Gesellschaft & Politik
Region Mittelland

«Das Ziel meiner drei Gegner war es erklärtermassen, mich aus den Ämtern zu kippen.»

Der entmachtete grüne Stadtammann Geri Müller anlässlich der Pressekonferenz zu seiner Selfie-Affäre.
Der entmachtete grüne Stadtammann Geri Müller anlässlich der Pressekonferenz zu seiner Selfie-Affäre.Bild: KEYSTONE
Interview mit Geri Müller

«Das Ziel meiner drei Gegner war es erklärtermassen, mich aus den Ämtern zu kippen.»

Der gestrauchelte Badener Stadtammann kehrt am Montag unerwünschterweise ins Büro zurück. Geri Müller über Freunde im Stadthaus, Denunziokratie und den langen Marsch zurück in die Politik.
02.09.2014, 23:2003.09.2014, 18:04
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Geri Müller, Stadtammann von Baden und Nationalrat der Grünen hat angekündigt, seine Arbeit im Badener Stadthaus am Montag wieder aufzunehmen. Kurz darauf liess der Stadtrat vermelden, dass er dem wegen Nacktselfies in die Schlagzeilen geratenen Müller sämtliche Dossiers entziehe. Er dürfe künftig bloss noch repräsentieren und die Stadtratssitzungen leiten. 

Herr Müller, Sie kehren am Montag ins Badener Stadthaus zurück, obwohl der Stadtrat Sie dort nicht haben will. Was werden Sie tun an Ihrem ersten Tag? 
Geri Müller: Ich werde versuchen, mit möglichst vielen Leuten zu sprechen. Es geht darum, das Vertrauen der Amtskollegen und der Bevölkerung zurückzugewinnen. Das geht nur über Gespräche. Und den Tatbeweis. 

Welchen Tatbeweis? 
Indem ich gute Arbeit leiste. Ich habe in der Vergangenheit gezeigt, dass ich meine Aufgaben als Stadtammann gut bis sehr gut erledige. Nicht einmal meine politischen Gegner haben meinen Leistungsausweis in Frage gestellt. 

«Ich bin überzeugt, dass ich das Vertrauen zurückgewinnen kann.»
Chatpartnerin meldet sich 
Wenige Stunden, nachdem Geri Müller bekannt gab, dass er am kommenden Montag sein Amt wieder aufnehmen werde, schreibt die Chatpartnerin auch watson: Sie habe soeben erfahren, dass er an seinen Ämtern festhalten wolle. «Ich habe grosse Bedenken, ob das gut kommt, wenn er unbedingt seine Ämter behalten will. Denn Geri Müller hat an seiner Pressekonferenz nicht die Wahrheit gesagt. Ich habe keine Rufschädigungsabsichten, auch ist/war es nie mein Ziel, ihn aus seinen Ämtern zu vertreiben. Schlussendlich muss Geri Müller selber wissen, was er tut», so die Chatpartnerin. (egg)

Aber der Stadtrat hat Ihnen die Dossiers entzogen. Sie dürfen überhaupt nicht arbeiten. 
Wie gesagt: Als erstes werde ich viele Gespräche führen müssen. Mit den Amtskollegen, aber auch mit der Bevölkerung. Ich habe noch viel an Arbeit zu erledigen. 

Haben Sie gewusst, dass der Stadtrat so reagieren wird, wenn Sie öffentlich Ihre Rückkehr in das Amt des Stadtammanns ankündigen?
Das hat man mir in Gesprächen zu verstehen gegeben, ja. 

Wissen Sie, ob der ganze Stadtrat diesen Entscheid mitgetragen hat?
Der Stadtrat entscheidet immer kollegial.

«Es ist nicht das ganze Stadthaus gegen mich, das habe ich klar gespürt.»

Was werden Sie tun, wenn die Stadträte nicht mit Ihnen sprechen wollen? Wenn Sie fadenscheinig begründete Termine vorschützen, um Gespräche zu vermeiden? 
Ich glaube nicht, dass wir im Stadtrat ein derart vergiftetes Klima haben. Auf der persönlichen Ebene habe ich immer mit allen Mitgliedern des Stadtrates sprechen können. Ich habe jetzt eine lange Zeit mit meinen Kollegen im Stadthaus zusammengearbeitet und ich bin überzeugt, dass ich das Vertrauen zurückgewinnen kann. 

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Wie schnell? Haben Sie sich eine Deadline gesetzt? 
Das ist natürlich eine Frage der Zeit und es wird nicht schnell gehen. Aber ich bin sicher, dass es möglich ist. Noch vor einem Monat hätte niemand gedacht, dass es einen solchen Wirbel um mich geben könnte und bereits jetzt hat sich dieser Orkan wieder beruhigt. In ein paar Wochen kann die Welt wieder ganz anders aussehen. 

Ich könnte mir nicht vorstellen, in ein Büro arbeiten zu gehen, wo mich eigentlich niemand mehr haben will. Warum tun Sie sich das an? 
Aus den Vorwürfen gegen mich hat sich nichts strafrechtlich Relevantes erhärtet. Auch keine Fehlleistungen im Amt oder gar Amtsmissbrauch, wie mir vorgeworfen worden ist. Zu Ihrer Frage: Es ist nicht das ganze Stadthaus gegen mich, das habe ich klar gespürt. 

«Wenn ich jetzt zurückträte, dann stünde ich am Anfang einer für die Schweizer Politik ganz verheerenden Entwicklung.»

Sie könnten zurücktreten und sich wiederwählen lassen. Das Stimmvolk würde entscheiden und sie wären wieder voll legitimiert.

Das Stimmvolk hat schon entschieden. Ich bin demokratisch in ein Amt gewählt worden von einer Mehrheit der Badener Stimmbürger. Wenn ich jetzt zurückträte, dann stünde ich am Anfang einer für die Schweizer Politik ganz verheerenden Entwicklung. Es wäre ein Fanal für eine denunziantenbasierte Staatsform. Eine, in der ein paar Wenige willentlich jemanden mit Enthüllung der Intimsphäre aus allen Ämtern kippen können. Es wäre auch die Abkehr von der demokratiebasierten Staatsform, in der die Mehrheit entscheidet, wer ein Amt ausüben soll oder nicht. 

Fanal für eine denunziantenbasierte Staatsform? Denunziokratie? 
Ja, genau. Das Ziel meiner drei Gegner (Wigdorovits, Bollag, N.W., Anm. d. Red.) war es erklärtermassen, mich aus den Ämtern zu kippen. Und zwar aus allen. Wenn das salonfähig wird, dass Medien und politische Gegner rachsüchtigen Ex-Partnern oder sonstigen persönlichen Feinden von Politikern Plattformen geben und Vorfälle aus der Intimsphäre ausschlachten: Wer würde dann noch für irgendwelche Ämter kandidieren? Und die meisten würden auch nicht lange im Amt bleiben. Ich glaube, dass jeder Mensch Schwächen kennt, welche er nicht öffentlich diskutiert haben möchte. 

Wer erwischt wird, macht sich erpressbar. Nicht? 
Warum denn? Nicht, solange man nichts Illegales macht. Was macht einen denn erpressbar? Es ist nur die Bereitschaft der politischen Gegner und der Medien, jemandem wegen eines solchen Vorfalls das Genick zu brechen. Unter Berufung auf angeblich verbindlich einzuhaltende moralische Normen und ein öffentliches Interesse, das erst durch die Medien generiert wird. 

«Schlafen und essen ist schwierig, wenn man unter einem solchen Stress steht.»

Werden Sie die Desinteresseerklärung an einer Strafverfolgung gegen ihre ehemalige Chatpartnerin wegen unerlaubter Tonaufnahmen abgeben? 
Das ist derzeit kein Thema. Ich habe auch niemandem je gesagt, dass ich diese Klage zurückziehen werde. Das habe ich auch erst in der Zeitung gelesen. Natürlich gibt es Gespräche zwischen den Anwälten und eine Desinteresseerklärung ist immer eine Option, aber ich habe mich in den letzten Wochen um anderes kümmern müssen. 

Sie sind abgetaucht. Wo waren Sie? Hatten Sie psychologische Unterstützung?
Ich möchte da nicht ins Detail gehen. Ich war in einer simplen Erholungskur. Sie können sich vorstellen, dass mich die Geschehnisse auch körperlich mitgenommen haben. Schlafen und essen ist schwierig, wenn man unter einem solchen Stress steht. Entsprechend geschwächt ist man. Aber der Arzt sagt, ich sei wieder auf dem Damm. Am Montag kann es wieder losgehen mit der Arbeit.

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22 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Zeit_Genosse
03.09.2014 07:37registriert Februar 2014
Er hat sich nichts zuschulden kommen lassen, ausser eine durch die Medien an die Öffentlichkeit gezerrte unappetittliche und persönliche Affäre durchlebt, die beendet ist. Dass sich die Chatpartnerin zu politischen Dingen, wie, ob er im Stadtrat weiter amtieren soll, selbst wieder an die Medien wendet, ist sehr befremdend. Und dass die Stadtratskollegen ihn aus Angst, sie könnten wegen fehlendem Rückgrat nicht mehr gewählt werden, undemokratisch komplottmässig fallen lassen, ist eben so schräg. Er ist gewählt und hat einen guten Job gemacht. Das einzige was bleibt ist den Gegnern mit der Moral zu kommen. Es hätte aber moralisch auch stark sein können, ihn im Stadtrats-Kollektiv wieder aufzunehmen und ihm eine 2. Chance zu geben, die er sicher verdient hat, weil er keine Schuldtat begangen hat. Lasst ihn doch wieder Tritt fassen und aufstehen. Etwas Grösse täte den politischen Gegnern gut.
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loccodelcocco
03.09.2014 07:48registriert Januar 2014
260'000 Franken Lohn als Stadtrat
120'000 Franken Lohn als Nationalrat
Gehen wir doch in der bezahlten Freizeit in eine Erholungskur - die selbst getragenen Kosten für die Gesundheit kann man auch gut von den Steuern absetzen. Montag schleich ich dann im Büro rum und rede mit Leuten, die eigentlich arbeiten sollten über persönliche Erlebnisse, tragische Wendungen und Vertrauen.
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