Herr Lenarcic, am Sonntag finden die ukrainischen Präsidentschaftswahlen statt. Werden sie fair und frei sein?
Janez Lenarcic: Das kann ich unmöglich sagen. Die Bezeichnung «fair und frei» ist sowieso zu vereinfachend. Wahlen sind sehr komplexe Prozesse und nie nur schwarz oder nur weiss. Was ich sagen kann: Ernsthafte Schwierigkeiten gibt es derzeit in Teilen von zwei Regionen der Ukraine, in Donezk und Lugansk, wo bewaffnete aufständische Gruppen die Kontrolle übernommen haben. Wahlvorbereitungen können dort keine stattfinden. Unsere Beobachter haben keinen Zugang.
Faktisch werden ganze Landstriche ausgeschlossen sein. Ist das
demokratisch?
Noch einmal: Es handelt sich nicht um ganze Regionen, sondern um Teile von zwei Verwaltungsbezirken, wo gemäss unseren Informationen zwei bis drei Millionen registrierte Wähler leben. Zum Vergleich: In der ganzen Ukraine sind es 35 bis 36 Millionen. Gemäss ukrainischem Recht können registrierte Wähler auch ausserhalb ihres Wohnortes ihre Stimme abgeben. Aber es ist klar: Eine gewisse Anzahl Ukrainer wird nicht an den Wahlen teilnehmen können.
Ihre Beobachter werden den Urnengang am Sonntag genau überwachen. Was bringt das?
Erstens ist die Wahlbeobachtung ein Instrument, um festzustellen, ob sich ein Land an seine internationalen Verpflichtungen hält. Zweitens kann Wahlbeobachtung Betrug und Manipulation entlarven, aber auch abschrecken. Drittens, das ist vielleicht der wichtigste Aspekt, veröffentlichen wir nach jeder Mission einen Bericht mit Empfehlungen, wie ein bestimmtes Land seinen Wahlprozess verbessern kann. Wir geben auch für die Schweiz Empfehlungen ab. Ich vergleiche Ihr Land zwar nicht mit der Ukraine. Die Schweiz ist eine etablierte Demokratie. Doch Fakt ist: Demokratische Prozesse können überall auf der Welt verbessert werden.
Die OSZE fristete in den letzten
Jahren ein Schattendasein. In der Krim-Krise spielt sie auf einmal
eine Schlüsselrolle. Wie erklären Sie sich das?
Die OSZE deckt die gesamte nördliche Hemisphäre ab. Die Ukraine, Russland, alle Ex-Sowjet-Staaten, die USA und sämtliche EU-Mitglieder sind dabei. Einfach ausgedrückt: Wir sind keine westliche Organisation und somit prädestiniert, die Suche nach einem Weg aus der Krise zu unterstützen.
Die Schweiz hält aktuell die OSZE-Präsidentschaft inne. Ist das ein Vorteil?
Die Schweiz kann viel beitragen. Sie ist nicht nur ein neutrales Land, sondern hat auch ein starkes und erfahrenes diplomatisches Korps. Bis jetzt macht sie einen sehr guten Job. Präsident Didier Burkhalter und ich haben uns mehrfach getroffen und gute Diskussionen geführt. Erst im Januar besuchte er unser Büro in Warschau.
Eine persönliche Frage: Sie verlassen das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte Ende Juni – was nehmen Sie mit?
Ich bin sehr stolz auf unsere Arbeit. Unser Büro hat seine Unabhängigkeit und Integrität gestärkt, und das, obwohl wir immer wieder infrage gestellt wurden. Gerade auch von Teilnehmerstaaten, die die Men schen rechte systematisch verletzen und es offensichtlich nicht schätzen, wenn wir auf ihre Verfehlungen aufmerksam machen.