Wenn Ndidi Nwuneli spricht, klopft sie energisch mit den Fingerknöcheln auf die weisse Tischplatte. Ihre Präsenz erfüllt den ganzen Raum. Während des Gesprächs lässt die gebürtige Nigerianerin ihr Handy nicht aus den Händen. Ihr auffälliger Ohrschmuck wippt im Takt ihrer Worte.
Müsste Nwuneli ihren Job in einem Satz zusammenfassen, würde sie so etwas sagen wie: «Ich bin Sozialunternehmerin: Meine Lebensaufgabe ist es, das landwirtschaftliche Potenzial Afrikas zu entfesseln und so die Unterernährung zu bekämpfen.» «Sahel Consulting», die Firma der 44-jährigen Afrikanerin, sorgt unter anderem dafür, dass westafrikanische Kleinbauernbetriebe ihre Produkte regional und international zu fairen Preisen verkaufen können.
Ihre Karriere begann Nwuneli als Unternehmensberaterin bei McKinsey. Nach Stationen in Chicago, New York und Johannesburg kehrte sie in ihre Heimat Nigeria zurück. «Ich war sehr ehrgeizig, habe hart gearbeitet. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich etwas beitragen wollte, um das Leben der Menschen zum Besseren zu verändern.» Zurück in Nigeria begann sie gegen eines der Hauptprobleme des Kontinents zu kämpfen: Lebensmittelknappheit und Unterernährung. «Ich wollte zeigen, dass sich Afrika selbst ernähren kann.»
Der Weg dahin ist steinig. Das weiss auch Nwuneli – sie nennt vor allem drei grosse Probleme, die Westafrika immer wieder in die Lebensmittelnot drängen:
Das Ökosystem Westafrikas ist sehr fragmentiert. Es gibt viele Kleinbauern, die wenig Land besitzen. Weil die nötige Infrastruktur fehlt, haben sie kaum Zugang zu lokalen Märkten – können ergo ihre Ernte nur schwer an die lokale Bevölkerung bringen. Schuld daran tragen unter anderem die europäischen Kolonialisten, erklärt Nwuneli. Weil sie möglichst viele Güter nach Europa verschiffen wollten, drängten sie Afrika in die Exportwirtschaft und bauten lediglich Wege vom Landesinnern an die Häfen.
Innerhalb des Landes, von Bauernhöfen zu Märkten, fehlen die Verbindungen. Und das schadet der Wirtschaft bis heute. «Die Kolonialisten haben viel Schaden angerichtet. Doch nur sie für die bis heute anhaltende unbefriedigende Situation – insbesondere die schlechte Infrastruktur – verantwortlich zu machen, wäre falsch», so die Unternehmerin.
Ein weiteres Problem seien die Monokulturen und der starke Fokus auf den Export. 60 Prozent des weltweiten Kakaos wird in Ghana und der Elfenbeinküste produziert. «Doch die Länder profitieren von lediglich fünf Prozent der Multi-Milliarden-Industrie. Das müssen wir ändern.» Viele Bauern, so Nwuneli weiter, fokussierten sich zu stark auf nur einen Rohstoff. «Bricht der Kakaobohnenmarkt zusammen, verlieren die Bauern ihre Existenzgrundlage. Und weil sie sich auf Monokulturen spezialisiert haben, haben sie nicht einmal mehr etwas übrig, um ihre Familien zu ernähren.»
Nwuneli sieht die Lösung beispielsweise in Mischkulturen. «Westafrika hat die besten klimatischen Voraussetzungen für den Anbau von Palmöl, Cashewnüssen oder Sesam. Dieses Potenzial müssen wir nützen – dürfen aber gleichzeitig nicht den Anbau von Hauptnahrungsmitteln wie Yam, Maniok oder Tomaten vergessen.» Zudem sollten die Rohstoffe vor Ort verarbeitet statt nur exportiert werden. «Es bliebe mehr Gewinn in einem Land, würden anstatt roher Kakaobohnen direkt Schokolade, Kakaopulver oder Sirup exportiert werden.»
Ein weiteres Problem sieht Nwuneli im Konzept des freien Handels. «Der ist zwar schön und gut, ist in der Landwirtschaft aber nur eine Farce, solange Bauern in einigen Ländern durch Subventionen und Schutzzölle gestützt werden.» Hinzu komme das unattraktive Image der Landwirtschaft. «Einmal fragten wir Studenten an einer Uni, wer Eltern habe, die Bauern sind. Niemand meldete sich.
Man schämte sich dafür: Das Bauersein wird in Afrika mit Armut gleichgesetzt», erinnert sich Nwuneli. Ihre Augen funkeln, sie streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. Die 44-Jährige weiss um die Probleme, die sich Westafrika täglich stellen. Doch sie hat auch eine Vision, wie sich die Länder eine vielversprechende Zukunft erarbeiten können.
«Die Landwirtschaft ist das neue Gold. Das Potenzial ist riesig», sagt sie energisch. Und rechnet vor: 2050 wird Afrika 2,4 Milliarden Menschen ein Zuhause sein. Gibt jeder Einzelne davon pro Tag einen Dollar für Lebensmittel aus, resultiert daraus ein Milliardengeschäft. «Gibt jeder täglich 10 Dollar aus, sprechen wir über jährliche Einnahmen von 8,76 Billionen Dollar.»
Nwuneli und ihre Firma helfen den lokalen Bauernbetrieben. Unterstützen sie mit neuen Technologien, Knowhow und Innovationen. Und versuchen die fehlende Infrastruktur, die Verbindung zu den lokalen Märkten, herzustellen. Doch das ist noch nicht alles. Sie wäre nicht, wo sie heute steht, würden die Visionen der jungen Unternehmerin danach enden. Sie will Afrikas Image in Europa verbessern – auch mithilfe der in Afrika produzierten Lebensmittel. «Wenn Leute an Afrika denken, denken sie nicht an unser Essen. Sie denken an Krisen und Korruption. Das will ich ändern.»
Nwuneli weiss ziemlich genau, wie wichtig das Essen für Europäer ist. «Essen ist ein unglaublich starkes kulturelles Werkzeug, um ein Umdenken zu erreichen. Hier sprechen alle von Super- und Powerfood. In Afrika haben wir Unmengen davon.» Sie nennt das Beispiel Fonio – eine Hirsenart, die hierzulande kaum bekannt ist. «Wir wollen Fonio als das neue, bessere und nährstoffreichere Quinoa etablieren.»
So begeistert Nwuneli von der Landwirtschaft schwärmt, so bewusst ist ihr auch, dass es sich um eine wenig glamouröse Branche handelt. «Man muss sich wortwörtlich die Hände schmutzig machen, und es ist kein Bereich, indem man ohne Aufwand schnell viel Geld verdient.»
Und auch Nwunelis Schaffen ist nicht immer einfach. «Als dunkelhäutige Frau muss ich doppelt so viel leisten. Betrete ich einen Sitzungsraum, muss ich in den ersten fünf Minuten beweisen, dass ich nicht nur eingeladen wurde wegen einer Quote.» Das sei anstrengend. Doch die Nigerianerin kämpft weiter. Für ein Afrika der Zukunft und gegen alle negativen Vorurteile, die in den Köpfen der Menschen zuweilen herrschen.