Gemerkt hatte Barbara Schulte lange nichts. Müde war sie, fand das aber alles andere als merkwürdig, ihr Job war an manchen Tagen stressig. Erst Jahre später bekam die Frau den Befund. «Ich habe Hashimoto», sagt Schulte, die heute Vorsitzende der Schilddrüsen-Liga Deutschland ist.
Vollständig heisst die Erkrankung Hashimoto-Thyreoiditis – benannt nach dem japanischen Arzt Hakaru Hashimoto, der sie um 1912 erstmals beschrieb. Sie wird auch als Autoimmunthyreoiditis bezeichnet oder als chronische Schilddrüsenentzündung.
«Es werden sowohl die Zellen des Immunsystems, die T-Zellen, als auch die Antikörperbildung durch sogenannte B-Zellen aktiviert», sagt Karl-Michael Derwahl von der Klinik für Innere Medizin am Alexianer St.Hedwig-Krankenhaus in Berlin. Die Ursachen sind noch nicht genau erforscht.
Dem Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner (BDN) zufolge ist die Hashimoto-Thyreoiditis die häufigste Autoimmunerkrankung. «In der Folge kommt es zu einer zunehmenden Zerstörung der Schilddrüse», sagt Derwahl. Das geschieht schleichend und schmerzlos.
Je mehr die Schilddrüse zerstört ist, desto weniger Hormone produziert sie. Schliesslich macht sich die Krankheit durch Müdigkeit, depressive Verstimmung, Gewichtszunahme, Verstopfung, nächtliches Schwitzen und weitere Symptome bemerkbar.
Laut Derwahl sind Frauen drei- bis viermal häufiger betroffen als Männer, und aufgrund einer genetischen Veranlagung kommt eine Hashimoto-Thyreoiditis familiär gehäuft vor. «Wenn jemand in der Familie erkrankt ist, sollten sich auch alle anderen Familienmitglieder untersuchen lassen», empfiehlt Schulte. Auch wer die genannten Beschwerden hat, sollte sich testen lassen.
Schulte rät dazu, das Blut auch ohne Symptome beim Check-up zu untersuchen: «Warum soll man warten, bis sich Symptome zeigen und die Schilddrüse immer mehr zerstört wird?»
Die Diagnose wird per Bluttest und Ultraschall gestellt. Ist der Wert des Thyroidea-Stimulierenden Hormons (TSH) erhöht, zeigt das die Unterfunktion der Schilddrüse. Die Zerstörung der Schilddrüse kann nicht medikamentös aufgehalten werden, aber die Auswirkung ist gut behandelbar.
Dabei geht es darum, dem Körper die fehlenden Hormone zuzuführen. Gegeben wird das Schilddrüsenhormon Levothyroxin, auch L-Thyroxin genannt. «Eine Tablette am Tag vor dem Frühstück mit einem Glas Wasser eingenommen ist in der Regel ausreichend», sagt Derwahl. Die Betroffenen müssen die Tabletten jedoch ihr Leben lang nehmen.
«Ein Teil der Patienten fühlt sich dennoch nicht gesund, obwohl der Hormonhaushalt den Laborwerten zufolge ausgeglichen ist», sagt Detlef Moka, Vorsitzender des BDN. In diesen Fällen könne Selen helfen. Das Spurenelement, das für die Funktion der Schilddrüse unverzichtbar ist, lindere die Entzündungsaktivitäten und balanciere das Immunsystem aus.
«Die Patienten fühlen sich fitter, das Allgemeinbefinden bessert sich.» Das komme jedoch nur bei den Patienten infrage, deren Antikörper-Konzentration sehr hoch ist.
Eine erhöhte Aufnahme von Jod sollten Erkrankte vermeiden, weil es den Autoimmunprozess anheizen könnte. «Ein Aufenthalt an der Nord- oder Ostsee, das gelegentliche Essen von Seefisch hat nach heutiger Erkenntnis keinen Einfluss auf den Verlauf der Krankheit», beruhigt Derwahl jedoch.
«Zweimal im Jahr sollte der Wert des Steuerhormons TSH kontrolliert werden», rät Schulte. Denn im Laufe der Erkrankung können Veränderungen auftreten, dann wird die Dosis der Medikamente angepasst. Das ist etwa bei Frauen mit Hashimoto in den Wechseljahren der Fall, wenn der Östrogenspiegel sinkt. Östrogen gilt als TSH-Räuber.
Daher sollten auch Frauen mit Hashimoto, die die Pille nehmen, den TSH-Wert regelmässig kontrollieren lassen. Auch Schwangere müssen bei einer Unterfunktion optimal eingestellt sein, sonst drohen Entwicklungsstörungen beim Kind. Hashimoto-Thyreoiditis können andere Autoimmunerkrankungen begleiten, etwa Diabetes Typ 1, Zöliakie oder die Weissfleckenerkrankung.
Barbara Schulte leidet unter Perniziöser Anämie, einer Blutarmut aufgrund eines starken Mangels des Vitamins B12. Aber sie macht allen Betroffenen Mut: Wer gut eingestellt sei, lebe beschwerdefrei. «Hashimoto ist keine schlimme Erkrankung, man muss sie nur früh genug erkennen», sagt sie.