Knapp eine Million Kinder und Jugendliche sind nach Unicef-Angaben vom verheerenden Erdbeben in Nepal betroffen. Selbst unverletzte Kinder stünden nun etwa vor dem Problem, dass die Wasserversorgung nicht funktioniere. «Unsere grösste Sorge ist derzeit, ihnen Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen zu verschaffen», sagte Christopher Tidey von Unicef. «Wir wissen, dass Trinkwasser und Nahrungsmittel langsam knapp werden.»
Viele Kinder seien zudem von ihren Familien getrennt und auf sich allein gestellt. Mindestens 940'000 Minderjährige aus den am schwersten betroffenen Regionen seien deshalb dringend auf «humanitäre Hilfe» angewiesen.
Insbesondere Kinder aus ärmeren Familien hätten Probleme, sich zu schützen und sich mit Lebensmitteln zu versorgen, sagte Unicef-Sprecher Rudi Tarneden. «Es gibt die Gefahr, dass es zu einer schleichenden Katastrophe nach diesem dramatischen Ereignis kommt.» Es bestehe das Risiko, «dass die Not sich weiter verschärft und noch mehr Kinder ins Elend fallen».
Zwei Tage nach dem Beben im Himalaya finden die Helfer in den Trümmern weiter zahlreiche Opfer: Laut nepalesischem Innenministerium kamen mindestens 3726 Menschen ums Leben, mehr als 6500 wurden verletzt. In Indien starben 62, in China mindestens 20 Menschen.
«Situation in Kathmandu ist fatal»
Gesundheitsexperten warnen vor dem Ausbruch von Krankheiten in Nepal. «Wir fürchten, dass es zu Epidemien kommen könnte», sagte der Koordinator der Arbeiterwohlfahrt International (AWO) in Kathmandu, Felix Neuhaus, im Deutschlandfunk.
«Die Krankenhäuser sind komplett überlastet», sagte Neuhaus. Auf den Strassen herrsche allgemeines Chaos, besonders schlimm sei die Situation in den Dörfern, «wo bis zu hundert Prozent der gesamten Bausubstanz zusammengefallen ist», sagte der Nothilfekoordinator.
«Die Situation in Kathmandu ist fatal», sagte der Länderreferent bei Caritas international, Peter Seidel, im ZDF-«Morgenmagazin»: «Die medizinische Versorgung in Nepal ist schon in normalen Zeiten sehr schlecht, auf dem Land in vielen Regionen praktisch inexistent.» Umso schwieriger werde es jetzt, medizinische Nothilfe zu leisten. Überlebende berichteten, viele Strassen seien wegen Erdrutschen oder aufgerissenen Teer nicht passierbar.
«Es gibt Freiwillige, die durch die Strassen gehen mit kleinen Köfferchen. Ich habe gestern einen Rundgang gemacht und mit einigen dieser Freiwilligen gesprochen. Die haben Paracetamol, Schmerzmittel dabei und leichte Verbandstoffe, aber nicht mal Antibiotika», sagte Nothilfekoordinator Neuhaus. Er kritisierte, dass es bislang «keine Unterstützung von staatlichen Akteuren» gebe. Auch die Hilfsarbeiten liefen bislang «relativ unkoordiniert».
Das Militär erklärte, 90 Prozent aller nepalesischen Soldaten seien im Einsatz. Für die Rettungs- und Hilfsarbeiten würden alle verfügbaren Kräfte eingesetzt. Die Regierung rief die Bürger zu Blutspenden auf. Nach Regierungsangaben sollen weiter massenhaft Leichen verbrannt werden, um Seuchen zu verhindern.
Hunderttausende in provisorischen Zeltstädten
Den Überlebenden machten in der Nacht starke Regenfälle zu schaffen. Hunderttausende abgekämpfte Menschen verbrachten die Nacht – auch aus Angst vor Nachbeben – in provisorischen Zeltstädten.
In Kathmandu herrsche eine solidarische Atmosphäre, berichtet der deutsche Reisefotograf Jordane Schönfelder. Viele Menschen seien auf Nachbarschaftshilfe angewiesen. Es gebe keine Informationszentren und nur wenige Soldaten und Polizisten. «Selbst nach den Verschütteten graben die meisten Leute selber.»
Zahlreiche Staaten und Organisationen entsandten Helfer. Der einzige internationale Flughafen Nepals war zwar am Montag geöffnet, doch konnten viele Flugzeuge nicht landen und zogen stundenlang Kreise. Auch Deutschland schickte Experten. Am Mittag soll ein Team des Technischen Hilfswerks (THW) in Kathmandu eintreffen. Vom Flughafen Berlin-Schönefeld soll ein Flug mit 60 Tonnen Hilfsgütern nach Nepal starten, wie das Deutsche Rote Kreuz mitteilte.
Das Erdbeben der Stärke 7,8 war die stärkste Erschütterung des Bodens in Nepal seit mehr als 80 Jahren. Das Epizentrum lag etwa 80 Kilometer nordwestlich von Kathmandu. Grosse Teile der Infrastruktur Nepals, viele alte Häuser sowie Weltkulturerbe- und Pilgerstätten wurden zerstört. Dem Beben am Samstag folgten viele Nachbeben.
wit/Reuters/AFP/AP/dpa