«Videogamedesigner» dürfte unter den Traumberufen von Kindern und Jugendlichen ganz weit oben stehen. Und selbst Eltern, die meinen, das Spielen an PC und Konsole sei doch nur Zeitverschwendung, müssen zugeben, dass sich die heute milliardenschwere Branche zu einem ernstzunehmenden Arbeitsumfeld entwickelt hat.
Programmieren erfordert jedoch eine Art von strategischem und abstrahierendem Denken, das nicht jedem in die Wiege gelegt ist. Alles, was die Spielerinnen und Spieler später im fertigen Spiel tun können sollen, muss zuvor erdacht und in eine interaktive Umgebung integriert werden. Wie beim Schreiben, Malen oder Musizieren kann man sich nur dann kreativ entfalten, wenn man die handwerklichen Grundlagen zumindest halbwegs beherrscht.
Die ersten Schritte dorthin sollen Einsteiger mit einer neuen Software wagen können, die Nintendo am 11. Juni für seine erfolgreiche Switch veröffentlicht. Über 85 Millionen Mal hat sich die Konsole bislang verkauft – eine ordentliche Ausgangsbasis für den Game-Designer-Nachwuchs.
Auf Nachfrage gibt Nintendo das Mindestalter mit etwa sechs bis sieben Jahren an, wobei das natürlich wesentlich vom individuellen Entwicklungsstand sowie davon abhängt, ob Mama oder Papa den angehenden Jungdesignern unterstützend zur Seite stehen. Den ersten Eindrücken zufolge können aber durchaus auch deutlich Ältere und Erwachsene Spass mit dem «Spielestudio» haben. Vorkenntnisse sind dafür nicht erforderlich.
In sieben Lektionen lernt man die Grundlagen von ebenso vielen Spielgenres kennen. Es gibt unter anderem einen Kart-Racer, ein 3D-Labyrinth, ein klassisches Jump-and-Run-Game, einen «Mystery Room», dem es zu entkommen gilt, und natürlich den unvermeidlichen Space-Shooter. Alle wesentlichen Elemente spielen sich der Einfachheit halber innerhalb von zwei Dimensionen ab, nur hier und da wird der Eindruck von Dreidimensionalität vermittelt. «Knotixe» machen die eigenen Spielwelten lebendig.
Damit das Ganze nicht zu trocken rüberkommt, hat Nintendo die «Knotixe» (in der englischen Fassung heissen sie «Nodons») ersonnen. Das sind bunt-kauzige und mit bestimmten Eigenschaften ausgestattete Fantasiewesen, die man mit einzelnen Bestandteilen des Spiels «verknotet» um diesen die jeweilige Knotix-Eigenschaft zu verleihen. So wird ein mit der Eigenschaft «zerstörbar» verknüpfter Gegenstand in tausend Teile zerspringen, sobald er auf ein anderes Objekt trifft. Wie genau das aussieht, also zum Beispiel, ob es dabei eine kleine Explosion gibt oder nicht, kann man ebenfalls selbst festlegen.
Unter anderem wird es laut den Nintendo-Sprechern zudem möglich sein, Audioeffekte, die Hintergrundmusik oder Texturen den persönlichen Vorstellungen entsprechend zu designen. Rund 80 unterschiedliche Knotixe wird es geben, und es ist allein schon erstaunlich, wie viele ganz unterschiedliche Spielideen sich mit diesem auf den ersten Blick simplen Aufbau realisieren lassen. Ob später per Update weitere Knotixe hinzukommen werden, wollten die Nintendo-Sprecher noch nicht verraten.
Mit Baukästen hat der japanische Konzern bereits Erfahrung. Mit dem inzwischen eingestellten «Nintendo Labo»-System wagte man sogar einen Ausflug in die Welt echter, dreidimensionaler Pappmodelle, mithilfe des zweiteiligen «Super Mario Maker» durfte man dem weltberühmten Klempner selbst auf die Sprünge helfen. Ikonische Charaktere aus dem Nintendo-Universum kann man im «Spielestudio» allerdings nicht erschaffen. Stattdessen kann man sich an knuffigen roboterartigen Wesen austoben, die sich in recht engen Grenzen gestalten lassen. Darum, markttaugliche Spielwelten zu erschaffen, geht es hier auch gar nicht. «Spielestudio» begreift sich eher als Einführung in die visuelle Spieleprogrammierung, auf deren Grundlage man dann vielleicht irgendwann auf komplexere Design-Tools umsteigt.
Das soll nicht heissen, dass man mit «Spielestudio» nicht kreativ werden kann. Ganz im Gegenteil. Gerade die Begrenzung der Mittel fordert Gestaltungswillen und Einfallsreichtum heraus und fördert die Erkenntnis, dass man keine grossen Knalleffekte braucht, um eine gute Geschichte zu erzählen.
Mit dem digitalen Baukasten «Dreams» des Konkurrenten Sony kann man zwar deutlich professioneller wirkende Kunstwelten erschaffen, sich aber gerade als Einsteiger auch leicht verlaufen. Bei Nintendo wird man dagegen an die Hand genommen und Schritt für Schritt durch den Entstehungsprozess geführt. Mit einem einfachen Tastendruck wechselt man zwischen dem Designprogramm und dem Spielbildschirm hin und her, sodass man jederzeit ausprobieren kann, ob das gewünschte Ergebnis erreicht wurde. Nach jeder Lektion gibt es zudem eine kleine Übungseinheit, in der man das Gelernte vertiefen kann.
Hat man die Einführung geschafft, kann man die neu gewonnenen Fähigkeiten direkt in die Tat umsetzen und seine eigenen Spielideen zum Leben erwecken. Diese kann man dann von Freunden und Familienmitgliedern testen lassen – entweder lokal an der Konsole oder in Form eines herunterladbaren Inhalts über das Internet.
Dazu sind neben einem Internetzugang ein Nintendo-Account, eine kostenpflichtige Mitgliedschaft bei Nintendo Switch Online und natürlich eine Switch-Konsole erforderlich. Auf anderen Plattformen lassen sich die Werke nicht spielen.
Immerhin kann man so seine eigenen Schöpfungen präsentieren und umgekehrt die von anderen ausgetüftelten Games testen. Dabei kann man durch einen Wechsel in den freien Modus genau nachvollziehen, wie ein bestimmtes Ergebnis erzielt wurde, und sich Anregungen für die eigenen Kreationen holen.
Weitgehende Freiheiten hat man bei der Hardware. Man kann die eigenen «Spielestudio»-Games auf der Switch wie auch auf der Switch Lite, unterwegs im Handheld-Modus oder daheim am Fernseher spielen und wahlweise über den Touchscreen, die Eingabetasten, den Joy-Con oder den Nintendo Switch Pro Controller steuern. Ausserdem lässt sich auch eine kompatible Maus über den USB-Anschluss des Switch-Docks mit der Konsole verbinden, was mit der Switch Lite, die ohne TV-Station auskommt, naturgemäss nicht möglich ist. Erfreulicherweise funktionieren sämtliche Spiele auch im Multiplayermodus für bis zu acht Spielerinnen und Spieler.