Alle fünf Jahre wählt Indien ein neues Parlament. Am Montag waren zunächst die Menschen in fünf Wahlkreisen in den nordöstlichen Staaten Assam und Tripura zur Stimmabgabe aufgerufen. In der grössten Demokratie der Welt mit ihrer jungen, stark wachsenden Bevölkerung gestaltet sich der Urnengang jedes Mal noch grösser, noch aufwändiger und noch beeindruckender. Die wichtigsten Zahlen:
Die Zahl der indischen Wählerinnen und Wähler übertrifft die Einwohnerzahl von ganz Europa (rund 740 Millionen). Es sind etwa so viele wie die Einwohner der USA (300 Millionen) und der Europäischen Union (500 Millionen) zusammen. Zum Vergleich: In der Schweiz gibt es etwas mehr als fünf Millionen Wahlberechtigte.
Indien ist ein junges Land mit einem Durchschnittsalter von rund 26 Jahren. Entsprechend gross ist die Zahl der Menschen, die zum ersten Mal an der Parlamentswahl teilnehmen. Sie entspricht der Einwohnerzahl von Russland, dem grössten Land Europas. 23 Millionen Erstwähler sind jünger als 20.
In Indien gibt es zahlreiche Separatistengruppen und maoistische Aufständische, die die Wahl blockieren möchten. Der personelle Aufwand ist deshalb enorm, um einen reibungslosen Urnengang zu garantieren. Zum Personal in den Wahllokalen kommen zahlreiche Angehörige der Sicherheitskräfte hinzu.
Mit elektronischen Wahlmaschinen hat die Welt nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Die IT-Nation Indien aber schwört auf ihre grauen Wahlcomputer, obwohl es immer wieder zu Manipulationsvorwürfen kommt. Erstmals gibt es einen NOTA-Knopf, mit dem Protestwähler «keinen der genannten Kandidaten» («none of the above») anklicken können. Damit wird der Verdrossenheit vieler Inder über korrupte Politiker Rechnung getragen.
Die Zahl hat sich gegenüber 2009 um 100'000 erhöht. Das kleinste Wahllokal in einer entlegenen Region im westindischen Bundesstaat Gujarat wurde für genau einen Wähler eingerichtet.
In einem riesigen Land wie Indien ist eine Parlamentswahl logistisch eine grosse Herausforderung. Es gibt viele entlegene, schlecht erschlossene Gebiete, in denen Drittwelt-Verhältnisse herrschen. Die Wahl wird deshalb an neun Tagen durchgeführt, verteilt über fünf Wochen zwischen dem 7. April und dem 12. Mai. Am 16. Mai soll das Ergebnis bekanntgegeben werden.
Der Ruf der indischen Politiker ist miserabel, und das nicht ohne Grund. Gegen 162 von 543 Abgeordneten in der Lok Sabha, dem indischen Unterhaus (Bild), laufen juristische Ermittlungen. Bei 76 Parlamentariern handelt es sich um schwere Fälle wie Mord und Entführung. Trotz dieser Missstände sind die Inder stolz auf ihre Demokratie, die seit der Unabhängigkeit 1947 Bestand hat – im Gegensatz zum chronisch instabilen Nachbarn und Erzfeind Pakistan.
Der wahrscheinliche Wahlsieger heisst Narendra Modi. Seine hindu-nationalistische Partei BJP liegt in den Umfragen klar in Führung, während die derzeit regierende Kongresspartei eine historische Niederlage erleiden dürfte. Der 63-jährige Modi ist als Sohn eines Teeverkäufers in einfachen Verhältnissen aufgewachsen und seit 2001 Premierminister des Bundesstaats Gujarat. Er hat sich als zupackender Macher einen guten Ruf erarbeitet. Angehörige der Mittelschicht erhoffen sich, dass Modi die zuletzt lahmende Wirtschaft des Schwellenlands ankurbeln wird.
Der dunkle Fleck auf seiner Weste sind die Massaker von Hindus an Muslimen im Herbst 2002 nach dem mutmasslichen Anschlag auf einen Zug mit Hindu-Pilgern in Gujarat. Rund 1000 Menschen kamen ums Leben. Modis Rolle bei den Ausschreitungen ist unklar, zumindest tat er wenig, um sie zu stoppen. Die USA verweigerten ihm 2005 ein Einreise-Visum, und die Muslime, die rund zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachen, stehen ihm misstrauisch gegenüber.