Als Russlands Präsident Wladimir Putin das vorläufige Ende der South-Stream-Pipeline verkündete, schwang in seinen Worten unverhohlene Wut mit. Sie galt der EU-Kommission, die seit Monaten Front macht gegen die Gasleitung – und der bulgarischen Regierung, die sich dem Druck aus Brüssel gebeugt hatte.
Bulgarien sei offenbar «die Möglichkeit genommen worden, sich wie ein souveräner Staat zu verhalten», ätzte Putin. Unter diesen Umständen könne Russland unmöglich den Bau der Gasleitung South Stream vorantreiben und «Hunderte Millionen Dollar» investieren. Gazprom-Chef Alexej Miller fasste den Kern der Tirade seines Dienstherrn dann noch einmal in wenigen Worten zusammen: «Das war es, das Projekt ist am Ende.»
Das Aus des Prestigevorhabens bedeutet für den Kreml eine empfindliche Niederlage – politisch wie wirtschaftlich. Mit South Stream wollte Russland die Umgehung der Ukraine als wichtigstes Transitland für Erdgaslieferungen nach Europa abschliessen. Ab 2015 sollte das erste Gas über die 2400 Kilometer lange Gasleitung fliessen, ab 2018 waren insgesamt 63 Milliarden Kubikmeter im Jahr eingeplant.
Die neue Pipeline sollte aber auch helfen, Länder in Süd- und Osteuropa enger an Moskau zu binden. Die Pläne sahen vor, South Stream von Russland aus über den Grund des Schwarzen Meeres bis nach Bulgarien zu führen. Von dort sollte ein Röhrenstrang nach Griechenland und Italien abzweigen. Ein zweiter geplanter Strang führte über Serbien und Ungarn bis nach Österreich, ein Anschluss von Bosnien-Herzegowina und Kroatien war im Gespräch. Jede Menge Einfluss für Russland-Gas also, doch nun hinfällig.
Dass es anders kommt, liegt vor allem an EU-Kommissar Günther Oettinger, bis vor Kurzem zuständig für den Energiebereich. Angesichts der Ukraine-Krise verkündete Oettinger, es sei «das Gebot der Stunde, alles zu unternehmen, damit die Abhängigkeit vom russischen Gas keine gravierenden Folgen nach sich zieht».
Der Kommissar ging damit erst spät gegen South Stream vor, das brachte ihm massive Kritik der beteiligten Unternehmen ein, weil ihre Planungen weit fortgeschritten waren. Neben Gazprom gehören dazu die italienische Eni (20 Prozent), der französische Energieversorger EdF und die BASF-Tochter Wintershall (je 15 Prozent).
Die EU-Kommission beruft sich darauf, dass die von Gazprom mit den Transitländern geschlossenen Verträge EU-Recht brechen. Nach dem «Dritten Energiepaket der EU» dürfen Pipelines in Europa nicht von Unternehmen betrieben werden, die auch gleichzeitig Gas fördern. Die EU will so Abhängigkeiten von Grosskonzernen verhindern.
Moskau argumentierte dagegen, die South-Stream-Verträge seien mit den Transitländer geschlossen worden, bevor das Energiepaket in Kraft trat. Durchgesetzt aber hat sich nun Brüssel. Die bulgarische Regierung erwies sich dabei als verlässlicher Verbündeter und stoppte das Projekt. Mit der Rückkehr von Boiko Borissow auf den Premierministerposten in Sofia wurde dieser Kurs noch bestätigt: Borissow sieht Russlands Energiepolitik skeptisch. Er hatte angekündigt, South Stream nur zu bauen, wenn «EU-Regeln respektiert werden».
Einen Profiteur hat der Pipelinestreit: die Türkei. Gazprom-Chef Alexej Miller sagte dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu, dass statt der Erdgasleitung South Stream nun eine Offshore-Pipeline in die Türkei gebaut werden solle, an der EU vorbei. Ausserdem versprach der russische Präsident Putin der Türkei bei seinem Besuch in Ankara am Montag einen Rabatt von sechs Prozent für russische Gaslieferungen ab dem 1. Januar 2015.
Die 63 Milliarden Kubikmeter Gas, die pro Jahr für South Stream vorgesehen waren, sollen stattdessen an die Türkei geliefert und von dort aus auf die Märkte verteilt werden. Damit würde die Türkei zu einem wichtigen Umschlagplatz für russisches Erdgas werden. Ein entsprechendes Memorandum haben Russland und die Türkei unterzeichnet.
Von der Türkei aus könnte Gas dann auch bis an die Grenze zu Griechenland geliefert werden, so Moskauer Planspiele. Wie Europa das Gas von dort dann nach Südeuropa verteile, «ist dann schon nicht mehr unser Problem», heisst es im Umfeld von Gasprom.
In Ankara zeigten sich jedenfalls schon Ansätze für ein engeres Bündnis zwischen Russland und der Türkei: 60 Minuten wollten Erdogan und Putin laut Protokoll eigentlich miteinander reden.
Es wurden drei Stunden.