Die Sache mit dem Ballon ist ernst, aber ein gewisser Unterhaltungswert steckt auch darin – zumindest, solange nicht die Folgen des mutmasslichen chinesischen Spionageversuchs hoch im Luftraum der USA im Vordergrund standen, sondern schlicht die Faszination des Aussergewöhnlichen.
Da flog also dieses grosse weisse Ding übers Land, und das Pentagon will früh erkannt haben: So richtig gefährlich kann uns das nicht werden, genauere Bilder als etwa per Satellit wird die Führung in Peking auf diesem Weg auch nicht bekommen können. Zudem sollen Vorkehrungen getroffen worden sein, um einen etwaigen Datentransfer des Ballons zu unterbinden. Es sei auch nicht das erste Mal gewesen, dass ein solcher Ballon in den USA gesichtet wurde, hiess es. Alles halb so wild, jedenfalls nicht sonderlich raffiniert.
Dazu passte der gallige Spott, mit dem die Bilder des fremden Objekts im Internet herumgereicht wurden. Knallt ihn endlich ab, solche Forderungen gingen vielen Menschen leicht über die Tastatur, im politischen Washington wurden sie ebenfalls mit Nachdruck erhoben. Am Ende kam es so: Ein Kampfjet holte den Ballon vor der US-Ostküste vom Himmel. Jetzt müssen sie die Trümmer auflesen – wörtlich wie im übertragenen Sinn.
Was da aus dem Meer gefischt wird, kann sicherlich Aufschluss über die Ziele der mysteriösen Mission geben. Die Ausflüchte aus Peking, der Ballon habe nur Forschungszwecken gedient und sei durch «höhere Gewalt» vom Kurs abgekommen, werden sich damit womöglich handfester widerlegen lassen. US-Präsident Joe Biden wird sich sicher gewesen sein, was hier gespielt wurde, als er den Befehl zum Abschuss gab. Offengelegt hat seine Regierung ihre Erkenntnisse im Detail bislang nicht.
Die Beziehungen der USA und Chinas lagen allerdings schon vorher in Trümmern, der aktuelle Vorfall ist eher ein Symptom der bestehenden Krise als der Auslöser einer neuen. Das Misstrauen war gross, die Auseinandersetzung energisch. Die nationale Sicherheitsstrategie der Amerikaner beschreibt China als «grösste geopolitische Bedrohung», und die US-Regierung handelt entsprechend, inklusive Druck auf Verbündete, es ihnen gleichzutun. Das Regime in Peking arbeitet derweil an seiner autoritären Expansion, will seine Machtansprüche mit aller Härte durchsetzen, im Inneren wie in der Welt.
Und doch war zuletzt der Anschein von Entspannung aufgekommen. Immerhin wollte man weiter miteinander reden. Die Präsidenten Xi Jinping und Biden hatten sich beim G20-Gipfel in Indonesien auf regelmässige Gespräche verständigt. An diesem Sonntag wäre eigentlich US-Aussenminister Antony Blinken in Peking empfangen worden: Die Bedrohung Taiwans und Chinas Haltung zum russischen Krieg gegen die Ukraine, auf US-Seite der Versuch, mit Exportblockaden Chinas technologische Fortschritte auszubremsen – es hätte vieles zu besprechen gegeben.
Dass daran beide Seiten offenbar weiterhin Interesse haben, zeigt der Umgang mit der Ballon-Affäre. Blinken etwa sagte seinen Besuch in Peking zwar ab, will ihn aber nachholen, wenn die Angelegenheit so weit geklärt ist, dass sie die Gespräche nicht zusätzlich belastet. Und die US-Regierung verzichtet auf eine unmittelbare Vergeltung.
China wiederum poltert seit dem Abschuss des Ballons zwar etwas gröber, nennt das Vorgehen eine «Überreaktion», verhält sich aber ansonsten diplomatisch defensiv: «Starke Unzufriedenheit» über den Einsatz von Gewalt gibt das Regime einigermassen empört zu Protokoll, das Aussenministerium teilt mit, Politiker und Medien in den USA hätten «die Sache hochgespielt». Eskalation sieht anders aus.
Damit ist nicht gesagt, dass die Sache nun schnell vergessen wäre. Schon gar nicht dürften die USA und China im Umgang miteinander weicher werden. Nur wissen eben beide, dass Spionage und Sticheleien in dieser Beziehung dazugehören. Gleichzeitig glauben die Biden-Regierung wie die Führung in Peking bei aller Härte an den stabilisierenden Nutzen fortgesetzter Kontakte. So gesehen wäre der Ballonflug mit seinem unrühmlichen Ende nicht mehr als ein Unfall – ganz gleich, ob China sich davon ernsthaft einen Nutzen versprochen hatte oder einfach testen wollte, was passieren würde. Ein Ärgernis, mit dem aber beide Mächte umgehen können und müssen.
China allerdings kommt aus dieser Nummer nicht ohne Verluste heraus. Das trifft konkret auf den Ballon zu, dessen Ausrüstung nun in den Händen des Gegners liegt – aber damit hätte man rechnen müssen, der Wert dieser Beute ist wahrscheinlich begrenzt. Mehr noch hat China sich politisch selbst geschadet. Denn die Annäherungsbemühungen der jüngsten Vergangenheit waren von der Führung in Peking ausgegangen. Unter der Last seiner fehlgeschlagenen Null-Covid-Politik, die dem Land derzeit in einer ungebrochenen Corona-Welle wirtschaftlich zusetzt, schien es, als erkenne China, dass man sich in manchen Fragen würde arrangieren müssen. Wenn die dortigen Staatsmedien propagieren, der Vorfall sei als Vorwand hergenommen worden, um den Blinken-Besuch abzusagen, passt das ganz gut.
Nun ist mit dem Ballon auch die Hoffnung geplatzt, die USA könnten ihrerseits zu kurzfristigen Zugeständnissen bereit sein. Stattdessen hat der Druck auf Joe Biden, gegen China nicht nachzulassen, nur noch zugenommen. Und auch den sanfteren westlichen Verbündeten ist einmal mehr vor Augen geführt worden, womit man es im Systemwettbewerb mit China zu tun hat. Aber vielleicht fühlen sich die Kader in Peking auch einfach sehr sicher und genau das war die Absicht hinter der Aktion.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.