«Spiegel»-Journalist Claas Relotius wurde wegen zahlreichen Fälschungen überführt. Einige seiner Geschichten sollen frei erfunden sein. Zudem habe Relotius von einem privaten E-Mail-Konto aus Spendenaufrufe verschickt, um angeblich Waisenkindern in der Türkei zu helfen. Das Geld sollte auf sein privates Bankkonto überwiesen werden – was damit geschah, ist noch unklar.
Hintergrund der Spendenaktion war eine Reportage von Relotius über syrische Waisenkinder, die in der Türkei auf der Strasse lebten. Am Wahrheitsgehalts des Textes gibt es inzwischen erhebliche Zweifel.
Ein Fotograf, der Relotius zeitweise bei der Recherche begleitete, wies demnach auf mehrere Unstimmigkeiten hin. Eines der beiden Kinder – laut Relotius' Text handelte es sich um ein Geschwisterpaar – sei womöglich eine komplette Erfindung.
Wie der Tages-Anzeiger berichtet, hat Relotius wesentlich dazu beigetragen, dass sein Schwindel aufflog. So hat der deutsche Journalist den Verlegern des Reporter-Sammelbands «Wellen schlagen» angeboten, eine Fortsetzung zur Geschichte mit den Waisenkindern zu schreiben. «Das kam nicht von uns, er hat sich das selbst ausgesucht», bestätigt Verlegerin Margrit Sprecher.
Dabei hätte er sich sicher sein können, dass die Fortsetzung seiner Geschichte von den Kollegen vom «Spiegel» gelesen wird – und Nachforschungen angestellt werden könnten. Und trotzdem: Er schreibt von Spenden auf sein privates Konto und wie er es in monatelangem Bemühen geschafft habe, die beiden Waisenkinder zu einer Familie in Niedersachsen zu bringen, welche die Kinder adoptiert hätten – offenbar eine reine Erfindung.
Die Redaktion habe nichts von der Spendenaktion gewusst, erklärte der «Spiegel». Laut Tages-Anzeiger wurden am Tag nach dem Bekanntwerden des Schwindels seine Mailaccounts durchsucht und Beweise gesichert. Der «Spiegel» werde alle Informationen im Rahmen einer Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft übergeben.
Auch in Schweizer Zeitungen erschienen Artikel von Relotius. Die «NZZ am Sonntag» meldete, dass sie zwischen 2012 und 2014 sechs Artikel des Reporters veröffentlicht hatte. Sie versuche nun herauszufinden, ob und inwiefern der Autor sie und ihre Leserschaft in die Irre geführt habe, schrieb Chefredaktor Luzi Bernet in der aktuellen Ausgabe. In zwei Artikeln fand die Redaktion bereits fingierte Angaben.
Gemäss Recherchen der «Sonntagszeitung» veröffentlichte Relotius zwischen 2012 und 2016 auch in der «Weltwoche» insgesamt 27 Interviews und eine Reportage. Chefredaktor und SVP-Nationalrat Roger Köppel sagte demnach auf Facebook, die «Weltwoche» nehme den Fall ernst und sei daran, die Texte soweit möglich nachzuprüfen.
(vom) mit Material von (sda/afp) und Tages-Anzeiger.