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Younow: Die Live-Übertragung aus dem Teenie-Schlafzimmer

Der neue Social-Media-Trend

Younow: Die Live-Übertragung aus dem Teenie-Schlafzimmer

Die Online-Plattform Younow wächst rasant und ist vor allem bei Teenagern beliebt. Aber nicht nur. Eine kuriose Tour durch deutsche und Schweizer Schlafzimmer.
21.02.2015, 17:0326.02.2015, 11:35
Roman Rey
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Eingewickelt in ihre Decke, im Bett liegend lächelt Dana in die Webcam. «Wie alt bist du?», fragt ein User im Chat. «Dreizehn», antwortet Dana geduldig – die Frage kommt mindestens alle fünf Minuten. «Warum bist du nicht in der Schule?» – «Ich bin krank.»

Auf der Plattform Younow gewährt die Deutsche mir und 250 weiteren Usern einen Einblick in ihr Schlafzimmer. Sie singt nicht, sie spielt kein Instrument, sie sagt auch nichts geistreiches; Dana macht, was sie auch sonst tun würde: «Rumgammeln». Dazu beantwortet sie Fragen ihrer Zuschauer.

Es ist diese Authentizität und Unmittelbarkeit, die die Faszination von Younow ausmacht: Keine editierten Videos, sondern eine Direktübertragung in den Alltag. Die Kids sind hier, wie sie halt sind. 

Die Plattform wächst rasant: Gemäss Spiegel Online ist die Zahl der deutschsprachigen Nutzer in den vergangenen Monaten um 250 Prozent gewachsen. Auch Schweizer gehören dazu, obwohl Younow keine genaueren Zahlen dazu bekannt gibt.

Genug der Theorie, sehen wir uns das Portal aus der Nähe an:

«Tablet? Da hat ja fast nur ein Teller drauf Platz»

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Younow ist vor allem bei Jugendlichen beliebt – aber nicht ausschliesslich. Dieser Mann schildert schmerzhaft detailliert aus seinem Alltag: «Warum ich weg muss? Ich geh kochen. Also ich wärme mir was auf. Und dann ess' ich noch einen Fruchtsalat. Hier vor der Kamera essen? Nee, die Küche ist oben, das ist mir zu anstrengend. Ausserdem brauch ich 'ne Pause.»

Der Herr ist erfrischend weit weg von der Welt der Jugendlichen. Als ihn jemand fragt, was er für ein Tablet habe, antwortet er: «Tablett? Nee, da hat nicht alles Platz. Gerade mal mein Teller. Aber beim Fruchtsalat wird's schon knapp.»

«Ich sprüh mal Parfüm in meinen Bart»

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Dieser ältere Mann ist gemäss eigenen Angaben 75 Jahre alt. Die Benutzer im Chat siezen ihn respektvoll, und vor allem seine Gesichtsbehaarung sorgt für Entzücken: «Aaw, dein Bart ist so knuffig.»

«Ja, ich glaub schon», antwortet der Mann, der gleichzeitig mit Leuten skypt und anscheinend zu einem Kollektiv gehört, das gemeinsam das Game Minecraft spielt. Dann greift er zu einem Fläschchen und sagt: «So, jetzt muss ich meinen Bart wieder mit Parfüm besprühen.» Gesagt, getan.

Fünf Minuten verzieht er das Gesicht und sagt: «Ach Mist, jetzt krieg ich noch mehr Kopfschmerzen wegen dem Parfüm.»

«Mist, mein Papa kommt!»

Dana, die krank im Bett liegt, ist mit 250 Zuschauern zeitweise die beliebteste Userin im deutschsprachigen Raum. Sie lässt sich mit Komplimenten überhäufen. «Du bist so hübsch», schreibt einer. «Danke, dabei fühl ich mich miserabel und bin nicht einmal geschminkt.»

Die 13-Jährige ist tatsächlich bildhübsch, was wohl der Grund für ihre Beliebtheit ist. Das macht Fachleute nervös. Sie befürchten, dass Younow zum Paradies von Pädosexuellen werden könnte, die sich als Jugendliche ausgeben könnten und viel über die Kids erfahren können, die oft aus dem Nähkästchen plaudern.

Youtube-Star LeFloid warnt Jugendliche, auf Younow zu viel preiszugeben. Youtube: LeFloid

Und zwar nicht immer im Wissen der Eltern. «Mist, mein Papa kommt», raunt Dana plötzlich und versteckt den Laptop unter der Decke. «Ich hab Huuuuuunger», miaut sie. Das kommt nicht gut an: «Weisst du was? Du gehst mir richtig auf den Sack», ruft Papa aus. «Du liegst hier rum und machst gar nichts, du bist ein Tyrann!»

Dana grinst verschwörerisch in die Kamera, als er weg ist. «Habt ihr gehört? Ich bin ein Tyrann», flüstert sie. Ein intimer Moment. Dass Dana ihn mit mir und 250 anderen teilte, bleibt unser kleines Geheimnis.

«Zwischen deinen Augenbrauen kann ein Auto parken. Na dann park mal.»

Die 14-jährige Lena sendet seit drei Stunden live aus ihrem Bett, 150 Leute sehen ihr dabei zu. Sie macht nichts, ausser Fragen zu beantworten – dieselben, wieder und wieder und wieder. Sie liest die Fragen vor und beantwortet sie im selben Atemzug.

  • «Hast du einen Freund nein»
  • «Wie alt bist du 14»
  • «In welche Klasse gehst du neunte»
  • «Bist ne Süsse danke»
  • «Zieh dich aus nein»
  • «Wie alt bist du 14»
  • «Du bist hässlich» (keine Antwort)
  • «Hast du Hobbys nein»
  • «Was willste mal werden mal gucken»
  • «Danke fürs liken Gummibär93»
  • «Du hast so hässliche Augenbrauen» (keine Antwort)
  • «Zwischen deinen Augenbrauen kann ein Auto parken. Dann park mal.»
  • «Zeig mir deine Füsse nein»

Als ihr jemand sagt, sie soll die beleidigenden User doch blocken, sagt sie: «Blocken ist irgendwie voll scheisse.» Wenig später macht jemand Werbung für seinen eigenen Channel – sie blockt ihn sofort.

Das zeigt, worum es hier geht: Um Aufmerksamkeit. Beschimpfen ist okay, das gehört dazu, und auch Hater erhöhen die Userzahlen. Leute auf einen anderen Channel abziehen hingegen, das ist eine Todsünde.

«Mädels, Ihr müsst ein Bild von mir kommentieren, dann bewerte ich euch»

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«Leute, wie würdet ihr die bewerten?» fragt Justin-Bieber-Lookalike Jonas in die Runde und zeigt ein Bild eines Mädchens in die Cam. «Woah, die ist brutal hübsch. Ich geb' ihr... ich geb' ihr eine 8.5.» Zusammen mit 110 Benutzern benotet er Girls auf Instagram. 

Das Lustige: Er sucht sie nicht einfach zufällig aus. Die Mädchen betteln im Chat, er soll sie doch benoten. «Ihr müsst ein Bild von mir kommentieren, dann bewerte ich euch», antwortet er.

«Die Schöne und das Biest»

Olivia und Tanja haben 20 Zuschauer, das ist nicht schlecht für Schweizer Verhältnisse. «Ihr Fussfetischisten geht mir echt auf den Sack, das ist gruusig», sagt Olivia. Ein User schreibt: «Die Schöne und das Biest.» Beide Lachen, auch Tanja, das Ziel der Beleidigung.

Mein Fazit

Ich bin überrascht, wie routiniert die Teenager mit den Arschlöchern und Trollen umgehen, scheinbar zumindest. Der Lehrer und Social-Media-Experte Philippe Wampfler sagt dazu: «Ganz kalt lassen solche Beleidigungen wohl niemanden. Aber die Jugendlichen wissen: Das gehört dazu.» Das hätten sie schon im Umgang mit Instagram, Facebook und anderen Sozialen Netzwerken gelernt.

Alle Namen sind geändert.

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