Es sind beunruhigende Neuigkeiten, welche WHO-Corona-Spezialistin Maria Van Kerkhove am Mittwoch in Genf verbreitet. Die Corona-Variante XBB.1.5 wurde bereits in 29 Ländern nachgewiesen und verbreitet sich insbesondere in den USA mit hoher Geschwindigkeit. Ganz überraschend kam diese Entwicklung nicht, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt.
Am 27. Oktober veröffentlichte die WHO ihre Erkenntnisse zu den Omikron-Subvarianten BQ.1 und XBB, die als «variants of concern» unter Beobachtung standen. Beide Varianten sind Nachkommen, der derzeit weltweit noch dominierenden Variante BA.2.
XBB sei in Sequenzierungen vermehrt aufgetaucht, habe aber nicht konkret mit einem Fallzahlen-Anstieg in Verbindung gebracht werden können, so die WHO im Oktober. Frühe Studien wiesen allerdings darauf hin, dass das Reinfektionsrisiko im Vergleich mit anderen Omikron-Varianten höher sei. BQ.1 begann sich derweil schon langsam gegen andere Omikron-Varianten durchzusetzen. Die WHO rief deshalb Länder dazu auf, die XBB- und BQ.1-Varianten genau zu überwachen.
Dass sich BQ.1 wohl weiter ausbreiten würde, begann sich schon im September abzuzeichnen. Cornelius Römer, welcher an der Uni Basel die Verbreitung des Coronavirus erforscht, prognostizierte bereits Anfang Oktober, dass BQ.1.1 in Nordamerika und Europa eine «Varianten-Welle» auslösen würde.
With 11 days more data, it is becoming quite clear that BQ.1.1 will drive a variant wave in Europe and North America before the end of November
— Cornelius Roemer (@CorneliusRoemer) October 2, 2022
Its relative share has kept more than doubling every week
It has taken just 19 days to grow 8-fold from 5 sequences to 200 sequences 1/ https://t.co/pPIi0wbNuR pic.twitter.com/NUpzCplcZB
Er sollte teilweise Recht behalten. In der Schweiz machten BQ.1 und seine Untervarianten einen Monat später bereits 30 Prozent aller Fälle aus, in den USA 17 Prozent.
Was Römer aber noch nicht wusste, war, dass die zu diesem Zeitpunkt noch unscheinbare Variante XBB.1.5 die Dominanz der BQ.1-Variante verhindern würde. Diese machte in den USA Anfang November gerade mal 0.1 Prozent aus.
Bis Mitte Dezember stieg der Anteil von XBB.1.5 aber bereits auf 9.9 Prozent und verdoppelte sich in der Woche darauf auf 21.7 Prozent. Ende Dezember war XBB.1.5 für 40.5 Prozent aller Fälle in den USA verantwortlich. Als Folge davon wurde die Verbreitung von BQ.1 wieder rückläufig.
Wie schnell sich XBB.1.5 bereits verbreitet hat, zeigt diese Visualisierung:
I've added a map page to my dataviz on COVID-19 genomic sequencing data.
— Mike Honey (@Mike_Honey_) January 2, 2023
Here I've used it to visualise the spread of the new XBB.1.5 "Kraken" lineage around the world.https://t.co/FuHOL8g6Xg pic.twitter.com/gXZ2l8EuEn
Nun stellt sich die grosse Frage: Wie gefährlich ist denn XBB.1.5?
Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf die Zusammensetzung der Virusvariante. Dabei scheint es nämlich zuerst irritierend, dass die Variante XBB.1.5, als Nachkomme der BA.2-Variante, nicht auch mit dem Buchstaben «B» beginnt – wie beispielsweise die Variante BQ.1. Dies hat einen guten Grund.
XBB ist nämlich durch eine sogenannte Rekombination zweier BA.2-Varianten hervorgegangen. Das heisst, dass sich einst eine Person mit beider dieser Varianten infiziert hat, woraus die kombinierte Variante entstanden ist.
Diese Illustration von der Epidemiologin Emma Hodcroft veranschaulicht dies:
You might be seeing a lot about XBB these days, & we're in the process of adding it to @nextstrain, Nextclade, & https://t.co/wVE7ubYBoy (as 22F).
— Dr Emma Hodcroft (@firefoxx66) November 2, 2022
You might also be hearing it's a 'recombinant' - but what does that mean? Let's take a look.
1/9 pic.twitter.com/O4XFD0ovcB
Das «X» zu Beginn des Namens, bedeutet also, dass es sich um eine rekombinante Virusvariante handelt.
Der Grund, weshalb XBB von der WHO im Oktober unter Beobachtung gestellt wurde, lag in dessen erheblichen Immunfluchteigenschaften. In anderen Worten: XBB ist gegen Antikörper aus Impfung oder durchgestandener Infektion besonders resistent. Weshalb haben sich denn nicht schon XBB oder XBB.1 (die Vorfahren von XBB.1.5) durchgesetzt?
XBB besitzt zwar eine höhere Immunflucht, aber keine höhere Übertragbarkeit. Die höhere Immunflucht verminderte in diesem Fall nämlich die Fähigkeit des Virus, menschliche Zellen zu infizieren, erklärt Virologin Wendy Barclay gegenüber «BBC». Etwas, dass sich mit dem Nachkommen XBB.1.5 änderte. Der fünfte Nachkomme von XBB.1 besitzt eine Mutation, welche diese «Schwäche» wieder kompensiert. Das heisst, das Virus kann das Immunsystem besser umgehen UND Zellen einfacher infizieren.
Dies führt dazu, dass XBB.1.5 nun nicht nur die vorherrschenden Varianten verdrängt, sondern auch die Fallzahlen in die Höhe treibt.
Ob XBB.1.5 auch für schwere Krankheitsläufe sorgt, ist bisher noch nicht bekannt. Virologin Barclays Besorgnis hält sich derzeit noch in Grenzen, da es noch keine Hinweise darauf gebe, dass XBB.1.5 den Impfschutz vor schwereren Verläufen durchbreche.
In den USA führt die neue Variante zu einem deutlichen Anstieg an Hospitalisationen. Dabei ist allerdings unbekannt, ob die eingewiesenen Infizierten geimpft waren oder einer Risikogruppe angehörten.
Vor diesem Hintergrund besteht die Problematik von XBB.1.5 derzeit eher darin, dass es aufgrund schneller Verbreitung zu vielen Personalausfällen in der Bevölkerung kommt. Ein Problem, das in der Vergangenheit zu Ladenschliessungen und Lieferverzögerungen geführt hat.
Vor zwei Wochen lag der Anteil von XBB.1.5 in Europa noch bei einem Prozent. In der Schweiz wird die Variante im Corona-Dashboard des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) noch nicht aufgelistet.
Die WHO arbeitet derzeit an einer Risikoanalyse, welche bald veröffentlicht werden soll.