Das schottische Unabhängigkeitsreferendum wühlt Berwick-upon-Tweed auf. Umfragen zeigen, dass die Hälfte der Bewohner von Englands nördlichster Stadt sich eher den Schotten verbunden fühlen. Was denken die Menschen hier? Ein Streifzug.
Wer die Einwohner von Berwick-upon-Tweed nach ihrer Meinung zur möglichen Unabhängigkeit Schottlands fragt, bekommt leidenschaftliche Antworten. Berwick ist die nördlichste Stadt Englands, rund 13'000 Menschen leben hier. Die schottische Grenze ist nur vier Kilometer entfernt.
Noch heute existiert jene Brücke über den Fluss Tweed, die König James VI. von Schottland bauen liess, nachdem er 1603 auf seinem Weg nach London die alte, baufällige Brücke überquert hatte.
In London vereinte er die Königreiche Schottland und England zu einem, er selbst liess sich als James I. zu dessen Herrscher krönen. «Sie wird nicht umsonst Einheitsbrücke genannt», sagt der frühere Schuldirektor und Lokalpolitiker Jim Smith und zeigt in Richtung des Bauwerks.
Doch die Einwohner des Städtchens sind längst nicht so geeint. «Ich würde sagen, die eine Hälfte will, dass sie bleiben, und die andere Hälfte will, dass sie gehen», sagt der Glaceverkäufer Johnny Lee. «Ich hoffe, sie bekommen ihre Unabhängigkeit. Ich würde gern sehen, wie sie scheitern», sagt Lee. «Sie haben dort oben doch nicht genug, um es allein zu schaffen.»
Am 18. September stimmen die Einwohner Schottlands darüber ab, ob die nördlichste britische Region von 2016 an unabhängig sein wird. Schottland, so die These der Unabhängigkeitspartei SNP, könne mit Hilfe seiner Einnahmen aus Öl und Whisky auf eigenen Füssen stehen.
Berwick-upon-Tweed selbst ist dreizehn Mal zwischen Schottland und England hin- und hergereicht worden. Seit 500 Jahren gehört es nun zu England – und ist immer noch genau so schottisch, wie es englisch ist. «Es gibt keine Grenze, wenn du hier lang fährst. Du merkst die Grenze aber, wenn du mit den Menschen sprichst», sagt Politiker Smith.
Schottland mit seinen rund fünf Millionen Einwohnern hat bereits ein Parlament sowie ein eigenes Rechts- und Bildungssystem. Diejenigen, die auf der schottischen Seite leben, profitieren von einer kostenlosen Gesundheitsfürsorge für die Älteren. Die Rezepte vom Arzt sind gebührenfrei, auch für Bildung müssen sie nichts zahlen. Jene, die südlich der Grenze leben, geniessen all diese Vorteile nicht.
Egal wie die Entscheidung des Referendums ausfällt – so oder so wird es eine weitere Dezentralisierung geben. Das könnte in Berwick die Debatte darüber neu entfachen, warum diejenigen Schotten, die zwar in der englischen Stadt arbeiten, aber auf schottischem Gebiet leben, eine bessere Sozialfürsorge bekommen. Die Menschen spürten die Unterschiede, weil sie direkt an der Grenze leben, sagt Smith.
Berwick, das vor drei Jahren die niedrigsten Löhne in ganz England hatte, ist auf vielerlei Weise einzigartig. Von den Postleitzahlen gehört es zu Schottland und die Sportvereine der Stadt spielen in schottischen Ligen. Aber das nahende Referendum gibt den üblichen Scherzen über die Sympathien der Stadt einen scharfen Unterton.
Christine MacDonald, die mit ihrem Ehemann ein Schmuckgeschäft betreibt, glaubt nicht daran, dass es durch das Votum zu neuen Auseinandersetzungen darüber kommen wird, ob Berwick zu Schottland oder zu England gehören sollte. Die Stadt sei sicher vor Konflikten, weil sie schon immer eine Mischung aus beidem gewesen sei.
«Hier oben verschmilzt es. Wir sind zuerst Berwicker und erst an zweiter Stelle Engländer oder Schotten.» Es gebe keine getrennten Wohnviertel, der Akzent sei eine Mischung.
Doch so sieht das nicht jeder. Tommy Cannon, ein Unabhängigkeitsbefürworter, ist überzeugt, dass Schottland sich abspalten wird. «Wir versuchen lange genug, die Unabhängigkeit zu bekommen. Wir sind autark und haben unsere eigenen Ressourcen – Wasser, Öl, Gas», sagt er. «Warum also nicht? Tun wir es!»
Der Historiker Derek Sharman arbeitet seit 28 Jahren als Stadtführer in Berwick. Es bestehe die Gefahr, dass das Gerede über Grenzfragen die Harmonie in der Stadt zerstören könnte, sagt er. «Es gibt eine kleine, aber wachsende Gruppe, die gegen England ist», sagt er. «Das Referendum hat das offenbart und das lässt sich nicht rückgängig machen, egal wie es ausgeht.» (wst/sda/dpa)