Eurovision Song Contest
Populärkultur

Naidoo oder nicht Naidoo: Das ESC-Debakel des deutschen Fernsehens

Naidoo oder nicht Naidoo: Das ESC-Debakel des deutschen Fernsehens

Bild: AP
Erst schickt der deutsche NDR ungefragt den umstrittenen Kandidaten Xavier Naidoo ins ESC-Rennen. Nach dem folgenden Shitstorm in den sozialen Netzwerken rudert der Sender zurück – und kassiert noch mehr Kritik. Der Muttersender distanziert sich öffentlich – und dann wütet auch noch Til Schweiger.
23.11.2015, 16:4723.11.2015, 18:30
Philipp Dahm
Folge mir
Mehr «Eurovision Song Contest»

Es ist schon erstaunlich: Gerade noch hatte Deutschland das Image des sympathischen Grand-Prix-Gewinners – und schon hat die Nominierung eines neuerlichen ESC-Kandidaten für den Eurovision Song Contest für ein Drama gesorgt, das den Sieg von Lena anno 2010 in weite Ferne rücken lässt.

Damals wurde der Kandidat noch «demokratisch» durch Wahl des Publikums via Castingshow gekürt. Heute entscheidet der verantwortliche Norddeutsche Rundfunk (NDR) allein, wer das Land im Mai 2016 in Stockholm vertreten soll – und pickt sich ausgerechnet Xavier Naidoo heraus.

1. Akt: Die falsche Wahl und der Shitstorm

Die Reaktionen auf die Wahl fallen harsch aus:

Den folgenden Shitstorm hat sich der NDR höchstselbst eingebrockt: Es hagelt Kritik auf Social Media, eine Online-Petition wird aus der Taufe gehoben und der Feuilleton formiert seinen Widerstand.

«Xavier Naidoo ist ein herausragender Sänger, der nach meiner Überzeugung weder Rassist noch homophob ist. Es war klar, dass er polarisiert, aber die Wucht der Reaktionen hat uns überrascht. Wir haben das falsch eingeschätzt», sagte der zuständige NDR-Mann der Welt am Sonntag.

2. Akt: Der Rückzieher und der Shitstorm

Die späte Reaktion: Ob des Sturms der Entrüstung streicht der NDR die Segel – Naidoo wird als ESC-Kandidat nach 60 Stunden schon wieder versenkt.

Doch anstatt die Wogen zu glätten, fachen die Verantwortlichen den Shitstorm durch ihre Alleingänge und die katastrophale Kommunikation nur noch mehr an. «Ich hätte es begrüsst, wenn diese Diskussion ARD-intern hätte geführt werden können. So ist das alles sehr unglücklich gelaufen», murrt Volker Herres – notabene der Programmdirektor des Muttersenders ARD. Der Spott auf Twitter, Facebook und Co. lässt nicht lange auf sich warten.

Daneben kommt nun auch erneut Kritik auf – was wiederum am grossen Schweigen des NDR liegt. Nicht einmal Xavier Naidoo wird von den Hamburgern selbst über seine Demission informiert, wütet Bild – geschweige denn der geneigte deutsche ESC-Fan in den sozialen Netzwerke.

Auf Twitter? Nichts! Auf Facebook? Eine dünne Erklärung. Der Shitstorm? Bläst den Norddeutschen noch heftiger ins Gesicht. Und das dicke Ende für den NDR kommt erst noch ...

3. Akt: Promi-Shitstorm über den Shitstorm

Wieso das Auge des Sturms noch nicht erreicht ist? Weil schon wieder eine Online-Petition ins Leben gerufen wurde, die fordert, dass Naidoo nun doch wieder für Deutschland nominiert werden soll. Ausserdem haben sich namhafte Unterstützer des in Ungnade Gefallenen gefunden.

Comedian Michael Mittermaier hat zum Beispiel einen «billig innitierten Presse-Shitstorm» ausgemacht. «Tatort»-Draufgänger Till Schweiger greift das auf und poltert gewohnt gallig, die Kampagne gegen Naidoo sei eine «Form von Terrorismus».

Epilog: Selbst Schuld am Drama

Mittlerweile haben die Macher auf die Kritik reagiert – mit Gegen-Kritik. Auf der deutschen ESC-Website ist von einer Jagd auf Naidoo die Rede, bei der «kein Erbarmen» gezeigt würde: «Es hatte den Anschein, als sei die Diskussion im Netz sogar stärker als bei den Terroranschläge von Paris.»

Anstatt die Fehler bei sich zu suchen, greift der NDR die Kritiker an – und macht das Kommunikationsdesaster komplett. Mal sehen, ob die Hamburger den Kahn noch auf Kurs bringen können, bevor er im Shitstorm endgültig absäuft. Das Drama um den deutschen ESC-Beitrag dürfte noch lange nicht zu Ende sein.

Eurovision Song Contest
AbonnierenAbonnieren

ESC – die grosse Finalistenparade 2015

1 / 32
ESC, die grosse Finalistenparade
Genealogy hat sich für Armenien im Wald verlaufen.
quelle: epa/dpa / julianâ stratenschulte
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
11 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
StrangerBeast
23.11.2015 17:04registriert November 2014
Man legt viel zu viel Gewicht auf diese elenden Shitstorms, die sowieso nur von einer handvoll Personen wirklich unterstützt wird. Klar, wenn die NRD Naidoo wählte ohne ihn vorher zu informieren, ist das sehr ungünstig. Aber ich finde es seit geraumer Ewigkeit immer unglücklicher, dass Tweets so einen Stellenwert bekommen haben...
393
Melden
Zum Kommentar
avatar
Madison Pierce
23.11.2015 18:06registriert September 2015
11x Shitstorm in einem Artikel... Ich finde das einen ausgesprochen blöder Begriff, weil unspezifisch: Meint er Herumgebrülle von irgendwelchen Trolls? => Dann besser gar nicht berichten, um den Idioten keine Plattform zu bieten. Oder ist es berechtigte Kritik? => Dann unbedingt vertieft und einordnend berichten.

Einfach die Reaktionen zu zählen und dann einen Artikel über einen Shitstorm zu schreiben ist schon etwas die faule Variante. :)
292
Melden
Zum Kommentar
avatar
Pablo Zolan
23.11.2015 17:52registriert November 2015
peinlich, überhaupt auf den billigen shitstorm zu reagieren.
264
Melden
Zum Kommentar
11