Ich muss ehrlich zugeben: Für ausufernde Rollenspiele fehlt mir einfach die Zeit. Ich mache aktiv einen grossen Bogen um RPGs. Es sei denn, ein ganz grosser Titel schreit danach getestet zu werden, weil er halt getestet werden muss. Aber so richtig tief war ich schon lange nicht mehr in einem Rollenspiel versunken. Zu anstrengend, zu zeitaufwändig und ein soziales Leben, das öfters nach mir schreit, habe ich ja auch noch ...
Doch dann kam dieses «Octopath Traveler» ins Haus geflattert und ich gab mich dem Sog hin. Mag sein, dass das Sommerloch auch dafür verantwortlich ist, dass ich den Controller nicht mehr aus den Händen geben wollte. Doch in erster Linie ist es diese wunderschöne Retro-Optik und die simple Spielmechanik, die mich so sehr in ihren Bann ziehen und mich an alte Spieleklassiker erinnern.
Denn als Jugendlicher habe ich mit Rollenspielen, egal ob rundenbasierte Fights oder Echtzeit-Kampfsystem, viel Zeit verbracht. Allen voran das legendäre «Secret of Mana» auf dem Super NES habe ich in den 90ern wochenlang verschlungen. Und jetzt ist da dieser exklusive Switch-Titel, der mein Retro-Herz besonders erfreut und mich in Erinnerungen schwelgen lässt.
Wir befinden uns im Königreich Orsterra, wo zunächst üppige Berglandschaften und raue Gewässer auf der Karte dominieren. Als eine von acht individuellen Figuren startet man die epische Geschichte. Beginne ich mit dem klassischen Krieger oder doch lieber mit einer jungen Frau, die der Magie mächtig ist, die Entscheidung liegt ganz bei mir. Danach beginnt das Abenteuer, wo auf dem späteren Weg meine anderen Mitstreiter zu mir stossen.
Die erlebbaren Handlungen sind denn auch die klassischen Inhalte, die man aus dem Genre kennt: Vergangene Kriege und finstere Mächte haben das Land erschüttert, im Dunkeln wartet eine grosse Gefahr, Menschen erinnern sich an alte Liebeleien und längst vergessene Charaktere. Egal auf welche Geschichte man steht, das Spiel befriedigt jedes Bedürfnis.
Ohne Zweifel, es ist diese wunderbare Retro-Optik, die von Beginn an gleich verzückt. Die niedliche Pixelgrafik erinnert nicht nur stark an die alten Klassiker aus den 16-Bit-Tagen, sie ist auch von Square Enix absichtlich gewollt. Der legendäre Entwickler aus Japan verbeugt sich hier vor unzähligen Meisterstücken und weiss genau, dass er mit der Nostalgie-Karte viele, vor allem auch ältere, Spielerinnen und Spieler direkt anspricht und ihnen ein Lächeln auf das Gesicht zaubert.
So steuert man denn seine Heldinnen und Helden durch niedlich animierte Dörfer, Städte, Höhlen und Landschaften und erfreut sich an vielen Details, die die Entwicklerinnen und Entwickler in die Szenarien eingebaut haben.
Kleiner Tipp: Nicht einfach nur durch die Areale rennen, sondern immer die Augen offen halten und sich an Kleinigkeiten erfreuen. Schaut euch auch die grosse Weltkarte einmal genauer an. Was sich da alles herumtummelt. Genial.
Der Rest ist dann RPG-Standard: Die rundenbasierten Kämpfe, die oft dann halt plötzlich einfach passieren, übersteht man wie gehabt. Aktionen auswählen, Objekte einsetzen, Spezialattacken starten oder die Flucht ergreifen. Wie es der Genre-Veteran kennt, gilt es dabei, vor allem bei grösseren Gegnern, die einzelnen Züge genau zu beobachten und seine Handlungen klug und äusserst überlegt zu vollziehen.
Sind die Gegner zu Beginn in den ersten Stunden noch einfach zu bodigen, braucht es später immer mehr strategisches Denken. Dabei bleibt das Spiel erfreulicherweise immer fair. Vor allem die neue Boost-Funktion gefällt. Während den Kämpfen sammelt man Boost-Punkte, die man dann einsetzen kann, um die Angriffe oder die einzelnen Fähigkeiten enorm zu steigern. Dann wackelt der Bildschirm. Ansonsten spricht man mit den verschiedenen Bewohnern, löst Nebenquests, sammelt, kauft und verkauft Gegenstände, rüstet sich auf und setzt seine Heldenreise fort.
Gerade bei grossen Bossen kommt es immer wieder zu Frustmomenten. Generell ist bei den Gegnern, egal ob gross oder klein, keine Energieanzeige ersichtlich. Das macht die Kämpfe oft sehr frustrierend. Man kann somit im Voraus nicht feststellen, ob es bei einem nächsten Zug wirklich vollen Einsatz benötigt oder man doch lieber brav haushalten muss. Der Obermotz kann danach endlich fallen oder ist noch weit davon entfernt, in seine Pixelteile zu zerfallen. Das nervt gewaltig.
Auch an Übersicht mangelt es beim Erkunden öfters. So ist es gerade in den Dörfern und Städten, wo ganz viel passiert und unzählige Figuren herumwuseln, nicht immer klar, was genau das nächste Ziel des Helden, der Heldin ist, um die Hauptstory fortzusetzen. Da kann es schon mal vorkommen, dass man sich plötzlich in einer etwas langweiligen Nebenaufgabe befindet, auf die man eigentlich gar keine Lust hat.
Fazit: Trotz der genannten Kriterien, das stimmige Gesamtbild bleibt für mehr als 20 Stunden erhalten. Die einzelnen Schicksale werden mit sehr viel Feingefühl, niedlichen Animationen und ganz viel Retro-Charme erzählt. Trotz oft dramatischen Geschichten gibt es auch immer wieder etwas für die Lachmuskeln. Zusätzlich sorgen ein wunderschöner Soundtrack und eine gelungene englische Sprachausgabe für eine intensive Fantasy-Stimmung. Wer jedoch mit RPGs nichts am Zauberhut hat, braucht trotz des simplen Handlings auch hier ein paar Stunden, bis alles flutscht. Man muss zum Schluss aber auch einfach Danke sagen. Denn Square Enix hat hier einen Titel rausgehauen, der liebevoller nicht sein könnte und die Lust an Rollenspielen wieder weckt. Danke!
«Octopath Traveler» ist exklusiv erhältlich für Nintendo Switch und freigegeben ab 12 Jahren.
Habt ihr überhaupt noch Zeit für intensive Rollenspiele oder macht ihr einen grossen Bogen um sie? Rein mit euren Meinungen in die Kommentarspalte!