In der (menschlichen) Erinnerung ist alles nur halb so schlimm. Oder sogar noch besser.
Wo lag überhaupt das Problem?
Nun, liebe Redmond-Fans, wir müssen reden:
Gemeint ist nicht die neue Hardware. Da brilliert der US-Konzern oder liefert zumindest solide Upgrades.
Gemeint ist Windows 10.
Die User eines anderen Systems oder von Uralt-Windows konnten sich dieses Jahr ins Fäustchen lachen. Und aus sicherer Distanz beobachten, wie die neueren Microsoft-Maschinen ein ums andere Mal ins Schleudern gerieten.
The Verge erinnert an die schlimmsten Update-Turbulenzen im ersten Halbjahr 2018:
Es sollte nicht besser kommen in der zweiten Jahreshälfte. Der vergangene Monat sei für Microsoft «ein Desaster» gewesen, kommentiert die «Süddeutsche Zeitung»:
Randnotiz: Die IT-Probleme, die am Mittwoch den Schweizer Bahnverkehr massiv beeinträchtigten, gehen nicht auf ein Windows-10-Update zurück. Dies könne als Ursache ausgeschlossen werden, sagte ein SBB-Sprecher.
An dieser Stelle gilt in Erinnerung zu rufen, dass Microsoft alle sechs Monate ein grosses Update für Windows 10 veröffentlichen will. 2018 wurden beide verhauen.
Ergänzt werden die System-Updates durch regelmässige monatliche Sicherheitsupdates am Patch Tuesday. Doch auch da habe es grössere Pannen gegeben, erinnert die «Süddeutsche Zeitung». «Programme starten nicht mehr, inkompatible Treiber machen Teile der Hardware unbrauchbar, teilweise muss das ganze System neu aufgesetzt werden.»
Ende Juli dieses Jahres schrieb die renommierte unabhängige Software-Expertin Susan Bradley einen offenen Brief an den Microsoft-Chef Satya Nadella. Ihr alarmierender Befund, der ausgerechnet zum Jubiläum von Windows 10 kam:
Dreieinhalb Monate – und weitere Update-Pannen später – kündigt Microsoft über einen hochrangigen Manager an, dass vieles besser werde. Im Firmenblog schreibt Michael Fortin, der für die Windows-Sparte zuständig ist:
Gleichzeitig versucht das Unternehmen zu beschwichtigen. Die Update-Probleme werden kleingeredet und es wird gesagt, dass relativ wenig Kunden betroffen waren.
Microsofts Problem sei nicht die Häufigkeit, mit der der Konzern Windows-Updates veröffentliche, titelte der renommierte Tech-Blog Ars Technica im Oktober.
Kurz gesagt: Die Ursachen seien vielschichtig und lägen nicht bei den kürzeren Veröffentlichungszeiträumen, sondern bei einer verbesserungswürdigen Fehlerkultur.
Die Schwierigkeiten hätten sich im Zuge des modernisierten Windows-Entwicklungsprozesses verstärkt: Seit ein paar Jahren verfolge Microsoft bei seiner Software die Geschäftsstrategie: Windows as a Service. Das Unternehmen wollte so besser auf Kunden- und Marktbedürfnisse eingehen und den Usern verbesserte neue Funktionen früher bieten.
Oft werde nicht oder kaum getesteter Programmcode in Windows implementiert, kritisierte Ars Technica. Es bleibe wenig Zeit, um Fehler zu erkennen und zu beseitigen.
Windows laufe auf Hunderttausenden unterschiedlichen Notebooks und Desktop-PCs von Tausenden Herstellern mit jeweils eigenen Treibern, fasst die «Süddeutsche Zeitung» die schwierige Ausgangslage zusammen. «Es gibt nahezu unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten, und es ist unmöglich, jede denkbare Variante vorab durchzuspielen.»
Zudem habe Microsoft vor vier Jahren einen Teil seiner professionellen Tester entlassen, die genau für solche Qualitätskontrollen (vor Veröffentlichung) zuständig waren.
Mit Windows 10 setzt Microsoft zudem vermehrt auf Kunden als Versuchskaninchen, wie es auch Apple tut (dazu gleich mehr). Wobei aber in erster Linie die unabhängigen Entwickler gefordert sind, Fehler frühzeitig zu melden.
Zwar erhalten sogenannte Windows-Insider die Updates vorab und testen sie, bevor sie für die Hunderten Millionen «normalen» Windows-10-Nutzer freigegeben werden: Doch seien mehr als zehn Millionen freiwillige Betatester offenbar nicht genug, kommentiert die «Süddeutsche».
Windows-Chef Michael Fortin lobt in seinem aktuellen Blog-Beitrag die bisherigen Qualitätskontrollen und verrät nicht, was das Unternehmen besser machen will.
Eine Reihe von Blog-Posts und eine verbesserte Kommunikation sei ein Anfang, kommentiert The Verge. Aber es gebe noch mehr zu tun, um Windows 10 selbst aufzupolieren. Es klinge so, als wäre sich Microsoft bewusst, dass es nicht alle sechs Monate grosse neue Funktionen einbinden müsse und sich stattdessen lieber auf die Verbesserung einiger der bereits vorhandenen Funktionen konzentriere.
Tatsächlich hat sich Microsoft mit zwei grossen Windows-Updates pro Jahr mehr aufgeladen als manche Konkurrenten: Apple bringt traditionell im Herbst eine neue Software-Generation für Mobilgeräte und übrige Computer heraus. Bei Android gibts ebenfalls ein grosses Update pro Jahr.
Ars Technica hält mit Blick auf Linux fest, dass es auch schneller funktionieren könne: Ubuntu sehe zwei Veröffentlichungen pro Jahr vor, und Googles Chrome OS, wie sein Chrome-Browser, erhalte alle sechs Wochen Updates.
Und auch Microsoft-intern gebe es über den Betriebssystem-Bereich hinaus durchaus Abteilungen, die mehrere Software-Updates pro Jahr problemlos schaffen: So habe etwa das Office-Insider-Programm einen monatlichen Kanal, der den Office-Benutzern jeden Monat neue Funktionen zur Verfügung stelle, ohne zu viele Beschwerden zu generieren.
Bei Windows stellt sich Microsoft nun offenbar auf den Standpunkt, dass vor allem Profi-User eigenhändig System-Updates anstossen sollten. Das Techportal Neowin kritisiert diese Darstellung in einem Leitartikel scharf: Wenn nun gesagt werde, dass jeder, der aktiv nach Updates suche, ein «fortgeschrittener Benutzer» sei, stimme dies nicht:
Es sei wahrscheinlich am besten, sich von der automatischen Software-Aktualisierung fernzuhalten. Updates, die der Computer benötige, könnte man ja manuell installieren.
Die grosse Gefahr: Wenn User Update-müde werden, bleiben selbst bedrohliche Sicherheitslücken (zu) lange offen.
Wer die Pro-Version von Windows 10 besitze, könne Software-Aktualisierungen eine Zeit lang verzögern, hält die «Süddeutsche Zeitung» fest. Dazu gilt es, System-Einstellungen zu ändern (> «Update und Sicherheit» > «Erweiterte Einstellungen»).
Mit der Home-Version von Windows 10, die auf den meisten Rechnern vorinstalliert sei, falle dies deutlich schwerer. Man müsse Einträge in der Registrierungsdatenbank («Registry») ändern, das Netzwerk «als getaktete Verbindung» festlegen oder auf Programme von Drittherstellern zurückgreifen. Dies alles sei nur erfahrenen Usern zu empfehlen.
Was normale User tun sollten:
Bleibt angesichts von Microsofts 2018er Update-Desaster an die Parallelen zum Rivalen Apple zu erinnern.
Der iPhone- und Mac-Hersteller hatte ebenfalls öffentliche Software-Testprogramme lanciert: 2014 für macOS (OS X Yosemite), 2015 dann für iOS (ab iOS 8.3). Dies, nachdem die Einführung von iOS 8 holprig verlaufen war (und das Update auf iOS 8.0.1 zurückgezogen werden musste).
Bei iOS 9 wollte sich Apple auf die Zuverlässigkeit konzentrieren und dafür auf neue Funktionen verzichten. Das schien auch zu gelingen, bis zwei Jahre später iOS 11 folgte.
2017 ging erneut als Software-Krisenjahr in die Geschichte ein. Beim Mac-Betriebssystem (macOS High Sierra) und bei iPhones und iPads wurden zum Teil bedenkliche Schwachstellen und Sicherheitslücken publik. Der Hersteller zog erneut die Konsequenzen und kündigte an, bei der nächsten Software-Generation vor allem auf Stabilität zu setzen.
Das im Herbst veröffentlichte mobile System iOS 12, wie auch macOS X Mojave, hat dieses Versprechen bislang – abgesehen von kleineren Schwierigkeiten – gehalten. Davon profitieren insbesondere auch die Besitzer von älteren Geräten, weil diese nun wieder etwas schneller laufen.
Wenn der Ärger über verpatzte Updates auch in der Firmenzentrale in Redmond endlich ernstgenommen wird, können auch Microsoft-Kunden auf ein ruhiges 2019 hoffen.