Bei der ersten freien Präsidentschaftswahl in Tunesien zeichnet sich eine Stichwahl ab. Damit rechnen sowohl der frühere Ministerpräsident Béji Caid Essebsi als auch Amtsinhaber Moncef Marzouki. Beide sehen sich als Gewinner der ersten Runde.
«Essebsi hat nach ersten Ergebnissen einen klaren Vorsprung», verkündete dessen Wahlkampfleiter nach Schliessung der Wahllokale am Sonntagabend in Tunis.
Der 87-jährige Kandidat der säkularen Partei Nidaa Tounès habe «nur knapp» eine absolute Mehrheit verfehlt, fügte Mohsen Marzouk vor Journalisten hinzu. Eine Stichwahl im Dezember sei wahrscheinlich.
Auch das Lager von Präsident Marzouki geht von einer Stichwahl aus - sah den Kandidaten aber ebenfalls vorn. «Im schlimmsten Fall gibt es einen Gleichstand, aber wir gehen von zwei bis vier Prozentpunkten Vorsprung aus», sagte Wahlkampfleiter Adnène Mancer. «Wir ziehen mit grossen Chancen in die Stichwahl.» Diese werde zwischen Marzouki und Essebsi stattfinden.
Wie das Staatsfernsehen unter Berufung auf ein privates Institut berichtete, erreichte keiner der Kandidaten auf Anhieb die absolute Mehrheit. Demnach kam Essebsi auf 42,7 bis 47,8 Prozent der Stimmen, Marzouki erreichte zwischen 26,9 und 32,6 Prozent.
Offizielle Ergebnisse sollen am Mittwoch vorliegen, eine mögliche Stichwahl fände dann Ende Dezember statt. Nach Angaben der Behörden gingen 64,6 Prozent der wahlberechtigten 5,3 Millionen Tunesier wählen.
Marzouki rief «sämtliche demokratische Kräfte» dazu auf, ihn bei der Stichwahl um das Präsidentenamt zu unterstützen. Der Kandidat Hamma Hammami, der auf dem dritten Platz landete, sagte tunesischen Medien, dass sich sein Lager «so schnell wie möglich» treffen werde, um darüber zu beraten, wie es sich bei einer möglichen Stichwahl positioniert.
Die Europäische Union lobte die friedlich abgehaltenen Präsidentschaftswahlen in Tunesien. Die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini erklärte am Sonntag, die Abstimmung markiere eine «zusätzliche Etappe» beim Übergang des Landes zur Demokratie. Es sei nun an den Tunesiern, den Wahlprozess transparent und respektvoll zu beenden.
Die EU sei bereit, Tunesien weiterhin auf seinem Weg zu «Stabilität sowie wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung zu unterstützen». Demnach will sich ein EU-Beobachterteam vor Ort am Dienstag zu der Wahl äussern.
Die Abstimmung am Sonntag war die erste freie Präsidentschaftswahl in der Geschichte des nordafrikanischen Landes. Sie soll den Übergangsprozess zur Demokratie in Tunesien vollenden, der nach dem Sturz von Staatschef Zine El Abidine Ben Ali im Frühjahr 2011 eingeleitet worden war. Ende Oktober fanden bereits Parlamentswahlen in Tunesien statt. (trs/sda/afp)