Eine schmucklose zweistöckige Werkstatt im Osten von Paris. Vor dem grün lackierten Eisentor steht ein kleiner Gartentisch mit Plastikstühlen, statt von gleissendem Scheinwerferlicht wird die Einfahrt nur von einer rostigen Lampe mit Glühbirne beleuchtet. Nach dieser Hinterhofidylle ist man umso überraschter, plötzlich in ein professionelles Filmstudio zu treten.
Jede Menge Monitore, Kabel, Kameras und natürlich Scheinwerfer, gerichtet auf eine vom Boden bis zur Decke giftgrüne Bühne, auf der gerade eine Tänzerin die Just-Dance-Choreographie zu einem neuen Song tanzt.
Titel und Interpretin sind noch top secret – der Song erscheint erst 2023. «No recording devices, no social media», verkündet ein Schild am Eingang.
Für die am 22. November erschienene «2023 Edition» wurde der Online-Modus runderneuert. Hat man genug vom Solotanzen, kann man sich über die interaktive Plattform mit Freunden aus aller Welt treffen. Bis zu sechs Personen können sich gleichzeitig austoben, ganz egal, ob sie physisch anwesend oder über das Netz miteinander verbunden sind.
40 Songs sind im Grundspiel enthalten, das Online-Abo bietet Zugang zu 150 Songs und einem ständig erweiterten Fundus an Titeln, zu dem auch der hier gerade produzierte gehören wird. Die Geheimniskrämerei hat also einen guten Grund. Denn die Auswahl der Songs ist fast schon ein Politikum und wird unter den Fans leidenschaftlich diskutiert.
«Unsere Fan-Community ist sehr lautstark, wenn es um das Äussern von Titelwünschen geht», erklärt Creative Director Matthew Tomkinson. Darüber hinaus gebe es Kontakte zu einzelnen Community-Mitgliedern, die um Input gebeten werden. Aber natürlich müsse der Song vor allem tanzbar sein. Geben die Lyrics nicht genug her, erfinden die «Just Dance»-Macher kurzerhand selbst eine Story rund um den Song.
«Im Falle des Songs ‹Physical› von Dua Lipa haben wir nur den Titel und die Atmosphäre übernommen», so Tomkinson. «Im Original geht es um Verführung, wir wollten dagegen mehr den Grundgedanken eines Fitness-Workouts betonen, denn darum geht es ja letztlich im Spiel.» Es gibt auch direkte Kooperationen mit Künstlern. Bei der Umsetzung von «Anything I Do» war die Sängerin Billie Eilish zugleich als Creative Director beteiligt.
Zu Beginn jeder Produktion werden in einer «Moodmap» die inhaltlichen und grafischen Elemente festgelegt, von denen die Grundstimmung des Videos definiert wird. Auf dieser Basis werden für jede «Map», wie die Clips genannt werden, eine eigene Ikonographie, eigene Charaktere und eine eigene Choreographie entwickelt.
Ein Prozess, der sich über Wochen hinzieht und vom ständigen kreativen Austausch aller Beteiligten geprägt ist. Wenn Tanzen Kommunikation ist, dann ist das bereits in der DNA von «Just Dance» angelegt. «Die Tänzer sind das künstlerische Herz des Spiels», betont die Choreographin Estelle Manas. Entsprechend richtet sich die gesamte Aufmerksamkeit während der Produktion auf sie und ihre Performance.
Immer wieder wird die Tänzerin unterbrochen, weil irgendeine Bewegung nicht ganz gepasst hat. Da sich in «Just Dance» alles um Präzision dreht, darf sie sich nicht die kleinste Abweichung erlauben. Schliesslich müssen sich die Spielerinnen und Spieler später nach ihrer Performance richten, um Punkte zu sammeln. Bevor die Fans vor dem Bildschirm ins Schwitzen kommen, werden im Studio viel Schweiss und Tränen vergossen.
Zwischen den einzelnen Takes muss die Tänzerin nachgeschminkt, das Kostüm gerichtet werden. Jede kleine Stofffalte könnte bei der späteren Digitalisierung zu Problemen führen. Der grüne Hintergrund wird dabei mittels Greenscreen-Technik durch ein digitales Bild ersetzt. Nicht ersetzen lässt sich dagegen die Performance selbst. Sie muss von echten Menschen ausgeführt werden, da nur so der echte Dance-Vibe-Funke überspringt.
Mit dem neuen Abomodell kann man sich das lästige Tauschen der Datenträger sparen, wenn man nach einem Song aus einer bestimmten Jahresedition sucht. Die Silberscheiben und Module kann man auch weiterhin nutzen, in die Online-Version übertragen lassen sie sich leider nicht. Auch wird es nicht möglich sein, einzelne Songs herunterzuladen: Es geht nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip. Ein Preis von knapp CHF 25 für ein Jahresabo klingt immerhin fair. Vor allem bei Songs etwas härterer Gangart bleibt aber noch viel Luft nach oben. Daran ändert auch das etwas hüftsteife «Numb» von Linkin Park nichts.
Die Map zu einem Rammstein-Song würde vermutlich auch nicht ganz so gut in die meist bunte und leichtherzige «Just Dance»-Welt passen. «Wir sind davon überzeugt, dass Tanzen Menschen verändern kann», sagt Senior Producerin Claire Bourgne. «Endorphine werden ausgeschüttet, man fühlt sich wohler mit sich und im Umgang mit anderen.
Dieser physische Effekt wirkt bis in die molekulare Ebene hinein und hilft einem dabei, besser mit seinem Leben zurechtzukommen.» Das, möchte man ihr entgegnen, trifft erwiesenermassen auch auf headbangende Metalfans zu. Doch wenn die Community lautstark genug ist, lassen die «Just Dance»-Macher irgendwann vielleicht auch diesen Traum wahr werden.