Dass gegen Donald Trump ermittelt wird, ist schon eine halbe Ewigkeit keine Nachricht mehr. Die Justiz hat ihn sein ganzes Geschäftsleben lang begleitet und angesichts seiner fragwürdigen Praktiken nicht eben wohlwollend. Als US-Präsident und nach dem Verlust des Amtes hat er Staatsanwälten und Ausschüssen im Kongress nur noch mehr Anlass gegeben, ganz genau zu prüfen, welche Vergehen und Verbrechen für ihn Konsequenzen haben müssen. Die Vorwürfe sind vielfältig und erheblich, während Trump ein weiteres Mal in den Wahlkampf einsteigt, um sich an die Macht zu flüchten, wo ihm keiner etwas kann – so zumindest mag er sich das vorstellen.
Bis dahin scheint seine Strategie jene zu sein, die ihm schon oft Schlimmeres erspart hat: ablenken und verschleppen, koste es, was es wolle. Sich auf diese Art gegen derart viele Verfahren gleichzeitig zu wehren wie derzeit, ist in der Tat nicht billig, zeitraubend allemal. Und langsam, aber sicher wird ebenso deutlich: Diesmal ist Trump wirklich in Schwierigkeiten.
Am Dienstag ist in New York nach jahrelangen Ermittlungen ein erstes Urteil gefallen, das die Richtung für weitere weisen kann: Die Trump Organization, die Familienholding des Ex-Präsidenten mit Hunderten Einzelfirmen, wurde unter anderem wegen jahrelanger systematischer Steuerhinterziehung in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen. Im Zentrum des Prozesses stand der frühere Finanzchef und Vertraute Trumps, Allen Weisselberg, der zuvor geständig und zum eigenen Vorteil als Zeuge gesprächig gewesen war. «Ein Fall von Gier und Betrug», wie der zuständige Staatsanwalt Alvin Bragg festhielt, der gezeigt habe: «In Manhattan steht kein Unternehmen über dem Gesetz.»
Trump selbst war nicht angeklagt, und die Mitte Januar drohende Geldstrafe von rund 1,6 Millionen Dollar dürfte nicht allzu sehr wehtun. Entscheidend ist, dass die Jury die Verantwortung für frisierte Bücher und eifrige Vorteilsnahme über Luxuswohnungen oder Dienstwagen nicht allein bei Weisselberg sah. Auch das ist ja eine alte Strategie der Familie Trump: Im Zweifel sollen andere die Schuld tragen und dafür geradestehen.
Doch das Urteil macht klar: Der Betrug erfolgte für und im Namen des Unternehmens, Trump hat davon gewusst. Dessen persönliches Image kann in diesen Tagen kaum noch mehr leiden als ohnehin schon. Die Geschäfte mit Hotels, Golfplätzen und sonstigen Immobilien in aller Welt aber dürften durch die erste strafrechtliche Verurteilung des Unternehmens weiter belastet, Kreditgeber und Partner zusätzlich verunsichert werden. Auch könnten daraus neue teure Klagen erwachsen.
Und insbesondere für weitere Verfahren, die in New York gegen Trump geführt werden, kann das Urteil ein Signal sein. Die dortige Generalstaatsanwältin Letitia James ermittelt seit drei Jahren wegen Bank- und Versicherungsbetrugs gegen ihn, seine Familie und ihre Unternehmen: Mal soll der Wert von Immobilien möglichst kleingerechnet worden sein, wenn Versicherungen oder Steuern bezahlt werden sollten, mal soll der Wert für günstigere Darlehenszinsen gehörig aufgeblasen worden sein.
James hat Klage erhoben und will erreichen, dass die Trump Organization unter die Kontrolle eines unabhängigen Aufsehers gestellt wird und dass Trump und seine Kinder fünf Jahre lang keine kommerziellen Immobilien in New York erwerben können und sie dort nie wieder ein Unternehmen führen oder Kredite bekommen können. Sie fordert zudem 250 Millionen Dollar Strafzahlung, die allein durch Betrug erlangt worden seien. Haft droht in dem Zivilverfahren nicht, ein Prozess könnte erst in vielen Monaten beginnen, aber immerhin noch mitten in Trumps Wahlkampf.
Weniger Zeit, aus seinen Ermittlungen etwas zu machen, das Trump Konsequenzen spüren lässt, hat der Kongress-Untersuchungsausschuss zum Sturm auf das Kapitol im Januar 2021. Dessen Abschlussbericht soll demnächst vorgelegt werden, bevor im kommenden Jahr die Republikaner mit ihrer neuen Mehrheit im Repräsentantenhaus die Arbeit zum Erliegen bringen könnten. Bekannt ist bereits, dass damit Empfehlungen an das Justizministerium erfolgen werden, einzelne Personen strafrechtlich zu belangen. Aber soll auch Trump angeklagt werden, weil er den Mob in Washington aufhetzte und den gewaltsamen Umsturz wollte? Selbst wenn das parlamentarische Gremium davor aus politischen Gründen, aus Angst vor der Reaktion der Trump-Anhänger zurückschrecken sollte: Die Staatsanwälte ermitteln ohnehin in dieser Angelegenheit, haben bereits Zeugen vernommen und Beweise beschlagnahmt. Der Ausgang ist dennoch offen.
Aber Trump muss die Justiz noch in weiteren Fällen fürchten: Dazu gehören neben vielen anderen die Klärung, ob er einer Pornodarstellerin nach einer Affäre Schweigegeld gezahlt hat, oder die Vergewaltigungsvorwürfe der Autorin E. Jean Carroll, ebenso die Behauptung seiner Nichte Mary, er habe sie um ihr Erbe betrogen. Schwerwiegender sind die Vorwürfe in Georgia, wo Trump nach seiner verlorenen Wahl 2020 Verantwortliche in dem Bundesstaat zur Fälschung der Ergebnisse angestiftet haben soll. Die Entscheidung der berufenen Geschworenen kann sich noch Monate hinziehen, aber käme es dort zu einer Anklage, würden unter Umständen mehrjährige Haftstrafen drohen. Und auch in Georgia schlugen einige Versuche fehl, die Ermittlungen auszubremsen.
Die grösste Gefahr für Trump persönlich geht derweil weiterhin von der Aufarbeitung des Skandals um vielfach als geheim eingestufte Regierungsdokumente aus, die er nach seiner Amtszeit hortete und nur widerwillig in Teilen zurückgab. Eine Anklage nach dem Spionagegesetz könnte eine langjährige Haftstrafe bedeuten. Zwischenzeitlich hatte Trump zwar Erfolg damit, die Ermittlungen zu verzögern, nachdem auf Antrag seiner Anwälte ein Sonderbeauftragter eingesetzt wurde, der die Unterlagen filtern sollte. Doch zuletzt unterlag er vor einem Bundesberufungsgericht, das den Prüfer als unzulässig absetzte und festhielt: Die Durchsuchung seines Anwesens Mar-a-Lago in Florida und die Beschlagnahme des heiklen Materials war rechtens. Zuvor hatte das Justizministerium bereits erreicht, dass alle als geheim eingestuften Dokumente direkt für die Ermittlungen genutzt werden konnten.
Wie schnell all das Trump auf die Anklagebank bringen kann, ist völlig offen. Aber zurücklehnen und sich in der Opferrolle suhlen, die politische Hexenjagd auf ihn beschwören, wird allein nicht reichen, um die Probleme loszuwerden. Und wenige Wochen nach Trumps Ankündigung, noch einmal Präsident werden zu wollen, sieht es nicht nur juristisch wenig ermutigend aus für ihn.
Im Kern seiner Anhängerschaft mag seine demokratiefeindliche Erzählung noch verfangen, bis hin zur jüngsten Fantasie, Regeln der Verfassung ausser Kraft zu setzen, damit er wieder an die Macht kommt. Doch spätestens nach den enttäuschenden Midterm-Wahlen glauben immer weniger auch in den Reihen der Republikaner, dass mit diesem Mann noch etwas zu gewinnen ist. Die jüngsten Niederlagen vor Gericht werden das nicht besser gemacht haben.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.