Eine Woche ist es her, dass Frankreichs Präsident François Hollande den Terroristen des Islamischen Staats (IS) den Krieg erklärt hat. Jetzt ist der Krieg in Frankreich angekommen: Hervé Gourdel, 55, ein Bergführer aus Südfrankreich, wurde von Extremisten der Gruppe «Dschund al-Chilafah» (Soldaten des Kalifats) ermordet.
Die Mitglieder dieser Gruppe sind ehemalige Qaida-Aktivisten, erst im August haben sie sich dem IS angeschlossen. Sie entführten den Franzosen am Sonntag bei einer Wanderung rund hundert Kilometer östlich von Algier und forderten den Stopp der französischen Angriffe gegen den IS im Irak.
Paris lehnte ab – und die Enthauptung folgte prompt. Inszeniert wie die Bluttaten an den US-Journalisten James Foley, Steven Sottloff und dem britischen Entwicklungshelfer David Haines wurde das Video im Internet verbreitet – als «Botschaft des Blutes an die französische Regierung» und «Racheakt an den kriminellen französischen Kreuzrittern».
Seither steht die Nation unter kollektivem Schock, geeint in Trauer, Empörung, Wut. «Barbarei» titelt der «Figaro», «Verbrechen» die Zeitung «Le Parisien». «Enthauptet, weil er Franzose war», so die Schlagzeile von «Libération». Der Mord an Gourdel liess sogar den Streit um die missglückte Festnahme von drei französischen Dschihadisten in den Hintergrund treten.
Gourdel sei «feige, gemein und schmachvoll» exekutiert worden, sagte Präsident Hollande am Rande der UNO-Vollversammlung in New York: «Aber Frankreich wird dem Terror nicht nachgeben, das ist nicht nur unsere Pflicht, sondern eine Frage der Ehre.» Der Kampf gegen den Terror werde verstärkt, und die Angriffe würden weitergehen, «so lange wie nötig».
Der Mord an Gourdel sorgte für eine Welle der Anteilnahme und Solidarität. Die Europäische Union geisselte die Enthauptung als «barbarischen Mord», US-Präsident Barack Obama versicherte Frankreich seine Verbundenheit «angesichts eines schrecklichen Verlustes».
Besonders tief sitzt der Schmerz in Saint-Martin-Vésubie, dem Heimatort des Bergführers. Bis zuletzt hatte die Familie auf ein Einlenken der Islamisten gehofft, nun trafen sich Familienangehörige und Freunde, noch immer überwältigt von Schmerz und Wut. Fast jeder der 1300 Einwohner des Ortes am Fuss des Mercantour-Massivs kannte den Naturliebhaber und begeisterten Fotografen, der gerade dabei war, hier ein Haus zu bauen. «Wir sind erschüttert», sagte der Bürgermeister vor dem Rathaus, wo die Trikolore auf Halbmast weht.
Auch Frankreichs Parteien verurteilten einmütig den «Akt der Grausamkeit», der Zentralrat von Frankreichs Muslimen zeigte sich von dem Vorfall «entsetzt». Elisabeth Guigou, Vorsitzende der Auswärtigen Kommission in der Nationalversammlung, sprach im Nachrichtensender «i-télé» von einer «nationalen Tragödie». Christian Estrosi, Bürgermeister von Nizza und ein persönlicher Freund des Ermordeten, forderte einen landesweiten Trauertag: «Hervé war ein Kind Frankreichs, ein unschuldiger Bürger, der ins Visier der Barbaren geriet.»
Diese Erkenntnis dämmert allmählich der Bevölkerung. Bislang lagen die Schauplätze von Krieg, Terror und Mord weit entfernt. Oder sie betrafen – wie beim Attentat auf das jüdische Museum von Brüssel – eine religiöse Minderheit. Jetzt aber sind «alle Franzosen betroffen», wie Präsident Hollande betont. Bereits am Montag hatte die Regierung ihre Bürger bei Reisen in rund 30 Länder zu «allergrösster Vorsicht» aufgerufen.
Die Islamisten aus Algerien verstehen sich als Befehlsempfänger des Islamischen Staates. Und der hatte am Montag seine Anhänger dazu aufgerufen, Bürger aller Staaten zu töten, die sich der von den Vereinigten Staaten angeführten Koalition gegen ihn angeschlossen haben. In der Drohung wurden insbesondere Franzosen und US-Bürger als Ziel genannt.
«Frankreich wird zur brisanten Zielscheibe», schreibt Fréderic Encel, Professor für Internationale Beziehungen in Paris, auf der Internetseite des Magazins «Le Nouvel Observateur». «Diejenigen, die ausserhalb unserer Landesgrenzen leben, müssen ausserordentlich wachsam sein.»
Auch Mathieu Guidère, Islamwissenschaftler an der Universität Toulouse, ist besorgt: «Die Tatsache, dass der Chef des Islamischen Staates den Befehl ausgibt, Franzosen anzugreifen, macht diese Operationen zu den eigenen Taten», so Guidère. «Und da der IS einen Modus Operandi von extremer Barbarei verfolgt, steht das Schlimmste noch zu befürchten.»