Es ist ein spezielles Gefühl. Ich halte zum ersten Mal das 2500 Franken teure Mate X in der Hand und falte das Smartphone vorsichtig zu einem Tablet auf. Das geht bereits beim ersten zögerlichen Versuch genau so einfach und intuitiv, wie ich es mir erhofft hatte. Ein kleiner Knopf auf der Rückseite löst die Verriegelung, nun lässt sich das biegsame Display spielend leicht auffalten. Statt eines Handys habe ich zwei Sekunden später ein extrem dünnes und erstaunlich leichtes Tablet in der Hand.
Huaweis Idee leuchtet ein: Zusammengefaltet lässt sich das Mate X wie ein normales Handy nutzen, aufgeklappt bietet das Display viel mehr Platz, um bequemer zu surfen, Videos zu schauen oder produktiver zu arbeiten. Auf dem aufgeklappten Touchscreen ist die Falzstelle bei normaler Tablet-Nutzung unsichtbar, nur bei direkter Lichteinstrahlung, wenn man in einem bestimmten Winkel von der Seite genau hinschaut, ist sie schwach erkennbar, wie das folgende GIF zeigt.
Monate vor dem offiziellen Verkaufsstart hat Huawei das einzige in Europa verfügbare Mate X für einen Tag nach Zürich gebracht, wo ich es in einem Luxus-Hotel knapp eine Stunde ausprobieren kann. Während Samsung sein erstes Falt-Smartphone Galaxy Fold hinter Vitrinen versteckt, kann ich mit Huaweis Mate X völlig frei «herumspielen». Auffalten, zusammenfalten, die Software testen, alles ist erlaubt. Die Huawei-Leute verlassen zwischendurch gar den Raum, und vertrauen mir das rare Testgerät unbeaufsichtigt an. Dies allein zeigt, wie überzeugt die Chinesen von ihrem ersten «Foldable» sind.
Selbst zusammengeklappt als Handy ist das Gerät erstaunlich dünn, Huawei spricht von 11 Millimetern. Ich habe es nicht nachgemessen, aber es passt problemlos in die Hosentasche. Das Falt-Handy hat ein 6,6 Zoll grosses, fast rahmenloses Display, es liegt angenehm in der Hand und ich habe keine Sekunde das Gefühl, es sei zu klobig. Trägt man enge Jeans, wird es jedoch eng, aber das gilt auch für jedes andere grosse Smartphone.
Nimmt man das Mate X zum ersten Mal in die Hand, fühlt es sich deutlich schwerer als ein normales Handy an, aber nicht zwingend zu schwer. Ein Blick aufs Datenblatt enthüllt, dass es 295 Gramm auf die Waage bringt. Herkömmliche Smartphones sind 150 bis 210 Gramm schwer. Das Mate X ist somit minim grösser und leichter als Apples iPad mini. Aufgeklappt habe ich beim Mate X das Gefühl ein leichtes Tablet zu halten. Meine grosse Befürchtung, Huaweis 2-in-1-Gerät sei zu klobig und/oder viel zu schwer, kann ich also knicken. Bereits die erste Generation ist ausreichend dünn und leicht, gegen diesbezüglich weitere Optimierungen hätte ich aber auch nichts einzuwenden.
Als Tablet genutzt ist das Gerät quadratisch. Doch ist das auch praktisch und gut? Es ist auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig, aber der Mensch gewöhnt sich bekanntlich schnell an Neues. Auf meine Bemerkung hin, dass Videos so mit dicken schwarzen Rändern dargestellt würden, meint ein Huawei-Manager, dass Videos auf Social-Media-Plattformen eh im quadratischen Format abgespielt werden. Und selbst wenn Netflix-Serien auf dem Mate X schwarze Balken haben, besser als auf einem kleinen Handy-Display ist es so oder so.
Wie bei Android gewohnt, kann man zwei Apps gleichzeitig nutzen. Das ist insbesondere im Tablet-Modus sinnvoll und könnte für Geschäftskunden interessant sein. Bilder in der Fotogalerie lassen sich im Split-Screen-Modus beispielsweise einfach in eine E-Mail ziehen.
Doch beim Testen zeigt sich schnell, dass ich ein Gerät in der Hand halte, dessen Software noch nicht final ist. Zwar passen sich Apps beim Auf- oder Zuklappen nahtlos der neuen Displaygrösse an, aber noch sind kleine Ruckler auszumachen und ich starte ab und zu ungewollt ein App (vermutlich, wenn sich das Display auf der Rückseite beim Zusammenklappen nicht sofort deaktiviert). Huawei hat aber noch reichlich Zeit, die Benutzeroberfläche, die auf Android 9 basiert, weiter zu optimieren. Das Mate X soll bei uns im Sommer erscheinen, genauer wollen sich die Chinesen nicht festlegen.
Das Display auf der Rückseite ist mit knapp 6,4 Zoll etwas kleiner, da die Griffleiste für Dreifach-Kamera, Blitzlicht und Entriegelungs-Button Platz einnimmt. Ein Vorteil dieser Bauform: Das Mate X braucht keine Front-Kamera. Für ein Selfie dreht man es um und nutzt die hochwertige Haupt-Kamera sowie das rückseitige Display. Dieses aktiviert sich automatisch, sobald man das Gerät umdreht.
Alle meine Befürchtungen ausräumen kann Huawei aber (noch) nicht: Das biegsame Display besteht nicht wie üblich aus Glas, sondern aus flexiblem Kunststoff. Auf die Frage, ob das teure Gerät somit nicht anfällig für Kratzer sei, gibt es nur ausweichende Antworten. Der Problematik ist man sich aber offenbar bewusst, da das Display des Vorführgeräts mit einer transparenten Schutzfolie geschützt ist. Zum Verkaufsstart im Sommer werde es zudem eine Schutzhülle für das Gerät geben.
Auf die Frage, wie oft oder wie lange Display und Scharnier das Falten mitmachen, kann Huawei ebenfalls keine konkrete Antwort liefern. Die Botschaft lautet sinngemäss: Macht euch keine Sorgen, wir haben das rund um die Uhr im Labor getestet. Viel mehr sagen kann Huawei naturgemäss auch noch nicht, es fehlen Erfahrungswerte aus der Praxis. Die Chinesen betonen: Das Mate X sei wie alle Geräte von Huawei auf eine Lebensdauer von drei Jahren ausgelegt und (mutige) Kunden erhalten zwei Jahre Garantie.
Das 2500 Franken teure Mate X hat mehr Power und Speicherplatz als die allermeisten Laptops. Dies allein rechtfertigt den Preis aber noch nicht.
Huawei erklärt den horrenden Preis mit der mehrjährigen, kostspieligen Entwicklungszeit. Alleine das Scharnier bestehe aus rund 100 Einzelteilen und man habe drei Jahre gebraucht, um es zu perfektionieren. Auch der intern entwickelte 5G-Chip treibt die Kosten in die Höhe.
Zweitens sei das Mate X viel aufwändiger in der Produktion als ein normales Handy oder Tablet.
Und drittens fehle im Moment die Kapazität für eine Massenproduktion. Im besten Fall dürften die Chinesen in diesem Jahr einige Hunderttausend Geräte verkaufen, im Vergleich zum gesamten Smartphone-Markt ist das fast nichts. Das Ziel sei, die Produktion künftig zu steigern und somit die Kosten zu senken. Huawei will den Preis auffaltbarer Smartphones in zwei Jahren unter die Marke von 1000 Franken bringen. Später könnten diese Foldables auch in den Bereich von 500 Franken vorstossen.
Das aktuelle Preisschild von 2500 Franken schränkt die Zielgruppe massiv ein: Huawei hofft mit der ersten Generation seines Foldables Geschäftsleute und technikaffine Menschen mit dickem Portemonnaie anzusprechen. Diese erhalten dafür ein 5G-fähiges 2-in-1-Gerät, das mehr Power und Speicherplatz als die meisten Laptops hat.
Für eine Kaufempfehlung ist es dennoch viel zu früh. Erst ein ausführlicher, im besten Fall mehrwöchiger Test kann allfällige verborgene Probleme aufdecken. So gut mir das Gerät auf den ersten Blick gefällt, ich würde jedem Otto Normalverbraucher dringend raten auf die zweite oder gar dritte Generation zu warten.
Das Mate X funktioniert, kein Zweifel, aber es wäre mir nie und nimmer 2500 Franken wert. In einigen Jahren dürften Preise unter 1000 Franken realistisch sein. Denkbar ist auch, dass Swisscom, Sunrise und Salt die neuen Foldables über Handy-Abos subventionieren, da sie ein Interesse haben, teure 5G-Geräte zu verkaufen.
Das Mate X sieht chic aus, lässt sich spielend leicht falten und es ist deutlich weniger klobig, als ich befürchtet hatte. Huawei hat es geschafft, meine Skepsis in vorsichtigen Optimismus zu kehren. Zur Erinnerung: Wir sehen hier die erste Generation faltbarer 2-in-1-Geräte und falls sich die neue Produktkategorie durchsetzt, könnten Foldables herkömmlichen Tablets durchaus das Wasser abgraben.
Stand heute kann das Mate X ein Tablet (noch) nicht vollständig ersetzen, aber in gewissen Situationen möchte man lediglich ein etwas grösseres Display – und genau hier könnten Foldables nützlich sein. Unterwegs im Zug oder abends auf dem Sofa einfach das Handy auffalten? Ziemlich verlockend.
Mir waren Tablets immer zu gross und zu schwer, um sie unterwegs mitzunehmen. Mit dem Mate X könnte ich mir zum ersten Mal vorstellen, doch noch ein gelegentlicher Tablet-User zu werden. Zumindest irgendwann, wenn die Geräte ausgereifter und wie von Huawei in Aussicht gestellt «nur» noch 500 bis 1000 Franken kosten werden.
Wie sieht es in einigen Monaten aus, wenn es tagtäglich auf- und wieder zugeklappt wurde und sich die Kante "abgegriffen" hat?
Auch in Bezug auf Pixelausfälle oder gebrochenen Flexleitungen usw... Ich warte mal ab.
Ich glaube in 2 Jahren kann ich mein Tablet zu Hause lassen. Freue mich drauf.