Es kam aus dem Nichts und hat uns völlig in seinen Bann gerissen. Seit Tagen verbringen meine Freundin und ich unsere Abende regelmässig mit «Divinity 3: Original Sin». Das Rollenspiel für PC und Mac des belgischen Larian Studios vermischt klassische Spielelemente mit modernen und verpackt das Ganze in wunderschöner Grafik. Dazu gibt es eine epische Geschichte und eine riesige, freibegehbare Spielwelt. Dass ein derart umfassendes Game über Kickstarter ermöglicht wurde, ist ein Paradebeispiel für das Potential solcher Crowdfunding-Plattformen.
«Divinity 3: Original Sin» kann problemlos alleine gespielt werden. Zu Beginn erstellt man zwei Charaktere, mit freier Hand bei der Geschlechterkombination und Klassenwahl (Magier, Krieger, Bogenschütze etc.). Solospieler steuern beide Figuren gleichzeitig.
Wesentlich mehr Spass macht das Spiel, wenn man das Abenteuer zu zweit angeht (Koop). Übers Internet kann man sich zahlreichen laufenden Partien anschliessen oder mit jemandem ein neues Spiel starten. Dabei ist zu bedenken, dass der, der das Spiel eröffnet, auch die totale Kontrolle darüber hat. Der gesamte Spielfortschritt, der Charakter und alle gefundenen Gegenstände werden im Spiel des Erstellers gespeichert. Sollte der nach 20 Stunden plötzlich keine Lust mehr haben, hat der andere Pech gehabt.
Etwas mehr Sicherheit hat, wer mit Freunden oder wie in meinem Fall mit der Freundin spielt. Um Verwechslungen zu vermeiden, entschieden wir uns, unsere angeborene Geschlechter- und Rollenverteilung beizubehalten – ich als schwertschwingender Krieger, sie als zaubernde und bogenschiessende Reisende (Wayfarer). Ist die Klasse gewählt und der Charakter erstellt, kann das gemeinsame Abenteuer losgehen.
Amüsant sind die gemeinsamen Dialoge. Während man mit den meisten NPCs (Computer-gesteuerte Nicht-Spieler-Charaktere) alleine plaudert und der zweite Spieler das Gespräch über Sprechblasen mitverfolgt, kommt es immer wieder zu partizipativen Dialogen. Beide Spieler wählen dabei unabhängig voneinander Antworten aus. Nicht selten geht es um Leben und Tod. Ist man widersprüchlicher Meinung, wird mittels Schere, Stein, Papier ausgelost, welche Entscheidung getroffen wird. Das hat auch Auswirkungen auf die Beziehung der Figuren, die sich bis zur Romanze entwickeln kann.
Ein weiterer Vorteil vom gemeinsamen Spielen ist, dass man sich die oft ausführlichen Aufgaben teilen kann. Während ich eine Mordverdächtige in die Mangel nehme, kann meine bessere Hälfte sich um eine Untoten-Plage kümmern. Erfahrungspunkte und Fortschritte werden beiden angerechnet.
Wie es sich für Rollenspiele gehört, kommt die Action nicht zu kurz. Für irgendwas schleift mein Krieger schliesslich sein riesiges Breitschwert mit sich herum und der Bogen meiner virtueller Begleiterin dient auch nicht zur Zierde. Zusätzlich können die Spieler zwei Charaktere anheuern, die im Kampf hilfreich zur Seite stehen. Schon bei den ersten Begegnungen ist man froh um ihre Schützenhilfe.
Gekämpft wird rundenbasiert. Jede Figur hat eine bestimmte Anzahl Aktionspunkten zur Verfügung, die pro Zug für die Bewegung und Angriffe eingesetzt werden können. Eine wichtige Rolle spielen Elementeinflüsse. Regnet es oder steht der Gegner in einer Pfütze, sind Blitzangriffe wirksamer. Ein durch Telekinese herumgewirbeltes Ölfass kann entzündet werden. Der dadurch entstandene Rauch erschwert wiederum die Sicht, so dass Bogenschützen ihr Ziel nicht sehen. Die vielen Fähigkeiten und taktischen Möglichkeiten sorgen für abwechslungsreiche und spannende Kämpfe, die sich schnell mal eine Stunde hinziehen können.
Überall wo man hinreist, lernt man neue Personen kennen mit neuen Problemen. Oft erstrecken sich die erhaltenen Aufgaben über mehrere Stunden. Vergebens sucht man auf der Karte nach einem Pfeil, der einem blind von A nach B lotst. Rätsel erfordern ein gewisses Mass an Hirnschmalz und, dass man den Dialogen und Texten zumindest ein bisschen Beachtung schenkt.
Vieles wird man gar nicht erst erleben, weil die passende Fähigkeit fehlt. Per Zufall entdeckten wir, dass die Klasse Reisende (Wayfarer) mit Tieren sprechen kann. So konnten wir einem unglücklich verliebten Kater helfen, seine Herzensdame zu erobern.
Daneben wimmelt es von witzigen Dialogen und Easter Eggs (versteckte Besonderheiten). Beim Schleichen verwandelt man sich beispielsweise in einen Stein oder ein Fass. Die Kartonschachtel von Solid Snake war wohl gerade im Einsatz. Ein Putzeimer kann als Helm eingesetzt werden. Gibt immerhin Schutz +1.
Trotz des vielen Lobes gibt es auch ein paar Mängel. Am meisten nervt die langsame Laufgeschwindigkeit. Man möchte die Figuren anschreiben, sie sollen doch mal den Finger aus dem Allerwertesten ziehen. Kommt dazu, dass man im Kampf oftmals am Ziel vorbeiklickt. Eine Direktwahl des Gegners würde helfen. Dann muss man genervt zuschauen, wie die Spielfigur am Feind vorbeispaziert, statt ihm eins über die Rübe zu ziehen und im dümmsten Fall selbst eins auf den Deckel kriegt. Wer auf Deutsch spielt, muss zudem mit kleineren Übersetzungsfehlern rechnen. Die Sprachausgabe ist komplett Englisch, viel geredet wird aber ohnehin nicht. Alles Mängel, die mit einem Update leicht beseitigt werden können.
Der grosse Rest von «Divinity 3: Original Sin» ist eine Glanzleistung. Vom detailverliebten Design, zu den taktischen Kämpfen bis zum hervorragenden Koop-Modus ist alles da. Der fünfte Teil im «Divinity»-Universum bietet für einen fairen Preis ein umfassendes Spielvergnügen, das dank Mod-Unterstützung (Modifizieren) von Fans noch lange am Leben erhalten werden dürfte.
«Divinity 3: Original Sin» ist für PC und Mac für rund 50 Franken erhältlich.