Gesellschaft & Politik

«Dann gibt es keine 24-Stunden-Bereitschaft»

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Ueli Maurer droht bei Gripen-Nein

«Dann gibt es keine 24-Stunden-Bereitschaft»

Der Verteidigungsminister geht in die Offensive: Ueli Maurer droht damit, die 24-Stunden-Einsatzbereitschaft nur einzuführen, wenn das Stimmvolk am 18. Mai dem Kauf des Gripen-Jets zustimmt.
24.03.2014, 03:4424.03.2014, 13:17
LORENZ HONEGGER UND CHRISTIAN DORER, aargauer zeitung
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Herr Bundesrat, Ihr Verhältnis zur schwedischen Verteidigungsministerin Karin Enström scheint sehr harmonisch zu sein. Alles nur Show oder ist die Sympathie echt?

Ueli Maurer: Persönlich verstehen wir uns sehr gut. Und unsere Armee arbeitet mit keinem Partnerland länger zusammen als mit Schweden. 

Sie wollen uns klarmachen, warum die Luftwaffe 22 schwedische Kampfflugzeuge braucht. Doch ausgerechnet Ihr eigenes Departement schrieb 2010 im Armeebericht: «Selbst mit den 33 F/A-18 sind die Mittel vorhanden, um den Luftpolizeidienst mit eigenen Kampfflugzeugen und aus eigenen Kräften sicherzustellen.» Im Klartext: Die Schweiz kann sich das Geld für neue Kampfjets sparen. 

Sie haben das Wesen der Armee nicht verstanden. Der Luftpolizeidienst ist ein ziviler Auftrag, den die Luftwaffe im Auftrag des Bundesamtes für Zivilluftfahrt erfüllt. Wir machen das in der Luft, was die zivile Polizei am Boden macht. Das ist aber längst nicht alles: Die Armee ist auch für den Konfliktfall da. Dafür reichen die F/A-18 nicht aus. 

Aber wenn ich als Bürger von einer friedlichen Situation ausgehe, dann kann ich also Nein zum Gripen stimmen? 

Nein. Jedes Land in Europa hat eine Luftwaffe und schützt damit seinen Luftraum – auch wir. Wir leisten damit einen grossen Beitrag zur Sicherheit und Stabilität auf dem Kontinent. Es ist nicht einzusehen, warum sich ausgerechnet die reiche Schweiz drücken soll. 

«Wir leisten damit einen grossen Beitrag zur Sicherheit und Stabilität auf dem Kontinent.»
Ueli Maurer

Trotzdem: Ob wir 32 oder 54 Flugzeuge haben, spielt keine grosse Rolle. Je nachdem könnte unsere Luftwaffe im Krisenfall ein paar Wochen länger oder weniger lang in der Luft bleiben. 

Die 22 Flieger, die wir zusätzlich kaufen wollen, sind ein politischer Kompromiss. Die Armee plante ursprünglich mit 50 neuen Fliegern und ging dann auf 33 Stück zurück. Dann musste man nochmals sparen und reduzierte auf 22 – damit erreichen wir im Konfliktfall gerade mal eine minimale Einsatzfähigkeit. 

Sie sprechen vom Konfliktfall. So recht kann man sich das in der Schweiz nicht vorstellen. 

Schauen Sie in die Ukraine: Anfang Jahr war das Land in keiner Zeitung ein Thema. Jetzt ist es der grösste Konfliktherd im europäischen Raum. Wir wollen die 22 Gripen bis im Jahr 2050 nutzen. Niemand kann sagen, was bis dann in Europa alles passiert. Die Flieger und die Armee als Ganzes sind eine Versicherung für den schlimmsten Fall. Sie haben auch eine Diebstahlversicherung, obwohl Sie nicht ständig damit rechnen, dass Ihnen etwas geklaut wird. 

Ist es nicht etwas billig, die Ukraine zu bemühen? Unsere Nachbarn heissen Deutschland, Italien, Frankreich – die werden nicht einmarschieren. 

Zum Glück nicht. Hätten wir andere Nachbarn, müssten wir nicht 54, sondern 122 Flugzeuge haben. Warum wollen Sie ausgerechnet in der Schweiz keine Flieger? Sind Sie ein Profiteur? Wollen Sie, dass die Franzosen unseren Luftraum übernehmen? 

«Es ergibt keinen Sinn, 40 bis 50 zusätzliche Piloten auszubilden, wenn diese ohne neue Gripen ungefähr 2025 womöglich nicht mehr gebraucht werden.»
Ueli Maurer

Das geschieht ja bereits heute: Als im Februar ein äthiopischer Pilot ein Passagierflugzeug frühmorgens nach Genf entführte, griffen italienische und französische Jets ein. Die Schweizer Luftwaffe war da noch im Schlafmodus. 

Das ist eine Folge der jahrelangen Sparprogramme bei der Armee. Man hat uns Stellen abgebaut und Geld weggenommen. Die permanente 24-Stunden-Interventionsmöglichkeit mit Jets ist nur möglich, wenn wir über 100 neue Stellen schaffen können, denn es braucht neben Bodenpersonal auch 40 bis 50 neu ausgebildete Piloten. Die Konsequenz aus dem Fall Äthiopien lautet für mich, dass die Armee mehr Geld braucht. Das Parlament hat das zum Glück schon letztes Jahr eingesehen. 

Aber warum haben Sie nicht schon viel früher vorwärtsgemacht? Die 24-Stunden-Bereitschaft kostet 30 Millionen Franken mehr pro Jahr – das ist weniger als 1 Prozent des Armeebudgets von weit über 4 Milliarden. 

Das ist ein Überlegungsfehler! Sie konnten mir noch nicht richtig folgen: Aktuell sind wir während 30 Stunden pro Woche einsatzbereit. Bei einer 24-Stunden-Einsatzbereitschaft wären es 168 Stunden – also fast sechs Mal so lange wie heute. Dazu brauchen wir viel mehr Piloten, deren Ausbildung sechs Jahre dauert, also bis 2020. Die entscheidende Frage lautet aber: Lohnt es sich, so viele Leute auszubilden, wenn man sie ab ungefähr 2025 bei der Ausmusterung der ersten F/A-18 bereits wieder aus dem Verkehr nehmen muss? 

Im Zentrum der Debatte: der Gripen-Kampfjet.
Im Zentrum der Debatte: der Gripen-Kampfjet.Bild: KEYSTONE

Wie lautet Ihre Antwort? 

Ich sage klar: Nein, es lohnt sich nur dann, wenn die Luftwaffe jetzt den Gripen beschaffen kann und damit eine Kontinuität auf lange Zeit hinaus garantiert ist. Falls der Gripen abgelehnt wird, gehe ich mit dem Auftrag der permanenten Luftraumüberwachung zurück ins Parlament, damit es die Lage neu beurteilt: Es macht keinen Sinn, jetzt alles aufzubauen, wenn die F/A-18 in absehbarer Zeit ausgemustert werden und wir keine Gewissheit haben, ob wir dannzumal neue Jets beschaffen können. Das mache ich nicht mit. Dann gibt es keine 24-Stunden-Bereitschaft und wir verpulvern nicht 30 Millionen jährlich ohne Perspektive. 

«Den Gripen nach einem allfälligen Nein zu mieten, steht nicht zur Debatte.»

Können Sie nachvollziehen, dass eine Luftwaffe, die nur zu Bürozeiten fliegt, in der Bevölkerung unglaubwürdig wirkt? 

Ja, aber dann muss die Bevölkerung halt bereit sein, mehr Geld für die Sicherheit auszugeben, schlicht und einfach! Es hängt weder mit der Faulheit der Piloten noch mit der Faulheit der Armee zusammen, dass wir keine permanente 24-Stunden-Interventionsmöglichkeit haben, sondern mit der Politik, die der Armee das Geld verweigert. 

Trotz allem ist es eine Illusion, dass sich die Schweiz im Konflikt- oder Kriegsfall selber verteidigen könnte – mit oder ohne Gripen. Sie wäre auf die Unterstützung der Nato angewiesen. 

Das kommt auf die Situation an. Ich schliesse gar nichts aus. Was ich weiss: Wenn es in Europa irgendwo brennt, kommen die Nato-Staaten mit ihren Flugzeugen nicht als Erstes in die Schweiz, sondern sie kümmern sich zuerst um sich selbst. Keine Luftwaffe hat genügend Reserven, um der Schweiz in jeder erdenklichen Lage zu helfen. Und sowieso: Wer so denkt, ist ein Schmarotzer. Es kann doch nicht sein, dass wir als reiches Land erwarten, dass uns die anderen zu Hilfe eilen, wenn bei uns etwas passiert. 

Es gibt Spekulationen, dass die Armee im Fall eines Neins zum Gripen einfach ältere Gripen-Kampfjets von Schweden mieten würde. Können Sie das bestätigen? 

Eine Gripen-Mietlösung gibt es nur im Fall eines Ja, um die Phase bis zur Auslieferung der 22 neuen Gripen zu überbrücken. Bei einem Nein müsste zuerst analysiert werden, warum das Volk den Jet abgelehnt hat. Den Gripen nach einem allfälligen Nein zu mieten, steht nicht zur Debatte. Das wäre wahrscheinlich auch gegen den Volkswillen. 

Eine valable Option wäre es, die am Ende ihrer Lebenszeit stehende Tiger-Flotte erst im kommenden Jahrzehnt zusammen mit den F/A-18 zu ersetzen. So gäbe es eine Gesamterneuerung der Luftwaffe mit nur noch einer einzigen Flotte. 

Das wäre ein Schreckensszenario. Wir müssten auf einen Schlag mindestens 50 neue Flugzeuge kaufen. Das wären Ausgaben von gegen 10 Milliarden Franken. Es ist nicht sinnvoll, so grosse Rüstungsprojekte auf einmal zu tätigen. Letztlich fehlt uns auch das Geld dazu. Die Beschaffung in kleineren Schritten ist der richtige Weg. 

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Würde das Armeebudget im Fall eines Neins wieder von 5 auf 4,7 Milliarden Franken reduziert? 

Die Armee bräuchte im Fall eines Neins sogar ein höheres Budget, um die Luftverteidigung aufrechtzuerhalten. Sie müsste vorübergehend stark in die Fliegerabwehr investieren. Jede andere Lösung wäre teurer als die Beschaffung des Gripen. 

Ihr Mantra lautet: Wer Ja sagt zur Armee, muss auch Ja sagen zum Gripen. Warum eigentlich? Die Armee besteht nicht nur aus Kampfjets. 

Kennen Sie ein Auto, das ohne Hinterachse fährt? Die Armee ist ein Gesamtsystem, und etwas vom Wichtigsten ist die Luftwaffe. Ohne Luftunterstützung können Sie die Armee am Boden nicht bewegen. 

Niemand will die Luftwaffe abschaffen. Bei einem Nein zum Gripen wäre sie lediglich schlanker. 

Wenn wir die Tiger jetzt nicht ersetzen, haben wir in zehn, fünfzehn Jahren, nach Beginn der Ausmusterung der F/A-18, keine Luftwaffe mehr. Wir verlieren unser ganzes Know-how. 

Bis jetzt greifen Ihre Argumente nicht. Obwohl Armeevorlagen an der Urne in der Regel problemlos durchkommen, prognostizierte eine erste Umfrage dem Gripen 62 Prozent Nein-Stimmen. 

Ich kommentiere Umfragen grundsätzlich nicht. Klar: Die Zustimmung wird nicht so deutlich sein wie bei der Wehrpflicht, aber der Gripen wird durchkommen. 

Der schwedische Staat und die Rüstungsfirma Saab haben mehrmals versucht, sich in den Abstimmungskampf einzumischen. Stockholms Botschafter stellte einen Masterplan auf. Wieso haben Sie das zugelassen? 

Was der schwedische Botschafter nach Stockholm rapportiert, habe ich nicht zu verantworten. In Tat und Wahrheit hat keine Einmischung stattgefunden. 

Aber auch nur, weil Sie die Notbremse gezogen haben: Ursprünglich wollten Sie auf der Lenzerheide eine Werbeflugshow mit dem Gripen durchführen, sagten sie dann aber ab. Das zeigt doch, dass es Ihnen unangenehm wurde. 

Nein, überhaupt nicht. Ich würde der Bevölkerung den Gripen sehr gern zeigen. Es ist immer das Gleiche in der Politik: Man macht die eine Hälfte wütend und die andere Hälfte glücklich. Wir hätten mindestens die Hälfte der Schweiz euphorisiert, wenn wir den Gripen gezeigt hätten. Jetzt kam es leider nicht dazu. 

Als Verteidigungsminister beschäftigen Sie sich sicher mit dem Konflikt zwischen der Ukraine und Russland. Wie gefährlich ist die Situation? 

Der Ost-West-Konflikt, den man nach dem Mauerfall als bereinigt betrachtete, schwelt weiter. Eine Prognose zu machen, ist schwierig. 

Hätten Sie vor einem Jahr damit gerechnet? 

Sicherheitspolitisch war es nie von der Hand zu weisen, dass diese Gefahr besteht. Die Armee denkt solche Szenarien ständig durch. Aber wir können nicht darüber sprechen, weil sie politisch unkorrekt sind. 

Als erste Reaktion haben Sie die Ausbildung von russischen Gebirgssoldaten in Andermatt ausgesetzt. Kommt eine Wiederaufnahme überhaupt infrage? 

Ich würde nichts ausschliessen. Immerhin feiert die Eidgenossenschaft dieses Jahr 200 Jahre diplomatische Beziehungen mit Russland. Wir haben immer noch einen Offizier in Moskau, der dort an der Generalstabsausbildung teilnimmt. Der bleibt dort, genauso wie der Verteidigungsattaché und der Botschafter. 


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