watson-Reporter Dennis Frasch macht sich auf den Weg nach Berlin und berichtet über die Themen, die Deutschland bewegen – aus den Orten, in denen sie sichtbar werden.
Ostdeutschland, here I come! Halle steht auf dem Programm. Und drei Demonstrationen: Der Klimastreik, eine antikapitalistische Zubringerdemo und der «Endspurt» der CDU.
Das erste Mal auf meiner Reise sehe ich Wahlplakate der AfD. Diese haben in der Stadt bei den Europawahlen 2019 ganze 16 Prozent der Stimmen bekommen. Die Linken aber auch. Die Stadt scheint ein Schmelztiegel der politischen Extreme zu sein. Jeden Montag findet auf dem Marktplatz in Halle eine Kundgebung des Rechtsextremisten Sven Liebrich statt. Lautstarke antifaschistische Gruppen versuchen diese oft zu stören.
Diesen Bewegungen scheint ein starker Wunsch nach Veränderung inhärent zu sein. Das dürfte nicht von ungefähr kommen, viele Menschen in Ostdeutschland fühlen sich auch 31 Jahre nach dem Mauerfall noch als Bürger zweiter Klasse. Abgehängt vom Westen, der 40 Jahre Wirtschaftsvorsprung hat.
Das zeigt sich auch in Gesprächen mit der Generation Ü50. Viele sind der Meinung, dass der Osten nach der Wende überrannt und ausgebeutet wurde von den grossen Unternehmen der BRD. Die Angleichung an die westlichen Lebensgrundlagen gelang vielerorts nur schleppend, bis heute hat es kein ostdeutscher Flächenstaat geschafft, an das Niveau des wirtschaftlich schwächsten westdeutschen Bundeslandes heranzukommen.
Die Demos heute bleiben allesamt friedlich. Und mit dem Ende der Demos geht auch mein Aufenthalt in Halle zu Ende.
Um es mit dem Filmtitel des Techno-Meisters Paul Kalkbrenner zu sagen: Berlin Calling!
Der Zeitpunkt ist gekommen, ich kehre dem Westen den Rücken und gehe in den Osten. Doch vorher stoppe ich noch in Gudensberg. Kennst du nicht? Ich bis vor kurzem auch nicht.
Gudensberg ist eine kleine Stadt in der Nähe von Kassel, so ziemlich in der Mitte Deutschlands. Auf dem Weg dorthin passiere ich viele kleine Dörfer mit pittoresken Häuschen. Die Sonne scheint, die Traktoren fahren mich fast über den Haufen und ich erwarte hinter jeder Ecke ein Kamerateam, das einen AfD-Werbespot über das wahre Deutschland dreht.
Ich schweife ab. Gudensberg also. Den kurzen Abstecher hierhin habe ich mir erlaubt, um mit eigenem Smartphone zu sehen, ob das Internet wirklich so schlecht ist, wie man sagt. In Gudensberg sollen nämlich weniger als 20 Prozent der Haushalte einen Internetanschluss mit mehr als 30 Megabit pro Sekunde haben. Glasfaser soll auch nicht vorhanden sein.
Doch zuerst muss ich diesen Mohn-Streuselkuchen probieren. Deutsche Backkunst. Allein dafür hat sich die Reise gelohnt. Beim Bezahlen streikt das Karten-Terminal eine Weile, mein Verdacht scheint sich zu bestätigen.
Doch dann treffe ich Agata Marczok-Kryszak und ihren Mann Fabian Marczok. Die beiden führen ein Computergeschäft. Ich will von ihnen wissen, wie das Internet hier so ist. Sie sind erstaunt. Und ein wenig misstrauisch. «Sehr gut. In den letzten fünf Jahren konnten wir viele mit einem schnellen Anschluss versorgen», sagt Fabian Marczok.
Deutschland gilt in Sachen Digitalisierung als Entwicklungsland. Im Vergleich zu anderen Industriestaaten landet unser nördlicher Nachbar immer auf den letzten Plätzen, wenn es um den Ausbau von Glasfasernetzen geht. Auch in diesem Wahlkampf ist dies ein grosses Thema. Nur in Gudensberg anscheinend nicht, wie mir das Ehepaar Marczok erzählt.
Doch auch sie sehen ein, dass in den letzten 30 Jahre einiges verschlafen wurde, dass es Zeit für einen Wandel ist. Gewählt habe er schon, erzählt Fabian Marczok. Was genau, will er mir nicht verraten. Er erzählt mir lieber davon, wie er jeden hier in der Stadt mit gutem Internet versorgt. Und wie er und seine Frau zusammen in einer Rockband spielen. Und dass ich mir unbedingt das Märchen-Theater in der Stadt anschauen sollte, das sei einzigartig.
Was soll ich sagen? Die Märchenbühne ist tatsächlich toll. Und die Marczoks sehr sympathisch. Das 4G-Netzwerk funktioniert auch. Das war wohl ein Schuss in den Ofen. Aber der Streuselkuchen hat den Besuch gerettet. Weiter nach Halle!
Im Hambacher Forst kann ich leider nicht schlafen. Das Zelt hab ich zu Hause gelassen. Deswegen bin ich nach Hamm gefahren, ungefähr zwei Stunden Autofahrt nordöstlich. Der Weg führt vorbei an den Grossstädten Köln, Düsseldorf, Wuppertal, Essen, Gelsenkirchen, Bochum und Dortmund. Das am dichtesten besiedelte Gebiet in ganz Europa.
Auch in Hamm bin ich wegen der Kohle. Also der richtigen, schwarzen Kohle. Wie viele andere Städte im Ruhrpott ist auch Hamm auf Kohle gebaut. Also auf dem Geld, das vom Kohleabbau gekommen ist. Das sieht man bereits bei der Ankunft am Bahnhof.
Mit diesem alten Bergmannsgruss empfängt mich Rolf-Peter Gutsche in seinem Knappenverein in Hamm-Heessen. Gemeinsam mit seinem Stellvertreter Joachim Pente will er mich in die Welt der Kumpel einführen. Und mir ihre Sicht auf den Kohleausstieg darlegen.
Diesen haben Gutsche und Pente schon hinter sich. Die beiden waren über 25 Jahre lang unter Tage, vor 11 Jahren war dann Schluss, ihre Zeche wurde geschlossen. Sie mussten nicht mehr «malochen» gehen. Seither sind sie in Frühpension. Kümmern sich um den Verein, halten Vorträge an Schulen und Konferenzen, probieren, die Bergmannskultur am Leben zu erhalten. Werte wie Solidarität und Verlässlichkeit, ohne die man unter Tage nicht überlebte, weiter geben.
Was für eine Kultur das ist, das erfahre ich bereits in den ersten Minuten. So freundlich wurde ich selten irgendwo empfangen. Als wären wir früher zusammen durch die heissen, staubigen Schächte der Zechen gezogen. «Eine Kameradschaft wie unter den Kumpeln findet man sonst nirgends», erklärt mir Gutsche. Es erinnert mich ein bisschen an die Kameradschaft in der Rekrutenschule. Gemeinsam durch die Hölle gehen, das schweisst zusammen.
Im Innern des Knappenvereins, der 1907 für in Not geratene Bergleute gegründet wurde, riecht es nach verbrannter Kohle. Ein Schwedenofen heizt das Vereinshaus, der Raum ist voll mit Memorabilien aus vergangener Zeit. Hauerbriefe, alte Fotos und etwa ein Dutzend Variationen der heiligen Barbara, dem Schutzengel der Knappen.
Ich setze mich, es gibt Kaffee und Kekse, und aus Gutsche und Pente sprudelt es nur so hinaus. Ich erwarte stockkonservative Ansichten, doch dem ist nicht so. Beide sehen ein, dass es den Kohleausstieg braucht und dass der Klimawandel ein riesiges Problem ist. Nur beim Zeitpunkt für den Kohleausstieg ist man sich noch nicht ganz sicher. «Es braucht einen langsamen Ausstieg, sozialverträglich», sagt Gutsche. So wie es in Hamm auch passiert sei. Fast jeder Kumpel war in der Gewerkschaft, die nach der Schliessung respektable Pensionspläne erwirkte. So stürzte niemand ins «Bergfreie», wie die Kumpel die drohende Arbeitslosigkeit nennen.
Sowohl Gutsche als auch Pente haben dieses Jahr die SPD gewählt. Sie haben schon immer SPD gewählt. Das sind sie also: die Arbeiter, die Links wählen. Eine totgeglaubte Spezies, im Westen Deutschlands hat sie noch Bestand. «Die SPD hat die Bergleute schon immer unterstützt, der CDU waren wir immer egal», sagt Pente. Willy Brandt ist sowas wie ein Nationalheld hier.
Dass die beiden nicht viel mit den konservativen Parteien anfangen können, zeigt sich auch im Gespräch über Menschen mit Migrationshintergrund. «Unter Tage waren wir alle gleich. Die Kumpel kamen von überall her, das spielte keine Rolle.» Wichtig war nur, dass man füreinander da war.
Ich bin auf der Suche nach Kaffee. Und da, mitten in Hamm, steht ein Bus. Auf dem steht: Bus Café. Perfekt. Bevor ich mich setzen kann, kommt ein Mann auf mich zu, drückt mir einen Gutschein in die Hand und sagt: «Hier, für einen Gratis-Kaffee.»
Gott muss mich erhört haben. Und tatsächlich: Der nette Mann erzählt mir, dass er Pastor ist. Und er anderen Leuten helfen will, Jesus zu finden. Bei ihm im Bus Café. Den instinktiven Fluchtreflex unterdrücke ich gekonnt, denn der Herr ist sehr sympathisch. Wir quatschen ein bisschen, ich frage ihn, ob er schon gewählt hat.
«Ja, habe ich», sagt Armin Danz – so heisst er.
«Darf man fragen, welche Partei?»
«Die Grünen. Ich finde, es ist Zeit für einen Wandel. Und ich denke, den könnte man am besten mit den Grünen herbeiführen.»
Ein grüner Pastor, ich bin beeindruckt. Würde Jesus grün wählen?
«Das weiss ich nicht. Er würde bestimmt nicht die AfD wählen.»
Ich bin in Schuld, einem 660-Seelen-Dörfchen, umringt von der Ahr. Zwei Monate nach der Flutkatastrophe in der Region ist das Hochwasser zwar weg, viele Häuser aber auch. Es wird Jahre gehen, bis hier so etwas wie Normalität zurückkehrt.
Übernachten muss ich zwei Dörfchen weiter, in Dümpelfeld. Das Gasthaus hat erst letzten Freitag wieder geöffnet, auch hier im Dorf stand den Leuten das Wasser bis zur Brust. Mütter mussten mit ihren Kindern auf die Hausdächer fliehen, eine Rentnerin wurde mit ihren zwei Eseln weggespült, die Frau überlebte, die Esel nicht.
Die Flut hat ein kollektives Trauma ausgelöst. Welchem Gespräch man auch zuhört, es geht immer um die Flut. Um den Wiederaufbau. Um Schadenszahlungen. Wieder und wieder erzählt man sich, was in dieser Nacht passierte, dass die Sirenen nicht losgingen, wie alle von dem «Tsunami», wie man es hier nennt, überrascht wurden. Aber auch von der überwältigenden Solidarität in der Gesellschaft. Von Bauern, die Tag und Nacht mit ihren Traktoren die Müllberge von den Strassen beseitigten. Von Helferteams aus ganz Europa, die in die Region gepilgert sind, um mit anzupacken.
Ich arbeite in meinem kleinen Zimmerchen in Dümpelfeld. Im ganzen Haus hängen Schilder: «Bitte das Wasser nicht trinken!». Überall riecht es wie ein modriger, feuchter Keller. Nicht nur im Hotel, auch auf der Strasse. Nach der Dusche fühle ich mich nicht wirklich sauberer. Trinkwasser muss immer noch ins Gebiet geliefert werden.
Nicht sehr angenehm, momentan hier zu leben. Den Bewohnerinnen geht es bereits seit neun Wochen so. Ich hingegen mache mich auf den Weg in den Hambacher Forst, ein Wald, der vor drei Jahren die weltweite Aufmerksamkeit auf sich zog.
Weltweite Aufmerksamkeit deshalb, weil der Hambacher Forst weg sollte. Der 12'000 Jahre alte Wald steht direkt neben einem riesigen Braunkohletagebau der Firma RWE, die den Wald auch besitzt. Die Bäume sollten für den Abbau von Kohle weichen.
Dagegen formte sich Widerstand, bereits seit 2012 verschanzen sich Klimaaktivisten in den Baumkronen des Forstes und kämpfen gegen die Rodung an. 2018 dann der Räumungsversuch der Behörden. Es kam zu wüsten Szenen, ein Journalist starb, als er von einem Baum fiel. Mehr als 50'000 Menschen pilgerten in den Hambi, wie er hier genannt wird, um die Aktivisten zu unterstützen.
Die Aktivistinnen sind immer noch dort, ich treffe einen von ihnen heute. Er nennt sich Riesling, wie der Wein.
Montagmorgen vor dem Ratshaus Offenbach. Es passt gut zur Stadt, denn es ist hässlich – aber auch irgendwie interessant. Ich treffe mich heute mit dem Integrationsbeauftragten der Stadt, einigen Freiwilligenorganisationen und besuche einen «Urban Garden». Alles, um herauszufinden, wie und ob man es hier überhaupt auf die Reihe bringt, mit 160 Nationalitäten gemeinsam zu leben.
Als ich so durch Offenbach spaziere, fällt mir ein Gebäude auf. Darin, im untersten Stock, das Café Goethe. Oder das ehemalige Café Goethe. Mittlerweile werden hier Lebensmittel aus dem Orient verkauft. Deutsche Bäckereien gibt es hier kaum mehr. Dafür Kulinarik aus aller Welt.
Der Terminplan ist eng, nach nicht einmal einem Tag verlasse ich Offenbach in Richtung Schuld. Ein kleines Dörfchen, umringt von der Ahr. Vor zwei Monaten mutierte dieser 50 Zentimeter hohe Fluss zu einem acht Meter tiefen Monster, das alles in seiner Nähe verschlang.
Auf dem Weg dorthin brausen Autos mit 200 Stundenkilometer an mir vorbei. Auch ich trete hin und wieder aufs Gas. Macht schon Spass. Und wach. Aber dann gehts auf die Landstrasse, hinein in das Rheinland, an Weinhängen und Wäldern vorbei, die Strasse einspurig, der LKW vor mir langsam.
Kurz vor Schuld sehe ich eine Anhalterin. Eine ältere Frau, Ende 60, Edeltraud Brenner ihr Name. Sie hat kurzes, graues Haar und Wanderausrüstung am Leib. Ich nehme sie mit ins nächste Dorf.
Auf dem Weg erzähle ich ihr, dass ich Journalist bin und über die Gegend hier schreiben werde.
«Wirklich? Warst du schon bei ‹Haribo›?»
«Haribo?», frage ich.
«Ja, kennst du das nicht?»
«Nein.»
«Du bist Journalist und kennst Haribo nicht?»
Ich verneine beschämt und wende den Blick wieder der Strasse zu. Edeltraud klärt mich auf: Haribo, also eigentlich der Innovationspark Rheinland, «aber niemand sagt so etwas Doofes», ist das Zentrum der Helferorganisationen vor Ort. Hier laufe alles zusammen, gleich bei der Haribo-Fabrik. Edeltraud ist selbst Helferin, seit vier Wochen, hilft mal den Weinbauern, mal der Schule, wo es sie halt braucht.
Ich will sie etwas Politisches fragen. Doch sie kommt mir zuvor. «Das Tolle hier ist, dass Politik keine Rolle spielt. Die Grünen sind hier, aber auch konservative Leute, die die Nationalhymne singen morgens. Wir sind apolitisch hier. Es geht nur darum, zu helfen.»
Nach Pirzola, Döner und Falafel geht die kulinarische Reise weiter. Mit Frikadellen. Deutscher gehts nicht. Ausser vielleicht wenn im Pommesteller Bockwürste gelegen hätten.
Ort: Zürich Hardbrücke
Wetter: Nieselregen
Gefahrene Kilometer: 0/1500
Die Blicke im Bus sind gesenkt, als ich Sonntagfrüh in Richtung watson-Büro pendle. Die einen schweigen, weil sie zur Arbeit fahren, die anderen, weil sie ins Bett müssen. Stille, ein ungeschriebenes Gesetz im morgendlichen Wochenendbus.
Ob die Teenager auf den hinteren Plätzen gerade darüber nachdenken, dass Angela Merkel bald abtritt? Sich eine neue Ära in Deutschland anbahnt? Wohl kaum. Wieso auch.
Mich hingegen beschäftigt das seit Wochen. Und deswegen sitze ich 15 Minuten später nicht mehr im Bus, sondern in einem weissen Mercedes B200, fortan das watson-Mobil genannt, und fahre Richtung deutsche Grenze in Basel.
In den nächsten sieben Tagen fahre ich einmal quer durch Deutschland, um mir selbst ein Bild zu machen. Vom Land. Von den Leuten. In diesem Slow-Ticker könnt ihr mitfahren. Oder zumindest mitlesen. Ich werde laufend Updates posten, ihr dürft mir Fragen und Anregungen zusenden.
Erster Stopp: Offenbach am Main.
Über Basel geht es vorbei am Schwarzwald, direkt nach der Grenze begrüsst mich ein SMS der deutschen Bundesregierung. «Bitte beachten Sie die Test-/ Quarantäneregeln». Dass die Nachricht überhaupt angekommen ist, überrascht mich. Denn der gute Netzempfang ist gleich hinter der Grenze verschwunden. Deutschland – ein digitales Entwicklungsland. Auch diesem Thema werden wir uns noch widmen diese Woche.
Doch zuerst Mittagessen an der Raststätte Breisgau. Vor mir steht ein Türkisch sprechendes Ehepaar. Drei Cappuccinos bestellen sie. Ich nur einen Turkey-Bagel aus Vitalkorn. Fünf Euro neunzig kostet der. Er schmeckt auch so.
Die Verkäuferin fragt mich nach meinem Covid-Zertifikat, weil ich am Tisch essen möchte. Ich frage sie nach ihren politischen Präferenzen, weil nächste Woche Bundestagswahlen sind. «Welche Wahlen? Ich wähle nicht», sagt sie und nimmt bereits die nächste Bestellung auf.
Wieso Offenbach am Main? Ganz einfach: Die kleine Schwester Frankfurts ist eine Stadt der Superlative. Ihre Bewohner gehören zu den einkommensschwächsten in Deutschland. Jeder Achte lebt von Sozialhilfe. Offenbach ist zudem die Stadt in Deutschland mit dem höchsten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund, 159 Nationalitäten leben hier zusammen. 60,8 Prozent der Menschen haben einen Migrationshintergrund. Und doch: Offenbach gilt als Integrationswunder.
Zwischenstopp kurz vor den Toren Offenbachs. Auf dem Sportplatz in Offenthal spielt der Türkische SC Offenbach gegen die zweite Mannschaft von Susgo Offenthal. Das Spiel ist gut besucht. Freunde und Familie des SC Türk, wie er auch genannt wird, sitzen auf mitgebrachten Campingstühlen, rauchen Marlboro Gold und trinken Tee. Auf der Seite von Offenthal gibts hauptsächlich Weissbier.
Für viele Spieler ist Fussball ein Weg aus der Kriminalität, eine Stütze im oft harten Leben in Offenbach, erzählt mir Mehmet Cavusoglu, Geschäftsführer des Clubs. Von Strassenattitüde ist auf dem Fussballplatz nichts zu merken. Mit viel Respekt und Einsatz gewinnt der Türkische SC Offenbach das Spiel 6:3.
Gegen Abend erreiche ich die Stadt. Und habe Hunger. Auf dem Weg passiere ich etliche Wahlschilder, die Grünen, Linke, SPD und CDU kämpfen um die Wählergunst. Von der AfD keine Spur.
Spielhallen, Kioske und türkische Cafés reihen sich aneinander. «Bild fordert den Impf-Fuffi: 50 Euro Impf-Prämie für jeden!», steht auf einem Werbeschild vor einem Kiosk.
Ich setze mich bei Sultan Sofrasi an einen Tisch und bestelle Pirzola, ein türkisches Gericht, bestehend aus Lammkoteletts, Reis, selbst gebackenem Teigbrot und Salat. Dazu Ayran, ein Joghurt-Getränk mit Salz.
Das Lokal ist gut besucht, die meisten sprechen Türkisch. An den samtigen, grünen Wänden hängen orientalische Lampen, auf einem riesigen Flachbildfernseher laufen türkische Musikvideos. Während ich auf mein Essen warte, will ich wissen, was Betül, die Kellnerin, von der nächsten Woche erwartet. Ob sie aufgeregt ist.
Sie starrt mich verständnislos an. «Nächste Woche wird gewählt», sage ich. Betüls linke Augenbraue schnellt hoch.
«Was wird denn gewählt?», fragt sie.
«Es ist Bundestagswahl. Merkel geht. Nach 16 Jahren. Kannst du wählen?»
«Ja.»
«Gehst du wählen?»
«Nein.»