Die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) sieht den zeitversetzten TV-Konsum in Gefahr. Im Parlament gebe es seit längerem Bemühungen, das sogenannte «Replay-TV» nur noch mit Zustimmung der Fernsehsender zuzulassen. Doch nun stehe das zeitversetzte Fernsehen, zumindest so wie es die Kunden heute kennen, vor dem Aus.
Aktuell seien «klammheimlich parlamentarische Bemühungen» am Laufen, um dem Replay-TV auf Gesetzebene einen Riegel zu schieben. Dagegen stemme sich der Konsumentenschutz «vehement». Denn: Zeitversetztes Fernsehen gehöre seit Jahren zum standardmässigen TV-Konsumverhalten, argumentiert die SKS.
Der Stein des Anstosses: Replay-TV ermöglicht es mit einem kostenpflichtigen Abo, Sendungen bis zu sieben Tage später anzuschauen und dabei Werbeblöcke zu umgehen.
Die TV-Sender argumentieren, ihnen gingen dadurch Werbeeinnahmen verloren. «Im zeitversetzten Fernsehen wird zwischen 60 und 80 Prozent der Werbung übersprungen», zitiert der Tages-Anzeiger Andrea Werder, Geschäftsführerin der Interessengesellschaft Radio und Fernsehen (IRF). Zur IRF gehören nebst der SRG private Schweizer TV-Sender sowie deutsche Stationen, die hier empfangen werden können.
Laut der SKS stehen im Rahmen der Revision des Fernmeldegesetzes (FMG) mehrere Forderungen der zuständigen Kommission im Raum, die eine Gesetzesänderung zur Einschränkung des zeitversetzten Fernsehens vorsehen.
Gegen diese Forderungen wehren sich vorab die TV-Verbreiter: Laut NZZ am Sonntag fordern Sunrise, UPC und Co. von den Mitgliedern der Fernmeldekommission, dass sie den Antrag ablehnen. Er basiere «auf falschem Zahlenmaterial und aus der Luft gegriffenen Zusammenhängen».
Die Gegner des Replay-TV sind der Ansicht, dass die angeblich schrumpfenden Werbeeinnahmen die Qualität und Vielfalt des TV-Programms gefährden. Doch ob den TV-Sendern unter dem Strich durch das zeitversetzte Fernsehen wirklich Werbegelder entgehen, ist umstritten. Die SKS hält dagegen, dass das zeitversetzte Fernsehen den TV-Konsum insgesamt steigere und verweist auf eine Erhebung der Stiftung Werbestatistik Schweiz. Diese zeige, dass der TV-Bereich trotz Einführung von Replay-TV seit 2012 stetig steigende Werbeumsätze erziele.
Diese Statistik mache die Rückgänge aber nicht sichtbar, weil viele neue werbetreibende Sender dazugekommen seien, kontert IRF-Vertreterin Werder im «Tages-Anzeiger». Der Schaden trete auf Senderebene ein.
Falls die Spulfunktionen für Werbeblöcke nur noch mit der Zustimmung des Senders möglich wäre, sei mit weitreichenden Auswirkungen zu rechnen. So sei etwa zu befürchten, dass nur grosse Unternehmen wie Swisscom und UPC die finanziellen Mittel aufbringen können, um sich von den Sendern die Rechte für Replay-Angebote zu erkaufen. «Spezialisierte Anbieter wie Zattoo, Wilmaa oder Teleboy könnten gar vom Markt verschwinden», warnt die Stiftung.
Gerade kleine Streaming-Anbieter wären durch die neue Gesetzeslage den Interessen der TV-Sender ausgeliefert. Die Folge: Grosse, finanzstarke Firmen wie Swisscom könnten vermutlich bessere Deals mit den TV-Sendern aushandeln als kleine Anbieter.
Auch markante Preisanstiege seien zu erwarten, weil die Mehrkosten, die Swisscom, UPC, Zattoo und Co. durch die Deals mit den Sendern entstehen, auf die Konsumenten abgewälzt würden. Ein massiver Anstieg der Preise für Replay-TV-Angebote wäre laut SKS die Folge. «Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Replay-TV-Abo am Ende doppelt oder dreimal so teuer wäre wie heute», warnt Cécile Thomi, Leiterin Recht bei der SKS im «Tages-Anzeiger».
Schon heute zahlen die TV-Verbreiter den TV-Sendern 1.60 Franken pro Abonnent und Monat für die Replay-Funktion. Das ist den Sendern zu wenig. Sie argumentieren, ihnen entgingen letztes Jahr wegen Replay-TV über 100 Millionen Franken. Dieser Summe stünden Entschädigungen von lediglich etwa 8.3 Millionen Franken aus Urheberrechtsgebühren gegenüber, schreibt die «NZZ am Sonntag». Hinter den Kulissen tobt also der Verteilkampf um das Geld der Konsumenten.
Hinzu komme die Verletzung des Urheberrechts, da der Konsument eigentlich ein gesetzlich verankertes Recht auf Privatkopien habe. Dieses Recht würde ersatzlos gestrichen, so die SKS.
«Wer sich eine Sendung zu einem späteren Zeitpunkt anschauen will, müsste diese – wie vor Jahrzehnten – wieder mit dem Videorekorder aufnehmen», schreibt die Stiftung für Konsumentenschutz weiter. Paradoxerweise wäre damit das Überspulen von Werbung weiterhin problemlos möglich, betont die SKS.
«Dass in der heutigen Zeit der Digitalisierung über die Einführung einer solchen Regelung überhaupt debattiert wird, ist abstrus», findet die rechtliche Leiterin des Konsumentenschutzes. Dies würde einen regelrechten Rückfall in die Steinzeit des Medienkonsums bedeuten und der Kampf um Werbekunden dürfe nicht erneut auf dem Buckel der Konsumenten ausgetragen werden.
Bei der SKS räumt man ein, dass Programmvielfalt auf eine ausreichende Finanzierung angewiesen sei. Falls tatsächlich unfaire Bedingungen herrschten zwischen TV-Sendern und TV-Verbreitern, die Replay-TV anbieten, dann müssten sich diese Parteien jedoch an den Verhandlungstisch setzen. Der Kampf um den Werbekuchen dürfe nicht auf dem Buckel der Konsumenten ausgetragen werden.
Die Fernmeldekommission hat sich am Dienstag deutlich für Einschränkungen beim Replay-TV ausgesprochen.
Mit Material der Nachrichtenagenturen AWP und SDA.
Auch ich werde mein Abo kündigen, sollte es soweit kommen. Und das wird es früher oder später.