Zwei Jahre lang haben sie diesen Moment herbeigesehnt. Umso grösser waren Enttäuschung und Entsetzen bei vielen Demokraten über den Schlussbericht von Sonderermittler Robert Mueller. Es gibt demnach keine handfesten Beweise für geheime Absprachen zwischen Donald Trumps Wahlkampfteam und der russischen Regierung, die ihm 2016 zur Präsidentschaft verholfen hätten.
So zumindest steht es in der vierseitigen Zusammenfassung von Justizminister William Barr. Demokratische Politiker äusserten Zweifel an seiner Unparteilichkeit. Sie fordern die Publikation des gesamten Mueller-Berichts, einschliesslich des Beweismaterials. Es scheint jedoch fraglich, dass sich am grundsätzlichen Befund des ehemaligen FBI-Direktors etwas ändern wird.
Während sich die Demokraten zerknirscht geben, triumphieren der Präsident und sein Umfeld. «Es wäre ein Segen für Trump, wenn die Wahl in einer Woche oder einem Monat stattfinden würde», sagte sein Anwalt Rudy Giuliani zu Politico. Vielleicht hat er damit recht, doch die nächste Präsidentschaftswahl findet erst im November 2020 statt. Das ist die Chance der Demokraten.
Der Hype um die Russland-Affäre hatte eine surreale Dimension, er war primär eine Angelegenheit des politischen und medialen Establishments. «Die Typen in Washington leben in einer Blase, sie sind abgekoppelt von den Alltagssorgen der Amerikaner», sagte Michael Ceraso, der 2008 und 2012 für Barack Obama und 2016 für Bernie Sanders gearbeitet hatte.
Umfragen haben wiederholt gezeigt, dass die Mueller-Ermittlungen für die «normalen» Menschen nie ein grosses Thema waren. Sie beschäftigen andere Dinge: Wirtschaft, Gesundheitswesen, Einwanderung. Und sie erwarten von der Politik Lösungen. Die Demokraten wissen das selbst, sie haben genau mit diesem Rezept bei den Midterms im letzten Herbst die Mehrheit im Repräsentantenhaus erobert.
Es ist deshalb nicht einmal schlecht, wenn aus der Russland-Blase die Luft draussen ist. Und ein Impeachment kein Thema mehr. Die House-Vorsitzende Nancy Pelosi konnte damit nie viel anfangen. Ein Verfahren zur Amtsenthebung wäre wegen der republikanischen Mehrheit im Senat chancenlos gewesen und hätte bloss Trump und seine Speichellecker in ihrer Opferrolle bestätigt.
Ohne den Russland-Popanz können und müssen sich die Demokraten und ihre Präsidentschaftskandidaten darauf konzentrieren, Trump dort zu attackieren, wo es wirklich weh tut. Denn aus dem Schneider ist der Präsident keineswegs. Es gibt einige Punkte, die ihm bis zur Wahl in mehr als eineinhalb Jahren noch gröbere Sorgen bereiten können:
Seit bald zehn Jahren wächst die US-Wirtschaft. Dieser ungewöhnlich lange Zyklus könnte ausgerechnet im Wahljahr zu Ende gehen. Die Notenbank FED will dieses Jahr auf die geplanten Zinserhöhungen verzichten – ein Indiz dafür, dass sie die konjunkturelle Lage als kritisch einstuft. Der Effekt von Trumps Steuerreform ist ebenfalls verpufft. Die Börsen sind zunehmend nervös.
Eine Rezession im Wahljahr dürfte Trumps Chancen auf eine zweite Amtszeit erheblich mindern. Seine vollmundigen Versprechungen, die gut bezahlten Industriejobs zurückzuholen, konnte er nicht einlösen. Das Defizit in der US-Handelsbilanz ist höher denn je. Viele Amerikaner leben trotz «Jobwunder» in prekären Verhältnissen, sie hangeln sich von Gehaltscheck zu Gehaltscheck.
Eine Klimawahl in den USA? Warum nicht! Donald Trump ist ein Klimaleugner, er setzt auf fossile Energieträger wie Öl und Kohle. Doch auch in Amerika setzt sich angesichts extremer Wetterphänomene (Hitze und Trockenheit im Sommer, Mordskälte im Winter) die Erkenntnis durch, dass etwas geschehen muss. Erste «Fridays for Future»-Kundgebungen haben stattgefunden.
Linke Demokraten propagieren einen Green New Deal, einen Totalumbau der US-Wirtschaft auf Nachhaltigkeit. Dem Partei-Establishment ist dieses teure und ambitionierte Programm nicht ganz geheuer, doch erste Präsidentschaftskandidaten haben es aufgenommen.
Donald Trump ist trotz Entlastung in der Russland-Affäre nicht frei von juristischen Sorgen. So lässt der Mueller-Report die Frage offen, ob der Präsident sich mit dem Rauswurf von FBI-Chef James Comey der Behinderung der Justiz schuldig gemacht hat. Ein reales Problem sind die Schweigegeldzahlungen an Pornostar Stormy Daniels und «Playboy»-Model Karen McDougal.
Sie erfolgten in der Endphase der Präsidentschaftswahl 2016 und könnten gegen das Gesetz zur Wahlkampffinanzierung verstossen haben. Entsprechende Belege hat Trumps Ex-Anwalt Michael Cohen bei seiner Befragung vor dem Kongress vorgelegt. Einen direkten Link zu Trump enthalten sie nicht, dennoch muss der Präsident wegen seiner Sex-Affären mit Ungemach rechnen.
Donald Trumps Strategie für seine Wiederwahl ist bekannt. Er will wie gewohnt an die Ängste der weissen Amerikaner appellieren, mit rassistisch angehauchten Parolen. Die Chancen der Demokraten sind intakt, dass Trump – der 2016 nur knapp gewonnen hatte – damit nicht ein zweites Mal durchkommt. Dafür müssen sie sich auf die realen Sorgen konzentrieren und weniger mit sich selbst beschäftigen.
Als Vorbild könnte ausgerechnet Alexandria Ocasio-Cortez dienen. Der linke Shootingstar der Demokraten spricht kaum über Russland, sondern lieber über den Green New Deal oder die Öffnung der staatlichen Senioren-Krankenkasse Medicare für alle. Mit solchen Themen können die Demokraten Trump besiegen. Die Russland-Affäre dürfen sie getrost vergessen.
Das demokratische Kandidat*in muss alle Energie darin legen die Wähler zu überzeugen bei ihm ein Kreuz zu machen und nicht kein Kreuz bei Trump zu machen...
Ehrlich gesagt, ich glaube dies nicht.
Wer so wie die Demokraten in den vergangenen mehr als 2 Jahren nichts ausser die Midterm-Wahlen zu gewinnen hinkriegte, was eigentlich fast immer von der Opposition erreicht wird, der wird sehr grosse Mühe haben sich richtig in Stellung zu bringen.
Es fehlt nicht an Themen, es fehlt an Führerschaft (sorry für den Ausdruck).
Die Wahlen 2020 werden kaum zur Ablösung des Präsidenten führen, LEIDER!