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Die Titanic ist untergegangen, der Kapitän kann weitermachen

Enttäuschung bei Sean Simpson und seinem Team nach dem unerwarteten Achtelsfinal-Aus.
Enttäuschung bei Sean Simpson und seinem Team nach dem unerwarteten Achtelsfinal-Aus.Bild: Bildbyran

Die Titanic ist untergegangen, der Kapitän kann weitermachen

Unsere Hockey-Titanic ist auf den Eisberg aufgelaufen und im Ozean der Enttäuschung versunken. Die teuerste und nominell beste Nationalmannschaft ist in Sotschi gescheitert.
19.02.2014, 04:5719.02.2014, 13:00
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Den Viertelfinal schienen unsere Hockey-Helden in Sotschi so sicher zu erreichen wie vor hundert Jahren die Titanic den Hafen von New York. Die Titanic, das teuerste und beste Schiff ihrer Zeit, galt als unsinkbar. Unsere Nationalmannschaft, die teuerste und nominell beste aller Zeiten, schien im Achtelfinal in Sotschi unbesiegbar.

Die Titanic ist vor genau hundert Jahren gesunken. Unsere Nationalmannschaft hat im Achtelsfinal mit 1:3 gegen Lettland verloren und beendet das Turnier vorzeitig auf dem 9. Schlussrang. Karl Marx hatte doch recht. Der Miterfinder des Kommunismus sagte einst, die Geschichte wiederhole sich nie – und wenn, dann als Farce.

Das 1:0 gegen Lettland aus dem Startspiel wiederholte sich im Achtelfinal nicht. Die Wiederholung der Geschichte endete sozusagen als Farce mit einer 1:3- Niederlage gegen Lettland. 

Konsternation bei Sean Simpson und seinen Mannen.
Konsternation bei Sean Simpson und seinen Mannen.Bild: Reuters

Das Trauma des frühen Rückstands

Hockeytechnisch ist die Erklärung einfach: Defensiv Weltklasse (4 Gegentore in 4 Spielen). Aber nur eine Operetten-Offensive (3 Tore in 4 Spielen). Wir haben NHL-Goalies und NHL-Verteidiger mit Star-Status. Aber keinen NHL-Starstürmer. Nach wie vor fehlen uns auf diesem Niveau ein oder zwei offensive «Gamebreaker». Alles klar?

Nein. Die Gründe für das Scheitern in Sotschi liegen tiefer: Sean Simpson ist das Trauma des 1:0 nicht mehr los geworden.

Die Erwartungen für Sotschi waren nach dem WM-Final von Stockholm richtigerweise himmelhoch. Zum ersten Mal seit 1948 gehörten die Schweizer hier zu den Grossen. Sie traten in den drei Gruppenspielen in vielen Bereichen wie eine grosse Mannschaft auf: 1:0 gegen Lettland, 0:1 gegen Schweden, 1:0 gegen Tschechien. Also schien in den Achtelfinals Lettland kein ernsthafter Gegner zu sein.

Aber es war, als habe Sean Simpson als Kapitän auf der Kommandobrücke der Titanic die Gefahr geahnt. 1:0 – das konnte auf Dauer nicht gut gehen. Das Trauma des 1:0. Er musste eingreifen. Er stellte die Linien um und thematisierte die ungenügende Torausbeute. Und heimlich, still und leise, begannen auch die Spieler zu zweifeln. Dabei sollte ein Coach, wenn das Turnier einmal begonnen hat, den Dingen ihren Lauf lassen und die taktischen Hebel nur noch so knapp und präzis bedienen wie Piloten, die ein Flugzeug steuern.

Taktischer Aktivismus statt Gelassenheit

Bei der Silber-WM in Stockholm entwickelte die Mannschaft aus der Aussenseiterrolle heraus eine Dynamik, die sie auf ungeahnte Höhen trug. Sean Simpson veränderte das Gefüge des Teams nur noch minimal. Das System triumphierte in Stockholm über den Einzelspieler und in diesem System wuchs nicht nur Roman Josi über sich hinaus (als erster Schweizer zum wertvollsten Spieler einer WM gewählt).

Hier in Sotschi hat Sean Simpson nach dem so knappen 1:0 im Startspiel (der Treffer gegen Lettland fiel erst 7,9 Sekunden vor Schluss) und dem 0:1 gegen Schweden seinem System nicht mehr vertraut. Es konnte doch nicht sein, dass Damien Brunner, der produktivste NHL-Stürmer, einfach nicht traf.

Die Defensive funktionierte. Also musste er jetzt nur noch mit ein paar taktischen Handgriffen dafür sorgen, dass Damien Brunner trifft. Dann würde alles gut. Alle Umstellungen drehten sich nur noch um Brunner und in der letzten Partie stürmte der ehemalige Zuger-Topskorer neben drei verschiedenen Mittelstürmern. Taktischer Aktivismus statt Gelassenheit.

Damien Brunner hat kein Tor erzielt. Die Schweizer verloren die Unbeschwertheit, die sie bei der WM bis ins Finale getragen hatte. Sie wollten die Tore nicht mehr herausspielen. Sondern herausarbeiten. Aber Offensive ist im Kern immer Spiel. Leise heraufziehende Unsicherheit, ein Gegner mit einem Torhüter, der weit über sich hinauswächst, ein bisschen Pech, kräftigere und bessere gegnerische Verteidiger als bei der WM – und schon verloren wir gegen Lettland 1:3. Das olympische Abenteuer war vorbei, bevor es richtig angefangen hatte.

Die Bürde eines Weltklasse-Teams

Ist nun ein schöner Traum zu Ende? Ist das WM-Silber entwertet? Sind wir wieder Mittelmass? Nein. Aber in Sotschi erlebten wir als WM-Finalist erstmals den Alltag der Grossen. In jedem Spiel ist ein Sieg erwartet worden. Selbst die Kanadier stuften uns als mögliche Olympiasieger ein. Wir haben in Sotschi zum ersten Mal erfahren, welche Bürde es ist, Weltklasse zu sein. Zu den Grossen zu gehören.

An dieser Ausgangslage sind Sean Simpson und seine Spieler letztlich zerbrochen. Mit dieser Ausgangslage müssen sie leben lernen. Es ist ein Entwicklungsprozess. Deshalb ist es nicht notwendig, dass der Kapitän die Kommandobrücke verlässt. Die Polemik kann vorerst bis zur WM warten.

Es sollte einfach nicht sein.
Es sollte einfach nicht sein.Bild: X02025

Wir sind auch nach Sotschi viel zu gut für die Aussenseiterrolle. Aber immer noch nicht gut genug, um sichere Medaillenanwärter zu sein. Nach oben gibt es, wenn alles stimmt, inzwischen fast keine Grenzen mehr. Wie in Stockholm. Aber nach unten eben auch nicht, wenn nur ein paar Details nicht passen. Wie jetzt in Sotschi. Diese enorme Spanne ist typisch für die Ära Simpson: In fünf Titelturnieren dreimal nicht einmal im Viertelfinale (2011, 2012, 2014), einmal im Viertelfinale (2010) und einmal im Finale (2013).

Lieber ein Coach wie Sean Simpson, der zwar oft scheitert, der aber auch zu ganz grossen Heldentaten fähig ist, als ein Langweiler, der nie über die Viertelfinals hinauskommt.

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