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App hilft gegen Menstruations-Beschwerden und macht besser im Sport

United States' players from left, Megan Rapinoe, Alex Morgan, and Rose Lavelle warm up during a training session at the Gymnase Parc des Sports in Limonest, outside Lyon, France, a day before the ...
Die siegreichen US-Fussballerinnen beim Dehnen. Die Ernährung und das Trainingssystem waren auf den Menstruations-Zyklus der Athletinnen zugeschnitten.Bild: AP

Wie eine Zyklus-App den US-Frauen half, die Fussball-WM zu gewinnen

Der weibliche Zyklus hat massiven Einfluss auf die Leistungsfähigkeit. Doch Sportlerinnen wissen sich per App zu helfen.
16.07.2019, 08:5916.07.2019, 18:33
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«Frauen müssen die Möglichkeit haben, mit ihrem Körper zu arbeiten, nicht gegen ihn. »
Dr. Georgie Bruinvels

Das Wichtigste in Kürze

Der Menstruationszyklus ist im Sport noch immer ein Tabuthema. Die Forschung zeigt, dass ein grosser Einfluss auf die Leistung besteht. Bis heute mangelt es vielen Frauen an Informationen und Aufklärung. Tatsächlich hilft sportliche Aktivität, Menstruationsbeschwerden zu verringern.

Die britische Sport-Wissenschaftlerin Georgie Bruinvels forscht zum Thema und hat dem amerikanischen Frauenteam geholfen, die Fussball-WM 2019 zu gewinnen. Dazu stimmten die Profi-Fussballerinnen ihren gesamten Trainingsplan und die Ernährung auf ihren Zyklus ab.

Die Smartphone-App, die es auch für Amateur-Sportlerinnen gibt, ermöglicht, im Einklang mit dem Zyklus zu trainieren und gibt Tipps zur richtigen Ernährung. Damit trägt die App massgeblich dazu bei, Verletzungen zu vermeiden.

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«Wir möchten, dass sich Frauen wohl fühlen, wenn sie über etwas reden, das sehr normal und natürlich ist.»
Dr. Georgie Bruinvels

Das letzte Tabu

Man will sich gar nicht vorstellen, wie sich der brasilianische Fussballstar Neymar auf dem Platz winden würde, wenn er (auch noch) Menstruationsbeschwerden hätte.

Und wie wäre wohl das epische Wimbledon-Finale zwischen Roger Federer und Novak Djokovic verlaufen, wenn eines der Tennisasse gerade seine Tage gehabt hätte ...

Blut. Viel Blut.

Das kommt den meisten Frauen (und Männern) in den Sinn, wenn es ums Thema Menstruation geht. Doch noch immer halten selbst moderne Zeitgenossinnen die Periode für ein zu persönliches Thema, um offen darüber zu sprechen.

Was dem «starken Geschlecht» erspart bleibt, ist für Fussballerinnen normal – und nicht der Rede wert. Viele schlucken die Pille, weil sie darin die einzige Möglichkeit sehen, die Periode zu unterdrücken und Beschwerden zu umgehen.

Wenn sie keine Hormonpräparate nutzen, müssen Frauen in Trainings und bei Wettkämpfen mit Schmerzen, mangelnder Energie und Stimmungsschwankungen rechnen. Doch das wollte Georgie Bruinvels nicht mehr hinnehmen.

Die promovierte Sport- und Bewegungstherapeutin, die als Marathonläuferin Erfolge feiert, hat mit einer Arbeitskollegin beim Sport-Tech-Startup Orreco die «FitrWoman»-App entwickelt. Das ist eine Gratis-Anwendung fürs iPhone und für Android-Geräte, die hilft, die Auswirkungen der Menstruation auf Training und Wettkampf zu beeinflussen.

Die Erfinderinnen der FitrWoman-App

Die Irinnen Georgie Bruinvels (links) und Grainne Conefrey.
Die Irinnen Georgie Bruinvels (links) und Grainne Conefrey.screenshot: sportstechireland.com
Zur Person
Georgie Bruinvels ist Sport- und Bewegungsphysiologin und arbeitet als Forscherin beim Sport-Tech-Startup Orreco in Irland. Das ist ein 2010 gegründetes Unternehmen, das Sportlerinnen und Sportlern hilft, mit Big-Data-Anwendungen die Leistung zu steigern.

Bruinvels hat am University College London promoviert und zahlreiche Publikationen über Frauen im Spitzensport, Eisenmangel und den Menstruationszyklus veröffentlicht. Bei Orreco leitet sie die wissenschaftlichen Forschungsprojekte hinter dem Female Athlete Programme und den Smartphone-Apps FitrWoman sowie FitrCoach. Vorher war sie drei Jahre lang für die britische Anti-Doping-Behörde tätig.

So funktioniert die FitrWoman-App

Die fürs iPhone und für Android-Smartphones verfügbare App hilft Sportlerinnen, Training und Wettkämpfe den verschiedenen Abschnitten des Menstruationszyklus anzupassen. So soll sich die Leistung steigern und das Risiko von Verletzungen durch hormonelle Veränderungen senken lassen.

Ziel ist es, die Trainingsintensität und die Ernährung dem sich verändernden Hormonspiegel anzupassen.

Täglich liefert das Programm Daten über den körperlichen Zustand. So kann die Sportlerin anhand von zugeschnittenen Informationen entscheiden, welches Training optimal ist, wenn sich der Hormonspiegel entsprechend verändert hat. Und welche Nahrung dabei hilft, das Energieniveau zu halten, und den Blutzuckerspiegel nicht absinken zu lassen.

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bild: watson

Was nützt es?

Die Mitglieder der englischen Hockey-Frauenmannschaft lassen ihren Zyklus schon seit den Olympischen Spielen 2012 in einem Kalender erfassen, wie der «Guardian» berichtet. Bei der Analyse stiess der Kraft- und Konditionstrainer auf ein Muster, wann Weichteilverletzungen auftraten.

Das geht natürlich per App einfacher.

Die US-Frauenfussballmannschaft nahm die Forschungen von Dr. Bruinvels auf und nutzte sie während des WM-Turniers in Frankreich, wie die «Times» berichtete.

Ein britischer Trainer, der mit dem US-Team zusammenarbeitet, konnte sich in ein entsprechendes Programm einloggen, um zu sehen, wo die Spielerinnen im Menstruationszyklus standen. Dies ermöglichte es, die Ernährung individuell anzupassen, um die Leistungsfähigkeit zu maximieren.

Die Mutter von Tennis-Profi Andy Murray hörte von der erfolgreichen Anwendung der Methode und setzt sich nun dafür ein, dass Georgie Bruinvels auch den Tennisspielerinnen hilft.

«Die meisten Frauen haben männliche Tennis- und Fitnesstrainer und die wissen nichts davon.»
Judy Murrayquelle: thetimes.co.uk

Die wichtigsten Erkenntnisse

Georgie Bruinvels betont, es sei wichtig, den ganzen Menstruations-Zyklus zu betrachten: Also den 28-tägigen (oder auch etwas längeren) Rhythmus, und nicht nur die Periode, also die Zeit, die als Regelblutung bezeichnet wird.

Die App hilft herauszufinden, wie der natürliche Hormonspiegel und die Leistungsfähigkeit zusammenhängen. Gerade weil sich der Frauenkörper während des Zyklus wegen der Hormone ständig verändert, beeinflusst dies massiv die Leistungsfähigkeit und wie sich die Sportlerin fühlt.

Wichtige Erkenntnisse:

  • In der ersten Hälfte des Menstruationszyklus verwertet der weibliche Körper Kohlenhydrate effizienter (abhängig von der Intensität der Übung); in der zweiten ist es laut Bruinvels besser, Fette zu verwenden.
  • «Es gibt eine Reihe von Forschungsarbeiten, die zeigen, dass Krafttraining in der ersten Hälfte des Menstruationszyklus vorteilhafter ist», sagt Bruinvels – denn der Körper passe sich an und erhole sich besser.
  • Für Spielerinnen, deren Körper zu Entzündungen neigen, können in der Mitte und am Ende des Zyklus, wenn bestimmte Hormone sinken, alte Verletzungen leichter wieder aufflammen.
  • Durch die Reduzierung des Anteils an gesättigten Fetten in der Ernährung lässt sich auch das Entzündungsrisiko reduzieren.

Es gilt festzuhalten, dass der Zyklus bei jeder Frau anders verläuft. Die Schlüsselzeiten, in denen Symptome auftreten, seien oft individuell, sagte Bruinvels. «Du musst sie bestimmen, aber sie sind normalerweise in jedem Zyklus gleich.»

In der Regulation eines Menstruationszyklus spielten viele verschiedene Hormone eine Rolle. Und viele dieser Hormone hätten auch einen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit.

Das erkläre, warum die eine Sportlerin möglicherweise in ihrer ersten Zyklushälfte eine bessere Kraft-Leistungsfähigkeit aufweise und ihre Kollegin mehr in der zweiten Zyklushälfte. Diese Unterschiede machten es fast unmöglich, innerhalb einer Gruppe allgemeingültige Aussagen zu treffen.

Die Studie, die auch Männer aufhorchen lässt

Der Fitness-Tracker-Hersteller Strava hat im April dieses Jahres die ersten Ergebnisse einer weltweiten Umfrage unter sportlich aktiven Frauen veröffentlicht. Geleitet wurde die Studie, an der auch Nutzerinnen der FitrWoman-App teilnehmen konnten, von Georgie Bruinvels. Leider gibt es keine Angaben zur Schweiz, doch sollen auch die Erkenntnisse aus unserem nördlichen Nachbarland aufhorchen lassen.

  • Die Periode wirkt sich massiv auf die Trainingsgewohnheiten der befragten Frauen aus: 69 Prozent mussten aufgrund ihrer Symptome schon einmal oder regelmässig ihre Trainingsroutine ändern.
  • Ausserdem berichten 88 Prozent der Frauen, dass sich ihre sportliche Leistung durch ihren Zyklus verschlechtert – entweder vor oder während der Blutung.
  • Viele haben das Gefühl, dass ihr Zyklus ein Hindernis bei ihrem Sport ist und fühlten sich verunsichert, ob Sport während der Periode überhaupt gesund ist.

Damit zu den positiven Erkenntnissen:

  • Sportliche Aktivität verringert Menstruationsbeschwerden – das bestätigten fast 82 Prozent der deutschen Teilnehmerinnen.
  • Eine mässige Trainingsintensität (Aktivitäten, bei denen noch eine Unterhaltung möglich ist) ermöglichte eine effektive Linderung der Symptome.
  • Durch moderaten Sport litten die Frauen weniger unter typischen Begleiterscheinungen, wie Bauchkrämpfen, Brustschmerzen, Stimmungsschwankungen, Müdigkeit und Heisshunger.
  • Frauen, die den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation entsprechen und fünf oder mehr Portionen Obst und Gemüse am Tag essen, fallen seltener aufgrund von Menstruationsbeschwerden aus.
  • Ebenso positiv wirkt sich eine gute Schlafqualität bei mehr als sieben Stunden Schlaf aus.
«Doch obwohl die Ergebnisse unterstreichen, dass sich Sport positiv auf die Beschwerden auswirkt, ist nur wenigen Frauen der Zusammenhang zwischen Menstruation und Sport bewusst.»
Medienmitteilung Strava

Damit kommen wir zu einem negativen Punkt, der nicht nur Frauen betrifft, sondern die Gesellschaft als Ganzes: Es mangelt an Aufklärung – und dies auf allen Ebenen.

  • Obwohl die Ergebnisse laut Studie unterstreichen, dass sich Sport positiv auf die Menstruations-Beschwerden auswirkt, sei nur wenigen Frauen der Zusammenhang zwischen Menstruation und Sport bewusst.
  • Über 70 Prozent der Befragten aus Deutschland gaben an, zuvor keinerlei Informationen erhalten zu haben – zum Beispiel in der Schule oder in Sporteinrichtungen.
  • Auch werde das Thema bei Hobby- und Profisportlerinnen nicht besprochen: Bei 88 Prozent der Frauen mit Trainerin oder Trainer wurde der Zyklus nie thematisiert.

Georgie Bruinvels sagt, sie wolle mit ihrer Arbeit die Diskussion anstossen über Bewegung, den Menstruationszyklus und andere Faktoren des Lebensstils. Frauen müssten die Möglichkeit bekommen, mit ihrem Körper zu arbeiten, nicht gegen ihn.

«Wir möchten, dass sich Frauen wohl fühlen, wenn sie über etwas reden, das sehr normal und natürlich ist.»

Die (digitale) Vermessung
der Frau

Bleibt anzumerken, dass Menstruation-Tracking mit dem Smartphone ab diesem Herbst zum Massenphänomen werden könnte. Dann lanciert Apple mit iOS 13 eine entsprechende Funktion fürs iPhone.

Hunderte Millionen Frauen erhalten die Möglichkeit, ihren Zyklus detailliert zu erfassen und optional eine Prognose zu erhalten zur Periode und den fruchtbaren Tagen. Wobei (vorläufig) keine Sport-Tipps vorgesehen sein sollen.

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screenshot: ios 13 beta-version / via iphone-ticker.de

Apple schreibt dazu:

«Ein Menstruationszyklus ist ein wichtiger Teil deiner Gesundheit. Manchmal wird er auch als das sechste Vitalzeichen bezeichnet, weil er so viele Bereiche des weiblichen Körpers betrifft. Die Zyklen sind von Monat zu Monat und von Person zu Person unterschiedlich. Was für dich normal ist, kannst du am besten herausfinden, indem du deine Perioden protokollierst.»

Quellen

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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flottebiene
16.07.2019 10:42registriert September 2014
Also ich denke nicht, dass das Menstruationstracking via App erst durch iOS13 zum Massenphänomen wird. Zyklusapps gibt es schon seit Jahren und vor allem bei jüngeren Frauen wie mir ist es eigentlich Standard, eine solche App zu haben. Kann mir auch kaum vorstellen, dass dann auf die Anwendung von Apple gewechselt wird, wenn man schon jahrelang die selbe App nutzt.
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ChillDaHood
16.07.2019 12:22registriert Februar 2019
Generell gute Sache - ich möchte (sry, als Mann) darauf hinweisen, dass die Geheimniskrämerei in meinen Augen wirklich aufhören sollte. Ich kann mich noch an eine üble Diskussion erinnern, als ich in den Ferien beim Einkaufen noch Munition für meine damalige Freundin holen musste. Offensichtlich war ich zuwenig feinfühlig, weil ich meinem Bruder, der mit mir fürs Einkaufen zuständig war sagte: "Wart kurz, ich muss noch Tampons holen..." Meine Einwände, dass das doch ganz normal und natürlich ist und wir hier schliesslich "in der Familie" sind stiessen auf Unverständnis.
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goschi
16.07.2019 10:20registriert Januar 2014
Guter, informativer Artikel, danke dafür!
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