Österreich dürfte erstmals eine Regierung mit Beteiligung der Grünen erhalten. Darauf haben sich die konservative Volkspartei ÖVP und die Grünen verständigt. Die Parteispitzen kündigten Steuersenkungen und einen europäischen Führungsanspruch in Fragen des Klimawandels an.
Der ehemalige Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz soll demnach erneut Bundeskanzler werden, wie er gemeinsam mit Grünen-Chef Werner Kogler nach einem abschliessenden Treffen in Wien am Mittwochabend bekanntgab. Die Grünen sollen vier von 15 Ministerien besetzen, was in etwa ihr Wahlergebnis vom 29. September widerspiegelt. Kurz' Volkspartei Partei hatte die Parlamentswahl mit 37,5 Prozent der Stimmen gewonnen. Die Grünen wurden mit 13,9 Prozent viertstärkste Kraft.
Der designierte Bundeskanzler Kurz bezeichnete den Abschluss der Verhandlungen als «exzellentes Ergebnis». Er betonte, man habe sich nicht auf Minimalkompromisse beschränkt:
Für die Grünen, deren Anhänger sich teilweise gegen Kurz und seine harte Linie in der Einwanderungspolitik stellen, sind die Koalitionsverhandlungen besser gelaufen als erwartet. Beim Klimawandel hätten sie sich auf mehr geeinigt, als sie sich vorher vorstellen konnten, sagte Kogler.
Österreich solle in Fragen des Klimawandels eine europäische und internationale Führungsrolle übernehmen, erklärte der Grünen-Chef. Seine Partei wolle ein Investitionspaket für Umweltmassnahmen sowie Produkte, die die Umwelt schädigen, verteuern.
Dazu werde es das intensivste Transparenzpaket seit vielen Jahren und eine Informationsfreiheitsoffensive geben: «Eher ein gläserner Staat als ein gläserner Bürger», sagte Kogler. Zudem werde ein Schwerpunkt in die Bekämpfung von Kinder- und Altersarmut gelegt.
Auch Kurz ging auf ein zentrales Wahlversprechen seiner Partei, die Steuerlast zu senken, ein. Es sei möglich, die Steuerlast zu senken und das Steuersystem zu ökologisieren, sagte er. Weiter hob Kurz eine konsequente Linie gegen illegale Migration und politischen Islam hervor. «Es ist möglich, das Klima und die Grenzen zu schützen», sagte Kurz zusammenfassend.
Das offizielle Regierungsprogramm und die Besetzung der Ministerien sollen am Donnerstag veröffentlicht werden. Die Grünen stimmen am Samstag auf einem ausserordentlichen Parteitag über die Regierungsbeteiligung ab. Ab Montag könnte dann die neue Regierung ins Amt eingeführt werden. Kurz käme damit gut sieben Monate nach seiner Absetzung als Kanzler per Misstrauensvotum zurück an die Regierungsspitze.
Neues Integrationsministerium
Dass die Verhandlungen erfolgreich enden würden, hatte sich schon in den vergangenen Tagen abgezeichnet. Seit Montag teilten die beiden Parteien trotz fehlender endgültiger Einigung mit, welche Minister dem künftigen Kabinett angehören sollen. Auch der Versand der Einladungen für den grünen Bundeskongress wurde als Zeichen gewertet, dass eine Einigung kurz bevorsteht.
Zu den Überraschungen bei den Ministerplänen gehört die Neueinrichtung eines Integrationsministeriums, dessen Leitung Susanne Raab übernehmen soll. Die Kurz-Vertraute war bisher Leiterin der Integrationssektion im Aussenministerium. Kurz lobte sie als «junge und sehr erfahrene Integrationsexpertin».
Die künftige Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) @nachrichten_at pic.twitter.com/ZVJ39gbN15
— Christoph Kotanko (@CKotanko) December 30, 2019
Die Grünen erhalten derweil ein Superministerium, in dem die Themen Umwelt, Verkehr und Infrastruktur, Energie, Technologie und Innovation zusammengeführt werden. Als Ministerin ist Leonore Gewessler vorgesehen. Die 43-Jährige leitete die Umwelt-NGO Global 2000, bis Grünen-Chef Werner Kogler sie zu einer Kandidatur für die Grünen bei der Nationalratswahl im September überzeugen konnte.
Im Verteidigungsministerium wird in Klaudia Tanner, derzeit Bauernbunddirektorin im Bundesland Niederösterreich, erstmals eine Frau Chefin. Innenminister wird der bisherige Generalsekretär Karl Nehammer.
Mit Aussenminister Alexander Schallenberg darf auch ein Mitglied der Expertenregierung, die seit dem Misstrauensvotum gegen die Regierung Kurz I die Geschäfte führt, im Kabinett bleiben. Während die Parteien schon zahlreiche Personalien vor der Einigung bekannt machten, hielten sie sich zu politischen Inhalten bedeckt.
Eine schwarz-grüne – oder wie sie in Österreich genannt wird – eine türkis-grüne Regierung wäre auf Bundesebene eine Premiere. Dem Bündnis wird bereits jetzt Symbol-Charakter für andere europäische Länder zugesprochen. Kurz wagt damit nach eineinhalb Jahren in einer aus dem Ausland stets kritisch beäugten Regierung mit der rechten FPÖ nun einen Richtungswechsel.
Die Neuwahl und die Koalitionsverhandlungen waren nötig geworden, nachdem die rechtskonservative ÖVP-FPÖ-Regierung nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos zerbrochen war. Der ehemalige FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache wirkte in den Aufnahmen anfällig für Korruption und trat zurück.
Kurz rief Neuwahlen aus und wurde wenige Tage später per Misstrauensvotum aus dem Kanzleramt getrieben. Bis zur Ibiza-Affäre hatte die rechtskonservative Regierung recht reibungslos gearbeitet, wurde aber immer wieder gestört, weil die FPÖ die Abgrenzung zum rechtsextremen Rand nicht in den Griff bekam. (mim/sda/dpa/afp/apa/reu)
Ich muss mein Karikatur-Bild vom abgründigen Österreicher (mit eingesperrter Inzest-Familie im Keller unter dem Keller) gründlich revidieren!
Auf einer Fahrt von Wien nach Prag fiel mir auf, wie viele Wind-Turbinen auf der österreichischen Seite standen, und dass auf der tschechischen Seite kein einziges Windkraftwerk zu sehen war.
Vorreiter-Rolle also, ganz klar!
Nun ist zu hoffen, dass es auch NACHREITER gibt, und dass sich die von behäbigem SVP-Alphorn-Geblase eingeschläferte Schweiz ebenfalls dazu aufraffen kann, diesen mutigen Österreichern zu folgen!