Vor dem Abstimmungssonntag am 9. Februar heisst es erneut: die SVP gegen den Rest. Mit dem Motto «Masseneinwanderung stoppen!» startete die Rechtspartei im Vorfeld der Nationalratswahlen 2011 ihre Kampagne. Die Plakat-Offensive machte aufmerksam auf die bereits im Sommer zuvor lancierte Initiative «Gegen die Masseneinwanderung». Die alles niedertrampelnden Schuhe waren in den Medien und im öffentlichen Raum kaum zu übersehen. Die Kampagne mit den martialischen Bildern sorgte selbst in Deutschland für Aufsehen. Die ARD traf damals den Luzerner Jung-SVP-Politiker Anian Liebrand und liess sich die Initiative erklären.
Schon 2011 äusserten sich Wirtschaftskreise wenig begeistert zu der Initiative, welche zugunsten der Personenfreizügigkeit zum alten System der Kontingente für Ausländer zurückkehren möchte. Bei Annahme der Initiative seien die bilateralen Verträge mit der EU in Gefahr, warnen viele Gegner. Die Economiesuisse engagiert sich deshalb entschieden gegen die SVP-Initiative. Mit dem Slogan «Nein zur Abschottungs-Initiative!» mischt der Wirtschaftsdachverband engagiert im Abstimmungskampf mit. Ob über Online-Games, Kurznachrichten oder mit YouTube-Videos: Das Nein-Komitee schiesst auf mehreren Kanälen gegen das SVP-Prestige-Projekt.
Wirtschaft lehnt #SVP-Initiative «gegen #Masseneinwanderung» geschlossen ab http://t.co/ChSSIBz7
— economiesuisse (@economiesuisse) 14. Februar 2012
Thomas Minder, parteiloser Vater der Abzocker-Initiative und SVP-Fraktionsmitglied, gebärdet sich auf dem YouTube-Kanal der SVP als Wirtschaftsschreck. Es könne nicht sein, «dass alles der Wirtschaft untergeordnet wird». Sollte die Nettoeinwanderung wie bisher weitergehen, befürchtet Minder einen Druck auf Löhne, Luft und Landschaft: «Die Leute kommen wegen den hohen Löhnen in die Schweiz - und nicht wegen meiner blauen Augen. Und das ist ein No-Go.» Am meisten fürchtet er, dass arbeitslose Einwanderer das Land nicht verlassen müssten.
Auf dem YouTube-Kanal der Gegner, die mit dem Slogan «Bilaterale abholzen» werben, kommen hauptsächlich Parteipräsidentinnen und -chefs zu Wort. CVP-Präsident Christophe Darbellay sieht zwar gewisse Probleme bei der Personenfreizügigkeit. Er lehnt den SVP-Vorschlag aber pointiert ab: «Diese Initiative ist ein Medikament, das den Patienten töten würde.» Laut EVP-Vize Marianne Streiff würde der Fachkräftemangel durch ein Ja an der Urne noch verschärft. Stellvertretend für das überparteiliche Nein-Komitee sprechen die Präsidenten von BDP (Martin Landolt) und GLP (Martin Bäumle). Sie sehen beide bei Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative den bilateralen Weg in Gefahr.
Eine erstaunliche Entwicklung beim Einwanderungs-Thema hat der FDP-Präsident Philipp Müller vollzogen. Im Jahr 2000 war seine restriktive 18%-Initiative, die den Ausländeranteil auf diese Quote beschränken wollte, noch deutlich an der Urne gescheitert. Heute argumentiert Müller, dass nicht alle Einwanderer in einen Topf geworfen werden sollten. Man müsse den Hebel gezielt ansetzen bei Leuten, die nicht zum Arbeiten in der Schweiz seien. Müllers Fazit: «Die SVP-Initiative ist abzulehnen.»
Die SP führt diesmal eine separate Gegenkampagne, weil sie ihre Zustimmung zur Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf weitere EU-Staaten von flankierenden Massnahmen abhängig macht. Die Ausländer müssten bei der SVP als Sündenbock für die Verfehlungen der Schweizer Politik herhalten, heisst es in einer Medienmitteilung.
Aus dem linken Parteienspektrum meldet sich auf YouTube einzig die Vizepräsidentin der Grünen, Adèle Thorens, zu Wort. Zwar sieht auch sie Lohndumping aufgrund der Personenfreizügigkeit als Problem. Die SVP-Initiative sei dafür aber die falsche Lösung und verursache im Gegenteil sogar neue Probleme.
Christoph Blocher schwelgt auf YouTube in Erinnerungen und vergleicht die Initiative «gegen die Masseneinwanderung» mit seinem Kampf gegen die EWR-Abstimmung 1992. Wirtschafts- und Politikeliten hätten sich bereits damals geirrt. So sei es ebenfalls bei der Einführung der Personenfreizügigkeit gewesen. Der Vordenker der SVP findet: «Wer nicht in die EU will, kann nicht für dieses System sein.»
SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz relativiert in seiner Online-Ansprache. Die Initiative wolle eine «massvolle» Begrenzung und keine Abschottung. Unternehmer könnten weiterhin Leute im Ausland rekrutieren, «aber nicht mehr in der Grössenordnung der Stadt Luzern, wie das heute der Fall ist».
Abseits der etablierten Politik findet man Initiativgegner im Internet hauptsächlich in Künstlerkreisen. Zu erwähnen ist dabei die GomS, die Gesellschaft für eine offene & moderne Schweiz. Sie mischt mit Künstler-Videos und ihrem Event «Rap vs. SVP» im Abstimmungskampf an vorderster Front mit.
Filmisch umgesetzt haben das Thema Migration und Abschottung auch Fanny und Laura de Weck. «1,2, Discobei» animiert, wenn nicht zum Abstimmen und Nachdenken, so doch bestimmt zum Tanzen.
GomS liess im Anschluss an ihren Event diverse bekannte Künstler über Masseneinwanderung und Abschottung zu Wort kommen. Die Highlights:
Steff La Cheffe betrachtet sich in erster Linie als Mensch und nicht als Schweizerin. Dazu nennt sie drei Punkte, die gegen die Kündigung der Personenfreizügigkeit sprechen. Stress sagt: «Wir wohnen seit Generationen in einem multikulturellen Land. Ausländer haben dieses Land genauso gebaut wie die Schweizer.» Ebenfalls ein Statement gibt Knackeboul ab: Der Moderator will ein Land, das sich um Probleme kümmert. Er wünsche sich eine Schweiz, die «Initiativen voller Vorurteile» nicht annehme.
Eher abseitige und absurde Beiträge sind ebenfalls zu finden: Manuel Diener präsentiert auf seinem YouTube-Kanal ein verwirrendes Spoken-Word-Schauspiel, wo es zwischen den Zeilen um die Masseneinwanderung geht und wo sich Weihnachtsmann und Christkind battlen.
Natürlich gibt es auf YouTube auch seriöse Abstimmungsinformationen. Der Verein easyvote informiert junge Leute ausgewogen, kurz und bündig über die wichtigsten Argumente für und gegen die Initiative.
Auf Facebook tummelt sich ein anonymer T-Rex, der sich mit nicht ganz ernst gemeinten Vorschlägen gegen die SVP-Initiative stellt. Er hat «blöde Ideen» für die Schweiz wie diese: «Ein T-Rex muss in jeden Schweizer Vorgarten!»