Nach dem Debakel bei der deutschen Bundestagswahl 2017 hat eine umfangreiche Untersuchung den Sozialdemokraten verheerende Fehler und fehlenden Zusammenhalt bescheinigt.
«In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Sozialdemokratie zu einem Sanierungsfall geworden», heisst es in der am Montag dem Vorstand vorgelegten Analyse, die auf der Befragung von Ministern, Funktionären, Oberbürgermeistern, Wahlkämpfern und Beschäftigten der Parteizentrale basiert. Trotz Ausgaben von rund 25 Millionen Euro holte die SPD mit Kanzlerkandidat Martin Schulz nur 20.5 Prozent, ihr schlechtestes Bundestagswahlergebnis aller Zeiten.
Schulz gab die Analyse nach der Wahl in Auftrag, frühere Pleiten sind dagegen nie systematisch aufgearbeitet worden. Er war nach internem Widerstand im Februar als SPD-Chef zurückgetreten. Seine Nachfolgerin Andrea Nahles kündigte an, dass alles auf den Prüfstand komme.
Nach früheren «Sturzgeburten» will Nahles zudem, dass die Frage des Kanzlerkandidaten vor der Wahl 2021 frühzeitig entschieden wird. «Wir wollen die Spitzenkandidatur früher und geordneter klären.»
In Parteikreisen wurde zuletzt das Jahr 2019 für eine mögliche Klärung der Kandidatenfrage genannt, um einen Wahlkampf vernünftig vorzubereiten. Neben Nahles gilt bisher vor allem Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz als denkbare Kandidatenoption. Allerdings hat die Partei derzeit keinerlei Machtperspektive.
Fehlendes Teamplay, ein diffuser Kurs, schlechte Absprachen und eine nicht verfangende Gerechtigkeitskampagne – am Ende konnte die SPD selbst «Wahlberechtigte mit emotionaler Bindung zur Partei nicht ausreichend mobilisieren», heisst es in der 108-seitigen Analyse.
«Die lange offen gelassene Kandidatenfrage war ein Kardinalfehler», sagte der frühere Spiegel-Journalist Horand Knaup, der die Studie unter anderem mit dem Wahlkampfexperten Frank Stauss erstellt hat. Erst Anfang 2017 hatte der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel zugunsten von Martin Schulz verzichtet, dessen Stern aber schnell verglühte.
Wahlforscher kommen zu dem Schluss, dass die SPD eine «Volkspartei ohne Volk» sei, zudem wird eine ziellose Kampagne mit immer neuen Themen kritisiert. Ein «riesiges Kommunikationsloch» habe dazu geführt, dass Botschaften nicht ankamen.
Besonders unprofessionell sei der Umgang mit Regionalzeitungen gewesen. So wollte eine grosse ostdeutsche Zeitung ein kurzes Interview mit Schulz und sollte dafür Reporter nach Frankfurt/Main schicken, weil Schulz da vielleicht Zeit hätte. Zudem sei das Willy-Brandt-Haus nicht kampagnenfähig gewesen, nach dem Verzicht von Sigmar Gabriel übernahm Schulz quasi von heute auf morgen 2017 die Kandidatur, ohne strategische Vorbereitung und wahlkampferprobten Apparat.
Bis zum Sommer werden laut Nahles die Strukturen in der Parteizentrale von einem externen Dienstleister durchleuchtet. Nahles kündigte auch eine Klärung der unterschiedlichen Positionen an, zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik, wo Teile der Partei für offene Grenzen sind und andere eine Begrenzung fordern. «Es fehlte ein klarer Kurs», so Nahles.
Schulz wollte die SPD nach der Wahl zunächst in die Opposition führen, aber nach dem Scheitern der Gespräche über eine Jamaika-Koalition ging die SPD schweren Herzens erneut in eine grosse Koalition mit den Christdemokraten Angela Merkels. Schulz trat nach internem Widerstand gegen ihn zurück. (sda/dpa)