Der ehemalige Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der Schweizer Luzius Wildhaber, zeigt Verständnis für Kritik an der Rechtssprechung des Gerichts. Dass der Gerichtshof in Strassburg den Menschenrechtsschutz immer weiter auslege, «trifft über weite Strecken zu», sagte der emeritierte Völkerrechtsprofessor in einem Gespräch mit der «Neuen Zürcher Zeitung».
Die historische Aufgabe des Gerichtshofs sei es, die Menschenrechtssituation in Osteuropa zu verbessern. Angesichts vieler Urteile gegen osteuropäische Länder sei es auch verständlich, dass hjin und wieder auch westeuropäische Staaten gerügt würden. Wie dies aber passiere, ist aber aus Wildhabers Sicht ungeschickt. Als Beispiel für ein Urteil, das Unverständnis auslöste, gilt der Fall eines nigerianischen Drogenkuriers, den die Schweiz ausweisen wollte. Das Gericht pfiff die Schweiz zurück.
Mehr Menschenrechte sei nicht immer besser, sagte Wildhaber der NZZ weiter. Er befürchtet, dass der Gerichtshof mit seinem Gebaren seine Zukunft aufs Spiel setzen könnte. Wenn ein Land wie Grossbritannien sich aus Ärger an einzelnen Urteilen vom Gerichtshof zurückziehen würde, könnte das laut Wildhaber zu einer Kettenreaktion führen. Andere Länder könnten folgen. «Dann wäre der Gerichtshof ernsthaft in seiner Existenz bedroht», sagte der 77-Jährige. Wildhaber stand dem Gerichtshof von 1998 bis Anfang 2007 vor.
In der Schweiz übt vor allem die SVP Kritik am Gerichtshof für Menschenrechte. Die Partei liebäugelt mit einer Initiative, welche das Landesrecht vor Völkerrecht und damit auch vor die Menschenrechte stellen würde. Dabei nimmt sie auch eine Kündigung der Menschenrechtsdeklaration in Kauf. (trs)