Es ist Frühling, schon liegt das neue Lohnbuch wieder auf dem Tisch. Die Ausgabe 2014 des Standardwerks für die ganze Schweiz ist erneut gewachsen und bringt stolze 2,5 Kilogramm auf die Waage. «Erstmals sind 9000 Löhne enthalten und erstmals können wir das Werk auch elektronisch anbieten», freut sich Autor Philipp Mülhauser. Dank Überstunden kam es rechtzeitig zum Druck, die Nachfrage ist grösser als in anderen Jahren.
Kein Wunder, knapp vier Wochen vor der Abstimmung über die Mindestlohninitiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Landauf, landab fassen die Parteien ihre Parolen, SP und Grüne sind natürlich dafür, SVP und FDP selbstverständlich dagegen, andere müssen stärker um ihre Position ringen.
Gibt es sie überhaupt noch, Berufe und Branchen mit weniger als 4000 Franken im Monat? Konkret verlangt werden 22 Franken pro Stunde, die sich bei 42 Wochenstunden und 12 statt 13 Monatslöhnen zur Mindestforderung summieren. Wer das Buch durchkämmt, findet erstaunlich viele Mindestlöhne zwischen 3200 und 3900 Franken. Sie stützen sich auf Gesamtarbeitsverträge der Branchen, vom Gartenbauer, Metzger und Bäcker über die grafische Industrie und Maschinenindustrie bis hin zu Monteuren und Chauffeuren.
Im Lebensmittelhandel hat Lidl mit 4100 Franken die beiden Grössten überholt. «Aber in der Realität kommen Verkäuferinnen selten auf diesen Lohn», erklärt Mülhauser – weil die meisten nur Teilzeit arbeiten. Bei Migros und Coop bewegen sich die Verkäuferinnen zwischen 3800 bis 3900 Franken. Mit einer weiteren Erhöhung könnten die Grossverteiler die verlangte Limite per 2015 erreichen.
In der ganzen Nordwestschweiz müssen sieben Prozent der Arbeitnehmenden mit den Tiefstlöhnen auskommen. Landesweit verdienen (noch) 330 000 Frauen und Männer weniger als 4000 Franken. Gross ist der Anteil der jungen Leute, denn beim Einstieg in Beruf oder Arbeitswelt kommt am wenigsten Geld aufs Lohnkonto.
Starke Unterschiede gibt es in der Schweiz nicht nur nach Branchen und Regionen, sondern auch nach Geschlecht. Auf der Basis von 100 Prozent im Kanton Zürich sind die Abweichungen in sieben Schweizer Regionen präzis festgehalten. «Bei gleicher Arbeit und Leistung verdienen Frauen im Durchschnitt acht bis zehn Prozent weniger», erklärt der Lohnbuch-Autor. Das könne man nicht wegdiskutieren. Immerhin: «Eine Annäherung findet statt, aber nur sehr schleppend», präzisiert Philipp Mülhauser.
Nicht erwähnt sind im Buch jene Frauen und Männer, die als Antrittsprämien und erneut beim Abgang Summen kassieren, für die mancher Büezer jahrelang schuften muss. Es geht also nicht um die Millionen-Abzocker und Höchstlöhne, sondern um die Normalverdiener. «Es gibt Besserverdienende, die besser weniger verdienen würden», steht in einem der eingestreuten Zitate.
Für Normalverdiener sind die Löhne im letzten Jahr nicht oder nur minimal angestiegen. Besser sieht der Zehnjahresvergleich aus (Tabelle unten), wobei die kumulierte Teuerung von 5,8 Prozent zu berücksichtigen ist. An der Spitze in der Tabelle stehen Finanzfachleute, Diplomaten und Flugverkehrsleiter, am Schluss Coiffeusen, Taxifahrer und die als Schlusslicht berüchtigte Pferdepflegerin. Bei allen Zahlen handelt es sich um GAV-Bruttolöhne oder orts- und berufsübliche Mindestlöhne ohne Zulagen oder Vergütungen.
Das Aargauer Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) hat das grosse Lohnbuch vor 15 Jahren geschaffen, um schon im Vorfeld der Personenfreizügigkeit mit der EU eine Fülle von Mindestlöhnen als Vergleichsbasis zu haben. Zu Lohndumping kommt es immer wieder, oft auf dem Bau, jüngst auch bei ausländischen Lokomotivführern, die ihre SBB-Kollegen massiv unterbieten wollen.