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Obama libre – eine «lahme Ente» lässt die Muskeln spielen

Neue Lockerheit: Barack Obama fühlt sich offensichtlich befreit.Bild: reuters
US-Präsident auf der Überholspur

Obama libre – eine «lahme Ente» lässt die Muskeln spielen

Die schwere Niederlage bei den Kongresswahlen hat Barack Obama nicht entmutigt. Im Gegenteil: Der US-Präsident gibt nun Vollgas.
20.12.2014, 10:0721.12.2014, 12:30
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Das Jahr 2014 war hart für Barack Obama. Seine Beliebtheitswerte sackten ab auf 40 Prozent. Kandidaten der Demokratischen Partei gingen im Kongresswahlkampf offen auf Distanz zu ihrem Präsidenten. Es half so wenig wie die Tatsache, dass Obamas Bilanz besser ist als ihr Ruf. Die Republikaner eroberten die Mehrheit im Senat und bauten jene im Repräsentantenhaus aus. Der Präsident war endgültig zur «lahmen Ente» geworden. 

Obama selbst wirkte oft ausgepowert und desillusioniert, als wolle er seine beiden letzten Amtsjahre nur noch irgendwie aussitzen. Nun aber reiben sich Amerikas Politkommentatoren erstaunt die Augen. 

Die Niederlage bei den Kongresswahlen scheint den 53-Jährigen nicht zu belasten, sondern im Gegenteil zu beflügeln. Ein Feuerwerk nach dem anderen hat er seit Anfang November gezündet, zuletzt die Normalisierung der Beziehungen mit Kuba nach mehr als 50 Jahren Feindschaft. «Er ist eine lahme Ente, aber niemand scheint es ihm gesagt zu haben», heisst es in einer CNN-Analyse.

Obama als Superman – wird der Wunsch dieser Fans Realität?
Obama als Superman – wird der Wunsch dieser Fans Realität?Bild: AP

«Angriff ist die beste Verteidigung», erläutert ein hoher Politikberater der Demokraten die verblüffende Wandlung des Staatschefs. Er habe «sein Clark-Kent-Verhalten abgelegt und das Superman-Kostüm angezogen», meint CNN-Chefkommentatorin Gloria Borger in Anspielung auf den legendären Comic-Helden. Vom ewigen Zauderer zum entschlossenen Kämpfer? Obama sei noch kein Superman, «doch er bemüht sich in letzter Zeit sehr stark darum, abzuheben», so Borger.

Einen ersten Knall verursachte er mit dem Dekret, das bis fünf Millionen illegale Einwanderer vor der Ausschaffung bewahren soll. Es folgten ein klares Bekenntnis zur Netzneutralität, eine Vereinbarung mit Chinas Präsident Xi Jinping zum Klimaschutz und nun der Kuba-Deal. Hinzu kommen weitere Erfolge, die das Onlineportal Vox auflistet, darunter eine weitere Verschärfung der Umweltvorschriften.

Was ist passiert? Ein Begriff zieht sich durch fast alle Analysen in den US-Medien: «Liberated». Barack Obama fühlt sich befreit.

Er muss keine Wahl mehr gewinnen, und mit der ihm feindlich gesinnten republikanischen Mehrheit im Parlament hat er nichts mehr zu verlieren. Deshalb wolle er seine beiden letzten Amtsjahre damit verbringen, «jener Präsident zu sein, der er immer sein wollte», zitiert das Magazin «Politico» Mitarbeiter des Weissen Hauses. Der Text trägt den kubanisch angehauchten Titel «Obama libre».

Überraschend kommt diese Entwicklung nicht. Als sich im Mai 2013 abzeichnete, dass Obamas hochfliegende Pläne für die zweite Amtszeit bereits nach kurzer Zeit an der Totalverweigerung der Republikaner zu scheitern drohten, schilderte die «New York Times» eine interessante Episode. Im privaten Rahmen habe Obama den Wunsch geäussert, «auf Bulworth zu machen».

Damit spielte der Filmfan auf die gleichnamige Politsatire aus dem Jahr 1998 an. Warren Beatty verkörpert einen US-Senator, der sich vom Idealisten zum korrupten Zyniker gewandelt hat. Bis er plötzlich aufwacht, Klartext spricht und dadurch einen Popularitätsschub erlebt.

Das Vorbild? Warren Beatty als Senator im Film «Bulworth».
Das Vorbild? Warren Beatty als Senator im Film «Bulworth».

«Die Bulworth-Metapher beleuchtet Obamas Verlangen, von allem befreit zu werden, das er als Hindernis betrachtet», schrieb die «New York Times». Nun hat er offenbar das Gefühl, dass der richtige Zeitpunkt gekommen ist. «Wir sind besser als zuvor in der Lage, unser Schicksal selbst zu bestimmen», sagte ein hochrangiger Mitarbeiter gegenüber «Politico». Weil er mit dem Kongress nicht rechnen kann, dürfte er vermehrt zum Mittel des Dekrets greifen. Er profitiert dabei ausgerechnet von Vorgänger George W. Bush. Während dessen Amtszeit wurden die Befugnisse des Oberkommandierenden, per Verordnung zu regieren, stark ausgeweitet.

Oberste Priorität hat ein Atomabkommen mit dem Iran, womit die USA eine weitere jahrzehntealte Feindschaft entschärfen könnten. 

Umgekehrt dürfte Obama künftig weniger Rücksicht auf Israel nehmen, besonders wenn bei den Wahlen im März eine rechtsgerichtete Regierung an die Macht kommen sollte. Selbst die Schliessung des Gefangenenlagers Guantanamo hat der Präsident noch nicht aufgeben. Er habe den Papst, der bereits in die Kuba-Verhandlungen involviert war, in dieser Frage um Hilfe ersucht, schreibt die «Financial Times».

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Bei seinen Alleingängen könnten ihm positive Entwicklungen in verschiedenen Bereichen helfen. Der Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat scheint langsam Früchte zu tragen. Russland ist wirtschaftlich schwer angeschlagen, während in den USA im grossen Stil neue Jobs entstehen. Und während die Russen unter dem stark gesunkenen Ölpreis leiden, haben die Konsumenten im Autoland Amerika endlich wieder mehr Geld im Portemonnaie. Gut läuft es auch beim umstrittenen Obamacare-Gesetz, bis Ende 2015 könnten zehn Millionen Amerikaner versichert sein.

Ein erfolgreicher Abschluss von Barack Obamas Präsidentschaft ist damit nicht gesichert. Die Republikaner werden im Kongress erbitterten Widerstand leisten. Allerdings hat der Präsident eine starke Waffe: Er kann unliebsame Beschlüsse mit dem Veto verhindern.

Die grösste Gefahr liegt laut CNN darin, dass der Charismatiker Obama wie bei seiner Wahl 2008 zu hohe Erwartungen weckt – und am Ende doch scheitert.

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