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Wie verändern disruptive Technologien die Welt? Ein Interview

Interview

«Airbnb ist derzeit das disruptivste Unternehmen der Welt»

Disruptive Technologien verändern unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, die ganze Welt. Doch was ist Disruption? Welche Unternehmen sind überhaupt disruptiv? Und was passiert mit unseren Daten? Ein Gespräch mit dem Berater Thorsten Linz*.
24.07.2016, 18:58
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Herr Linz, «Disruption» bedeutet für viele soviel wie «analog ist teuer, digital ist gratis». Sind Sie mit dieser Aussage einverstanden?
Thorsten Linz:
Ja, aber nur teilweise. Die Aussage beschreibt einen wichtigen Teil von Disruption und disruptiven Technologien. Es braucht aber noch ein paar Voraussetzungen mehr, damit eine Idee oder ein Startup als «disruptiv» gilt.

Und das wären?
«Digital» ist, wenn es richtig gemacht ist, fast immer effizienter als analog. Und disruptive Technologien müssen die Menschen dazu bewegen, massenhaft auf sie umzusteigen. Wenn ich damit den Bedarf schneller decken kann als mit einem herkömmlichen Produkt und auch noch billiger bin als dieses, dann bin ich disruptiv.

Bild
*Thorsten Linz
Thorsten Linz ist CEO von Simplify Digital Disruption Inc. Seine Firma ist in Berlin und Menlo Park im Silicon Valley angesiedelt und berät Grosskonzerne bei internen Innovationsprozessen. Simplify gründet oder identifiziert Startups, welche die nötigen Innovationen für Grosskonzerne erbringen können. Linz ist zudem Mentor für Startups in Berlin und Tallinn. Er ist Mitglied in der Jury der Disrupt 100 List. (egg)​

Welches ist für Sie das disruptivste Unternehmen, das Sie kennen?
Ich würde sagen, Airbnb kommt diesem Anspruch sehr nahe, das disruptivste Unternehmen der Welt zu sein: Die Übernachtungsmöglichkeiten sind nicht nur viel günstiger als in etablierten Hotels. Zudem besteht offensichtlich ein grosses Kundenbedürfnis für Airbnb, da die Hotels vielerorts zu teuer und ständig ausgebucht sind. Durch Airbnb wurde ein Zweitmarkt geschaffen, die Idee wird inzwischen von sehr vielen Konsumenten angenommen. Hingegen ist Tesla für mich noch nicht disruptiv ...

Nach der Slideshow geht das Interview weiter ...

Airbnb, das «disruptivste» Unternehmen der Welt: Das sind die 20 angesagtesten Unterkünfte

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Die 20 angesagtesten Unterkünfte auf Airbnb
Diese griechische Traumvilla befindet sich etwas ausserhalb Athens.
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Das müssen Sie erklären!
Die Technologie von Tesla ist innovativ, das ist klar. Aber das reicht noch nicht. Der Preis und die Auslieferungsquote des Tesla verdienen noch nicht das Attribut «disruptiv». Erst wenn Tesla in der Lage ist, das Modell 3 für 35'000 Dollar oder Euro auch an die Menschen zu bringen, ist es für mich ein disruptives Unternehmen.

«Ein disruptives Produkt muss in der Lage sein, den Markt zu verändern.»
Thorsten Linz

Das heisst, die Masse macht's aus.
Ja, ein disruptives Produkt muss in der Lage sein, den Markt zu verändern.

In der Liste der 100 disruptivsten Unternehmen sind aber auch nicht nur solche, die alle diese Kriterien erfüllen. Oder gehen Sie davon aus, dass jede dieser 100 Firmen etwas hervorbringt, das die Massen begeistern wird?
Nein, es ist klar: Längst nicht alle der gelisteten Ideen und Firmen sind überlebensfähig. Die Erfahrung zeigt sogar, dass weniger als 10 Prozent der Startups überleben. Vielleicht sind es von den Disrupt 100 tatsächlich ein paar mehr. Aber viele Ideen werden sich nicht durchsetzen, weil sie eben nicht disruptiv genug sind und am Markt nicht ankommen. Überdies gibt es selbst dann, wenn man ein hervorragendes Produkt hat, ja noch viele andere Stolperfallen, an denen ein Startup scheitern kann. Bei der Liste ging es darum, Firmen und Ideen zu zeigen, die das Potenzial haben, disruptiv zu sein.

Was halten Sie vom Roboter-Anwalt, der Parkbussen anficht? Er kostet nichts, seine Erfolgsquote ist nicht schlecht. Wird er sich durchsetzen?
Ich gebe ihm gute Chancen, ja. Allerdings erst, wenn der Roboter-Anwalt sich auf die verschiedenen Rechtssysteme einlassen kann. Insofern hat er das gleiche Problem, wie viele Gesundheits-Apps es auch haben: Dass in jedem Land ein anderes System herrscht, andere Gesetze und Abrechnungsarten mit den Krankenkassen gelten.

«Die ganze Diskussion zum Thema ‹Mensch ersetzt Maschine› ist falsch aufgezogen.»
Thorsten Linz

Glauben Sie, dass Anwälte irgendwann ganz von Robotern ersetzt werden?
Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Ich denke, dass gewisse automatisierte Abläufe, wie eben ein Frage-Antwort-Katalog für eine Bussenanfechtung, in Zukunft tatsächlich von Robotern erledigt werden, während komplexere Vorgänge – zumindest vorerst – nicht an Maschinen delegiert werden. Ich finde aber ganz allgemein, dass die ganze Diskussion zum Thema «Maschine ersetzt Mensch» falsch aufgezogen ist.

Warum?
Es ist eine reine Angst-Diskussion. Man denkt nur daran, was alles Schlimmes passieren könnte und hat dabei die Science-Fiction-Filme im Kopf. Durch Disruption oder intelligente Maschinen entstehen ja auch neue Chancen und neue Berufsfelder. Aber diese Diskussion findet in der Gesellschaft noch gar nicht statt. 

In der Schweiz wurde kürzlich über das Bedingungslose Grundeinkommen abgestimmt. Für die Befürworter ist es eine Möglichkeit, den technischen Fortschritt mit einer gerechteren Bezahlung von Arbeit abzufedern ... 
Das ist sehr wichtig. Die zentrale Frage lautet: «Wer wird künftig wie an der Wertschöpfung beteiligt?» Wenn diese von Maschinen erbracht wird, und nur diejenigen profitieren, denen die Maschinen gehören, wird es eine soziale Schieflage geben, wie sie die Welt so noch nicht gesehen hat.

Das hat man bei der Erfindung der Dampfmaschine auch gedacht ...
Ja, aber in früheren Phasen technischer Revolution war es möglich, in andere Berufe auszuweichen oder sich für die Bedienung der Maschinen, zum Beispiel im Automobilbau, zu qualifizieren. Bei der bevorstehenden Revolution, bei der es um künstliche Intelligenz geht, ist nicht absehbar, wer den Beruf wechseln kann, und wer nicht. Das Ausmass und die Tiefe dieser Revolution werden gigantisch sein. Wir brauchen zwingend eine neue Verteilung von Arbeit und Geld.

Der Blick in die Zukunft vor 100 Jahren: So stellten sich die Leute die Welt im Jahr 2000 vor

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So stellten sich die Leute vor, wie die Welt 2000 aussieht
Waas? Ferngesteuerte Schüler, deren Hirne an irgendwelchen Geräten angeschlossen sind? Befinden wir uns im 21. Jahrhundert oder in irgendeinem schlechten Horrorfilm?!

Bild: The Public Domain Review
quelle: public domain
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Was heisst das?
Wir müssen uns ernsthaft und sehr bald überlegen, wie wir das Einkommen von Maschinen auf die Menschen umverteilen, welche diese Maschinen nicht besitzen.

Zurück zu den Unternehmen und Startups, die innovative und disruptive Ideen in die Welt setzen: Warum sind keine Grosskonzerne darunter? Die hätten einen Markt – und Geld.
Das stimmt. Aber die grossen Unternehmen verschlafen zurzeit ganz viel. Sie versuchen, innovativ zu sein und probieren ganz viele neue Produkte aus. Aber leider gehen diese oft völlig an ihren Kunden vorbei. Das beste Beispiel dafür sind die Banken.

«Wenn nur diejenigen profitieren, denen die Maschinen gehören, wird es eine soziale Schieflage geben, wie sie die Welt so noch nicht gesehen hat.»
Thorsten Linz

Wo liegt das Problem?
Viele Banken haben noch nicht begriffen, dass sie nicht in erster Linie in ihre Finanz-Produkte und in ihre Filialstruktur investieren müssen. Die Produkte kann ein Bot entwickeln oder eine Blockchain. Und in eine Bankfiliale will eigentlich gar keiner mehr hineingehen, wenn er nicht unbedingt muss. Lieber erledige ich die Geldgeschäfte von zuhause aus, vor dem Frühstück. Wir brauchen Apps und Bots. In Japan gibt es bereits erste Zweigstellen von Banken, die von Robotern bedient werden.

Das nächste Thema sind die Daten: Die Menschen haben Angst vor Datenkraken oder Unternehmen, die ihre Daten verkaufen oder sie damit überwachen.
Umgekehrt möchten die Menschen einfach eine Lösung haben, die funktioniert. Gerade bei vielen disruptiven Technologien geht es um Daten und den Austausch derselben. Erst wenn jedes Unternehmen, jede Anwendung, jede App, auf die Daten zugreifen kann, die sie braucht, kommen wir weiter – egal ob Apple, Google, Tesla oder BMW die Daten gesammelt hat.

Da könnte man schon wieder Angst bekommen ...
Wir müssen die Macht der Daten in die Hände der Konsumenten geben. Es geht ja bei den Daten auch – oder vor allem – um Geld. Ich sehe viele Ansätze von Startups, die Daten sammeln, um sie dem Konsumenten zur Verfügung zu stellen. Der Konsument soll selber entscheiden, was mit seinen Daten passieren soll. Nur ist es leider heute so, dass Unternehmen wie selbstverständlich unsere Daten sammeln, ohne dass wir als Konsumenten und Anwender der Apps, etwas dafür bekommen.

«Wir müssen definieren, was der monetäre Wert der Daten ist: Du gibst mir Daten, ich geb' dir Geld.»
Thorsten Linz

Was wäre die Lösung?
Wir müssen definieren, was der monetäre Wert der Daten ist: Du gibst mir Daten, ich geb' dir Geld. Wenn eine Versicherung Daten sammelt für mein Fahrverhalten im Auto, dann sollte ich dafür Geld bekommen.

Zum Schluss noch eine Frage zu den Regionen, in denen sich neue Technologien rasant und besonders intensiv entwickeln: Fast 10 Prozent der 100 disruptivsten Unternehmen der Welt stammen aus Israel. Zufall?
Israel ist bekannt dafür, dass es ein guter Nährboden ist für Innovationen. Es ist ein kleines Land, und das hat den Vorteil, dass man sich kennt. Die Gesellschaft und die Wirtschaft ist sehr gut vernetzt und offen, es herrscht ein guter Austausch. Die Infrastruktur ist vorhanden, es gibt Co-Working-Spaces, es ist Kapital da. Das ist ganz ähnlich wie im Silicon Valley.

Ist Israel das neue Silicon Valley?
So weit würde ich nicht gehen. Israel ist keine Konkurrenz zum Silicon Valley. Aber Israel ist ein durchaus ernst zu nehmendes Wirtschafts-System wie übrigens auch Estland, Skandinavien, New York, London, Südkorea, Japan, Deutschland und die Schweiz. Neben Israel tut übrigens Frankreich zurzeit am meisten, um Startups ins Land zu holen.

Sie sagen «teilweise auch die Schweiz». Was könnten wir hierzulande besser machen, um mehr Startups mit disruptiven Ideen zu fördern?
Die Schweiz als Bankenplatz ist prädestiniert für eine bedeutende Rolle im Fin-Tech-Bereich. Ich glaube, dass der Zugang zu Geld und Investitionskapital in der Schweiz das geringste Problem ist. Aber die Schweiz benötigt eine Infrastruktur, in der sich Startups entfalten können.

Welches sind die wichtigsten Voraussetzungen? 
Eine Kombination von Co-Working Spaces, Förderung und Anlaufstellen für Innovationen, sogenannten Innovation Hubs, sowie – last but not least – der Zugang zu ausreichend Entwicklern, Fachkräften und Spezialisten.

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13 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Klaus K.
24.07.2016 19:21registriert Mai 2016
Die Drohung, dass wer sich und seine Märkte und Politik nicht dem Globalen Kapital öffnet, verarme, verfängt längst nicht mehr. Siehe etwa Brexit: Die Mehrheit der Globalisierungsverlierer sagt Stop.
Eine kleine Superreiche Elite hat wohl geglaubt, die Globalisierung und die Grenzöffnungen der letzten 20 jahre sei gottgegeben, und hat gezockt und abgesahnt wos ging. Aber ohne eine gerechtere Verteilung des Wohlstands geht die Entwicklung wieder zurück Richtung Abschottung und eingeschränkte Märkte. Völlig nachvollziehbar. Und: Uber oder AirBnB ohne Zugang zu lokalen Märkten ist nichts wert.
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