Berlin - Parteichef Bernd Lucke strahlte und jubelte schon, als es noch gar keine Hochrechnung gab. Schon kurz nach 18 Uhr, nach einer ersten Prognose, meldete sich der Parteichef der Alternative für Deutschland vor seinen Anhängern in Berlin zu Wort. Er sprach vom «Frühling in Deutschland» und davon, dass die «AfD aufgeblüht sei». «Wir sind die neue Volkspartei in Deutschland!» rief Lucke.
Das war natürlich eine gewaltige Übertreibung. Die AfD holte ein gutes Ergebnis, sie kommt laut aktuellen Hochrechnungen auf 6,5 bis 7 Prozent und wird damit wohl sechs oder sieben Abgeordnete ins Europaparlament schicken. Eine Volkspartei ist man damit aber ganz sicher nicht.
Abgesehen von Luckes Übermut ist die Europawahl doch ein Durchbruch der AfD, sie feiert ihren ersten Einzug in ein wichtiges Parlament. Nach ihrem Erfolgserlebnis bei der Bundestagswahl im September, wo sie mit 4,7 Prozent nur knapp den Einzug ins Parlament verpasst hatte, ist die AfD nun fünftstärkste Partei in Deutschland, deutlich vor der FDP. Die Alternative für Deutschland hat sich etabliert.
Die Lucke-Partei holte in absoluten Zahlen ähnlich viele Stimmen wie im September, doch weil die Wahlbeteiligung deutlich niedriger liegt, reicht es eben für ein Ergebnis von mehr als sechs Prozent. Die AfD hat ihre Wähler eher gehalten statt massenhaft neue Wähler dazugewonnen. Das legen die ersten Zahlen nahe.
Lucke schloss am Wahlabend nochmals eine Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen und Rechtspopulisten im Europaparlament aus. Man sei eine «konstruktive Partei». Vergessen schien in diesem Moment der ganze interne Zank der letzten Wochen.
Wen schicken die Europa-Kritiker nun nach Europa? Sprecher Lucke ist seit Monaten das Gesicht der jungen Partei. Der 51-jährige Ökonom stand auf Platz eins der Liste. Auch andere bekannte Namen gehen nach Strassburg: Ko-Spitzenkandidat Hans-Olaf Henkel und die Berliner Konservative Beatrix von Storch, die ähnlich heftig gegen die EU-Politik in der Schuldenkrise wie gegen liberale Positionen in der Sexualpolitik wettert.
Auch Bernd Kölmel, Landessprecher in Baden-Württemberg, der frühere VWL-Professor Joachim Starbatty und die Bauingenieurin Ulrike Trebesius aus Schleswig-Holstein gehen wohl nach Strassburg. Sie sind eine breiten Öffentlichkeit noch unbekannt. Trebesius will sich in Strassburg für eine Beschneidung der Kompetenzen der EU und für eine «deutliche Reduzierung des jetzigen überbordenden Beamtenapparates einsetzen, der zum reinen Selbstzweck verkommen ist».
Zuletzt rang selbst die Union um den richtigen Umgang mit den Anti-Euro-Populisten. Als Angela Merkel vor wenigen Tagen vor einer «Sozialunion» gewarnt hatte und dafür heftig kritisiert wurde, dürfte sie wohl auch die AfD im Hinterkopf gehabt haben. Der baden-württembergische Fraktionschef Peter Hauk, der eine Koalition mit der AfD nach den Landtagswahlen 2016 nicht ausschliessen wollte, wurde von seinen Parteifreunden zurückgepfiffen.
Die Frage, ob man die EU-Kritiker angreift oder ignoriert, wird die Union, gerade nach dem Ergebnis dieses Wahlsonntags, weiter beschäftigen. (fab)
Lesen Sie hierzu auch:
Konservative Parteien sind bei EU-Wahlen die Gewinner – AfD erzielt aus dem Stand über 6 Prozent >>
Front National legt in Frankreich kräftig zu >>
Rechtspopulist Wilders verliert bei EU-Wahl laut Prognosen fünf Prozentpunkte >>