnlich wie bei 9/11 hatte die Polizei wieder echtes Glück. Einer der Attentäter verlor seinen Ausweis! Diesmal im Fluchtwagen! Wer nimmt seinen Personalausweis mit, wenn er plant Menschen im grossen Stil zu erschiessen?»
Kein Terroranschlag, ohne dass jemand den amerikanischen Geheimdienst CIA am Werk sieht. Manche vermuten eine Strafaktion der Amerikaner, weil der französische Präsident François Hollande keine schärferen Sanktionen gegen Russland ergreifen wollte.
Für andere ist klar, dass die CIA generell den Hass auf den Islam schüren will, um neuen militärischen Interventionen im Nahen Osten den Boden zu bereiten.
Der israelische Geheimdienst ist eine unverzichtbare Zutat für zahllose Verschwörungstheorien. So auch hier: Der lange Arm Israels habe diese False-Flag-Operation inszeniert, so glauben einige, um Frankreich für die Anerkennung Palästinas abzustrafen.
Für #CharlieHebdo, wie für Syrien und ISIS könnt ihr euch bei #Israel bedanken
http://t.co/bWD4XlDiNc
— Soner Oğuz (@soneroguz85) 9. Januar 2015
«Cui bono?» – «Wem nützt es?», fragen die Verschwörungstheoretiker, die glauben, hinter dem Anschlag stecke der rechtspopulistische Front National. Das Gemetzel, so die Überlegung, heize die islamkritische Stimmung in Frankreich an und verschaffe so Marine Le Pen und ihrer Partei wertvolle Wählerstimmen.
Andere weisen auf die Tatsache hin, dass der Anschlag auf «Charlie Hebdo» praktisch zeitgleich mit dem Erscheinen von Michel Houellebecqs islamkritischen Roman «Soumission» («Unterwerfung») erfolgte. Kein Zufall, sondern möglicherweise Ergebnis einer «gesteuerten Agenda» rechtskonservativer Kreise.
Aber vielleicht war es ganz etwas anderes. Oder wie soll man diesen Tweet verstehen, der Ungeheuerliches insinuiert?
also: #CharlieHebdo stand kurz vor der pleite, und nun nach den anschlägen nicht mehr, .... ein schelm wer .....
— django (@cherubimu) 14. Januar 2015