bedeckt
DE | FR
International
Argentinien

Neuer Präsident Argentiniens: Rechtsaussen-Kandidat Javier Milei gewinnt

Argentinien hat jetzt einen «Anarchokapitalisten» als Präsident – Trump ist «stolz»

20.11.2023, 02:4820.11.2023, 05:55
Mehr «International»
CORRECTS NAME TO KARINA MILEI NOT FATIMA FLORES - Presidential candidate of the Liberty Advances coalition Javier Milei waves after voting, accompanied by his sister Karina Milei, right, in the presid ...
Der selbst ernannte «Anarchokapitalist» Milei verspricht eine radikale Kehrtwende.Bild: keystone

Der libertäre Populist und Oppositionspolitiker Javier Milei hat die Präsidentenwahl in Argentinien gewonnen. Der Kandidat der Partei La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran) lag mit 55,76 Prozent deutlich vor Wirtschaftsminister Sergio Massa von der linken Unión por la Patria (Union für das Vaterland) mit 44,23 Prozent, wie das Wahlamt des südamerikanischen Landes nach der Auszählung von 97 Prozent der Stimmen am Sonntagabend (Ortszeit) mitteilte.

«Heute beginnt der Wiederaufbau von Argentinien. Das ist ein historischer Abend», sagte Milei nach der Bekanntgabe des Ergebnisses. «Ich will eine Regierung, die ihre Pflicht erfüllt, die das Privateigentum und den freien Handel respektiert.»

Regierungskandidat Massa räumte seine Niederlage ein. «Javier Milei ist Präsident. Ich habe ihm gratuliert, denn die Mehrheit der Argentinier hat ihn gewählt», sagte er. «Ab morgen liegt es in der Verantwortung des gewählten Präsidenten, Sicherheit und Garantien zu bieten, und wir hoffen, dass er dies tun wird.»

Argentina's Economy Minister Sergio Massa waves to supporters after conceding defeat to opposition candidate Javier Milei in the presidential runoff election in Buenos Aires, Argentina, Sunday, N ...
Sergio Massa gratulierte Milei zum Sieg. Bild: keystone

Inmitten einer schweren Wirtschaftskrise verspricht der selbst ernannte «Anarchokapitalist» Milei eine radikale Kehrtwende: Er will den US-Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel einführen, die Zentralbank sowie viele Ministerien abschaffen und die Sozialausgaben kürzen. Regierungskandidat Massa stand hingegen für die bisherige Politik mit massiven Eingriffen des Staates in die Wirtschaft und umfangreichen Sozialprogrammen.

«Niemand mit so extremen Ansichten in Wirtschaftsfragen ist je zum Präsidenten eines südamerikanischen Landes gewählt worden», sagte der Ökonom Mark Weisbrot vom US-Forschungsinstitut Center for Economic and Policy Research. «Er erkennt kaum eine legitime Rolle der Regierung in einigen der wichtigsten Politikbereiche an, die die meisten Menschen als notwendig für eine demokratische, humane und stabile Gesellschaft ansehen.»

Gegen das Recht auf Abtreibung und ohne Glaube an den menschengemachten Klimawandel

Milei profitierte vor allem von der Wut vieler Argentinier auf die Dauerkrise und das politische Establishment. Mit zerzaustem Haar und laufender Kettensäge wetterte er bei Wahlkampfveranstaltungen gegen die von ihm verhasste politische «Kaste». Der Exzentriker lebt mit fünf geklonten riesigen Mastiffs zusammen, die er nach liberalen Ökonomen wie Milton Friedman und Robert Lucas benannt hat.

Das Enfant terrible der argentinischen Politik will ausserdem den Waffenbesitz liberalisieren, ist gegen das Recht auf Abtreibung, glaubt nicht an den menschengemachten Klimawandel und schimpft den argentinischen Papst Franziskus einen Kommunisten. Zwar bedient er sich wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump und der frühere brasilianische Staatschef Jair Bolsonaro einer Anti-System-Rhetorik, allerdings verzichtet er im Gegensatz zu seinen Vorbildern auf rechtsradikale Ausfälle und befürwortet etwa die gleichgeschlechtliche Ehe.

Presidential candidate of the Liberty Advances coalition Javier Milei speaks after his victory over Sergio Massa, Economy Minister and candidate of the ruling Peronist, party in a presidential runoff  ...
Javier Milei nach seinem Wahlsieg. Bild: keystone

Seine künftige Vizepräsidentin Victoria Villarruel hingegen bedient das konservative Klientel, pflegt Kontakte zu rechten Gruppierungen auf der ganzen Welt und provoziert immer wieder mit Äusserungen über die Militärjunta (1976-1983). Die Tochter eines Offiziers zieht die von Menschenrechtsorganisationen auf 30 000 geschätzte Zahl der Todesopfer bei Regierungsgegnern, linken Aktivisten, Gewerkschaftern und Studenten während der Diktatur in Zweifel und pocht ihrerseits auf mehr Anerkennung für die Opfer linker Guerillagruppen.

Wahl inmitten einer tiefen Wirtschaftskrise

Die zweitgrösste Volkswirtschaft Südamerikas steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die Inflationsrate liegt bei über 140 Prozent, rund 40 Prozent der Menschen in dem einst reichen Land leben unterhalb der Armutsgrenze. Argentinien leidet unter einem aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität der Industrie und einer grossen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen entzieht. Die Landeswährung Peso verliert gegenüber dem US-Dollar immer weiter an Wert, der Schuldenberg wächst ständig.

Der Sieg des marktliberalen Milei bedeutet eine echte Kehrtwende für Argentinien, wo die linken Peronisten seit über 20 Jahren massgeblichen den Ton angeben, der Staat massiv in die Wirtschaft eingreift, öffentliche Dienstleistungen stark subventioniert werden und in zahlreichen Provinzen mehr Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor beschäftigt sind als in der Privatwirtschaft.

Nun dürfte allerdings Mileis Kompromissfähigkeit getestet werden, denn allein wird er trotz seiner radikalen Rhetorik nicht weit kommen. Im Parlament hat er keine Mehrheit, sein Lager verfügt nicht über einen Provinzgouverneur, zudem fehlt ihm qualifiziertes Personal, um wichtige Schlüsselpositionen zu besetzen. Der politische Gegner hingegen kann ihm das Leben als Staatschef schwer machen: Die linken Peronisten sind über Gewerkschaften, soziale Bewegungen und Parteistrukturen bis in die kleinsten Gemeinden bestens organisiert und jederzeit in der Lage, das öffentliche Leben in Argentinien mit Protesten gegen die neue Regierung lahmzulegen.

Trump: «Ich bin sehr stolz auf Sie»

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hat Javier Milei zu dessen Sieg bei der Präsidentenwahl gratuliert. «Die ganze Welt hat zugeschaut! Ich bin sehr stolz auf Sie. Sie werden Ihr Land umkrempeln und Argentinien wirklich wieder grossartig machen!», schrieb Trump in der Nacht zum Montag in dem von ihm mitbegründeten sozialen Netzwerk Truth Social. Damit spielte Trump auf sein eigenes Wahlkampfmotto, «Macht Amerika wieder grossartig», an.

Der Nationale Sicherheitsberater des Weissen Hauses gratulierte indes nicht nur Milei zu dessen Sieg, sondern auch den Menschen in Argentinien für die «freie und faire Wahl». Auf der Plattform X schrieb Jake Sullivan in der Nacht zum Montag: «Wir freuen uns auf den Ausbau unserer starken bilateralen Beziehungen, die auf unserem gemeinsamen Engagement für Menschenrechte, demokratische Werte und Transparenz beruhen.»

epa10973817 Brazilian President Luiz Inacio Lula da Silva speaks during a ceremony to sanction a new quota law for public universities and federal institutes at the Palacio Planalto in Brasilia, Brazi ...
Luiz Inácio Lula da Silva erwähnte den künftigen Präsidenten aus dem Nachbarland nicht mit Namen. Bild: keystone

Ähnlich neutral und ohne seinen künftigen Kollegen direkt zu erwähnen, schrieb der linke brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva auf der Nachrichtenplattform X, ehemals Twitter: «Ich wünsche der neuen Regierung viel Glück und Erfolg. Argentinien ist ein grosses Land und verdient unseren ganzen Respekt. Brasilien wird immer bereit sein, mit unseren argentinischen Brüdern und Schwestern zusammenzuarbeiten.»

Der linke kolumbianische Staatschef Gustavo Petro wählte harschere Worte. «In Argentinien hat die extreme Rechte gesiegt, das ist die Entscheidung der Gesellschaft. Traurig für Lateinamerika: Der Neoliberalismus hat keinen Vorschlag mehr für die Gesellschaft, er kann nicht auf die aktuellen Probleme der Menschheit reagieren.»

Unterstützung erhielt Milei hingegen aus Europa. «Glückwunsch, lieber Milei, zum grossartigen Sieg bei den argentinischen Präsidentschaftswahlen», schrieb der Vorsitzende der rechtspopulistischen spanischen Partei Vox, Santiago Abascal, auf X. «Es lebe Spanien, es lebe Argentinien, souverän und frei von Sozialismus.»

(sda/dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet um die Zahlung abzuschliessen)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
143 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Randy Orton
20.11.2023 01:24registriert April 2016
Mal schauen wie lange es geht, bis Argentinien erneut den Staatsbankrott anmelden kann.
18312
Melden
Zum Kommentar
avatar
Sawa Pädi
20.11.2023 03:29registriert März 2020
Da muss in einem Land schon sehr viel falsch gelaufen und die Menschen ziemlich verzweifelt sein, dass sie sich auf ein solches Experiment einlassen.

In Argentinien wohl die grassierende Korruption und der Filz, von links bis rechts, mit einer heftigen Prise Militär.
1339
Melden
Zum Kommentar
avatar
The resa
20.11.2023 03:24registriert September 2023
Ich war von Februar bis April in Argentinien. In dieser Zeit verlor der Peso 1/3 seines Wertes. Inflation war das Haupthema im TV jeden Tag. All die Diskussionsrunden mit Wirtschaftsexperten. Alle waren ratlos. Einigkeit gab es nur darüber, dass das Problem sowohl ökonomisch als auch politisch ist. Die ganze politische Kultur in Argentinien ist seit langem schon komplett verrottet.
Zum Neugewählten kann ich nichts sagen, da ich nicht mehr auf dem Laufenden bin.
Es wurde allgemein erwartet, dass die Inflation 100% sein würde für 2023. Aber es sind schon über 200%. Brutal für Normalverdiener
845
Melden
Zum Kommentar
143
Britischer Dichter Benjamin Zephaniah gestorben

Der britische Dichter Benjamin Zephaniah ist tot. Der aus der Serie «Peaky Blinders» bekannte Künstler sei im Alter von 65 Jahren gestorben, meldete die Nachrichtenagentur PA am Donnerstag unter Berufung auf sein Management.

Zur Story