Analyse
Hofiert Antisemiten, macht Hass salonfähig: Prominente US-Republikaner entdecken plötzlich Kritik an Donald Trump für sich. Das ist so unglaubwürdig wie durchschaubar.
Johanna Roth / Zeit Online

Donald Trump.Bild: keystone
Ein Artikel von

Im Englischen gibt es den Ausdruck pearl-clutching, sich an die Perlenkette greifen. Er bezeichnet das gespielte Entsetzen einer Person, die sich – huch! – übermässig schockiert gibt angesichts einer Tatsache, die ihr längst bekannt ist.
Als pearl-clutching lässt sich beschreiben, was die US-Republikaner gerade aufführen, wenn es um Donald Trump geht. Der ehemalige US-Präsident hatte sich am Dienstag vergangener Woche mit Ye und Nick Fuentes zum Abendessen in seiner Residenz in Florida getroffen. Ye, einst unter dem Namen Kanye West einer der erfolgreichsten Rapper der Gegenwart, verbreitet inzwischen hauptsächlich antisemitische Verschwörungslügen und Drohungen. Fuentes ist ein ausserhalb der rechten Szene weitgehend unbekannter 24-Jähriger, der in Internetvideos den Holocaust leugnet und beim Angriff auf das Kapitol am 6. Januar dabei war.
Es dauerte fast eine Woche, bis prominente Republikaner sich zu dieser Sache äusserten. Mit am deutlichsten wurde Ex-Vizepräsident Mike Pence: «Es war falsch von Präsident Trump, einem weissen Nationalisten, Antisemiten und Holocaustleugner einen Platz an seinem Tisch einzuräumen.» Der Gouverneur von Arkansas, Asa Hutchinson, nannte das Treffen «sehr beunruhigend». Mitch McConnell, Chef der republikanischen Minderheit im Senat, sagte, es sei «höchst unwahrscheinlich», dass so jemand erneut Präsident würde: «In der Republikanischen Partei ist kein Platz für Antisemitismus oder white supremacy».
Von der Duldung zur Umwerbung
Huch! Ist das also gar nicht derselbe Trump, der 2017 über hitlergrüssende Neonazis in Charlottesville – jene Versammlung, bei der eine Gegendemonstrantin totgefahren wurde und an der auch Fuentes teilnahm – sagte, «very fine people» seien dort aufmarschiert? Derselbe Trump, der über Jahre hinweg behauptete, der jüdische Philanthrop George Soros stecke hinter einer vermeintlichen «Antifa» und locke Migranten über die Grenze aus Mexiko? Derselbe Trump, der dem rechtsextremen Demagogen Steve Bannon einen Schreibtisch im Weissen Haus verschaffte und in den vergangenen Monaten von einer Duldung der antisemitischen QAnon-Bewegung unter seinen Anhängern zu deren offener Umwerbung überging?
Trump hat vor, während und nach seiner Präsidentschaft Antisemitismus genauso wie Rassismus und Sexismus normalisiert. Das ist das offenkundige Ziel von Leuten wie Ye, und deshalb ist ein solches Vernetzungstreffen nicht nur verabscheuungswürdig, sondern brandgefährlich.
Aber auch abseits von der Person Trump haben Hass auf Jüdinnen und rechte Hetze sehr wohl einen Platz in der Republikanischen Partei, da muss man sich nur ansehen, wer für sie im Repräsentantenhaus sitzt. Die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene sprach in diesem Jahr bei einer von Fuentes organisierten Konferenz und fällt immer wieder mit antisemitischen Aussagen auf (sie behauptete etwa, Waldbrände in Kalifornien seien von einem Laser unter Kontrolle der Familie Rothschild verursacht worden). Im neuen Kongress, der im Januar unter republikanischer Mehrheit zusammentritt, hat sie gute Chancen auf wichtige Ausschussposten.

Marjorie Taylor GreeneBild: keystone
Wenn Fuentes etwa auf seinem Telegram-Kanal hetzt, Juden hätten zu viel Macht in der US-amerikanischen Gesellschaft und diese Macht solle nur Christen vorbehalten sein, dann – so argumentiert die New-York-Times-Autorin Michelle Goldberg – artikuliert er lediglich offener und aggressiver das, was man sonst als Raunen über «Globalisten» und «Eliten» von Trump und ihm nahestehenden Kreisen hört. Das hat die Parteispitze, wenn sie diese Rhetorik nicht ohnehin übernahm, auch sonst nicht gestört. Und bisher hatte auch Nähe zu Leuten wie Fuentes keine ernsthaften Folgen: Für ihre Teilnahme an der Konferenz wurde Greene aus der Partei zwar ermahnt, eine Strafe aber gab es nicht.
Es ist aber auch auffällig, wer aus der Republikanischen Partei sich nun perlenketteknetend über Trump empört: Pence und Hutchinson gelten als Interessenten für eine Präsidentschaftskandidatur 2024, McConnell versucht schon länger, die Republikaner wieder auf einen Kurs ohne Trump zu bringen. Bei ihnen kam Trump früher mit allem durch, jetzt aber wenden sich die Grossspender der Republikaner von ihm ab und viele Wählerinnen offenbar auch.
Dass prominente Republikaner Trump plötzlich ungewohnt deutlich kritisieren (nachdem sie sich zunächst tagelang Zeit liessen), lässt deshalb weniger auf moralische Beweggründe schliessen denn auf machtpolitische: Er ist nicht mehr unangreifbar wie früher, die meisten republikanischen Wähler mögen es – das haben die Midterms gezeigt – dann lieber doch nicht so extrem. Und so ist jede Gelegenheit, sich von jenem Extremismus zu distanzieren, den sie so lange bequem in Kauf nahmen, den Republikanern willkommen.

Ron DeSantisBild: keystone
Bezeichnend ist, wer schweigt: die Mehrheit. Einer davon ist Ron DeSantis, Trumps grösster Konkurrent für eine mögliche Präsidentschaftskandidatur 2024. Obwohl das Treffen in seinem Bundesstaat Florida stattfand, sagte er bisher kein Wort dazu. Er weiss wohl: Will er gegen Trump gewinnen, wird er auch dessen treueste Fans für sich einnehmen müssen, da wäre eine Konfrontation eher hinderlich. Auch viele Vertreter der Republikaner im Kongress haben sich noch immer nicht geäussert und entsprechende Anfragen von US-Medien unbeantwortet gelassen, vermutlich aus ähnlichen Motiven.
Die Methode: ablenken
Und dann sind da noch Statements wie das von Kevin McCarthy, republikanischer Fraktionschef im Repräsentantenhaus. Er wählte die Methode, der sich die Republikaner schon vor der Wahl 2016 immer dann bedienten, wenn Trump wieder etwas Verachtenswertes von sich gegeben hatte: ablenken. Er verurteilte nicht den ehemaligen Präsidenten selbst, sondern Fuentes, dessen «Ideologie» keinen Platz in der Gesellschaft habe.

YeBild: keystone
Trump selbst behauptet, er sei nur mit Ye verabredet gewesen und habe den anderen Gast überhaupt nicht gekannt, was kaum glaubwürdig ist. Zugleich verbreitet sich aus Mar-a-Lago heraus das Gerücht, das Mitbringen von Fuentes sei eine Falle gewesen, um Trump einen Skandal anzuhängen. Als sei es völlig in Ordnung, einen Antisemiten – Ye – einzuladen, aber zwei? Diese Absicht will Trump, der merkt, dass er sich nicht mehr alles leisten kann, doch nicht gehabt haben.
Und er kommt, einmal mehr, damit durch. Die Theorie von der Täuschung nehmen die Republikaner jedenfalls nur zu gerne an. Trump sei sicher kein Antisemit, sagt schlussendlich sogar Pence: Er habe aber ein «ausgesprochen schlechtes Urteilsvermögen» bewiesen. Am Ende des Tages will auch der ehemalige Vizepräsident eine Wahl gewinnen und gegen Trump käme er wie DeSantis nur mit abtrünnigen Trump-Wählerinnen an. Die will er offensichtlich nicht mehr verprellen, als es nötig ist, um in Richtung Mitte den aufrechten Kämpfer gegen Hass und Extremismus zu geben.
Nicht nur Trump ist derselbe, der er auch vor sechs Jahren schon war. Auch an der Verlogenheit seiner Partei hat sich nichts geändert.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.
Inmitten einer neuen Welle der Gewalt in Nahost besucht US-Aussenminister Antony Blinken von Montag an Israel und die Palästinensergebiete. In Israel stehen Gespräche mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Aussenminister Eli Cohen auf dem Programm. Dabei soll es um Israels zunehmende Integration in die Region und seine Beziehungen mit den Palästinensern gehen. Auch das Thema Iran dürfte im Mittelpunkt stehen.