Bei Protesten tausender rechter und linker Demonstranten in der Chemnitzer Innenstadt sind am Montagabend mindestens sechs Menschen verletzt worden. Aus beiden Lagern wurden Feuerwerkskörper und Gegenstände geworfen.
Laut Polizei wurden am späten Abend zudem vier Teilnehmer der rechten Demonstration Pro Chemnitz bei der Abreise durch 15 bis 20 Angreifer verletzt. Teilnehmer berichteten von einer aggressiven Stimmung. Zur Schwere der Verletzungen wurden keine Angaben gemacht, doch zwei Personen mussten ins Spital gebracht werden.
Anlass des Protestes und einer Gegendemonstration waren gewalttätige Ausschreitungen am Wochenende am Rande des Stadtfestes in Chemnitz. Dieses war nach einem Tötungsdelikt abgebrochen worden: Ein 35 Jahre alter Deutscher war durch Messerstiche getötet worden, zwei weitere Menschen erlitten schwere Verletzungen. Gegen einen 23 alten Syrer und einen 22 Jahre alten Mann aus dem Irak wurde am Montag Haftbefehl wegen Totschlages erlassen.
Video aus Chemnitz. Rechtsextreme Hools und Nazis überrannten die völlig überforderte Polizei, zogen Richtung Innenstadt, wo es laut Beobachtern vor Ort zu Jagdszenen auf Migrant*innen kam. #c2608https://t.co/kP0Hqu3Jio pic.twitter.com/kBGd4rxlKk
— Chronik gegen Rechts (@Chronik_ge_Re) 26. August 2018
Die Bluttat wurde Auslöser für fremdenfeindliche Ausschreitungen in der Stadt bereits am Sonntag. Nach einer von der AfD organisierten Spontankundgebung mit rund 100 Teilnehmern zogen am Sonntagnachmittag dann rund 800 Menschen durch die Innenstadt. Dazu aufgerufen hatte eine rechtsextreme Hooligangruppe. Die Situation hatte sich hochgeschaukelt, auch befeuert durch Gerüchte in den sozialen Netzwerken.
Polizisten wurden mit Flaschen und Steinen beworfen. Videos im Internet zeigten, wie Migranten angegriffen und «regelrecht gejagt» wurden.
Nach einem Bericht des Mitteldeutschen Rundfunks MDR nahmen an der Demonstration der rechten Bürgerbewegung Pro Chemnitz am Montag etwa 5000 Menschen teil. Auch mehrere hundert linke Gegendemonstranten zogen durch die Stadt, wie ein AFP-Reporter berichtete.
Teilnehmer berichteten von einer aggressiven Stimmung. Wegen mehrerer Vermummungen hielt die Polizei den Zug der rechten Bürgerbewegung Pro Chemnitz an, wie sie weiter mitteilte. Einige Neonazis haben zudem den Hitlergruss gezeigt haben – zum Teil direkt vor den Beamten.
Schaut sie euch an, die armen und besorgten Bürger. :(
— Bruggy|Max Brückmann (@Bruggyy) 27. August 2018
Scheinbar ist der Hitlergruß in #Chemnitz wieder in Mode gekommen.
Die @PolizeiSachsen interessiert das allerdings herzlich wenig.
Drecks Faschistenpack. #c2708 pic.twitter.com/XTSoulLuhL
Seit dem frühen Abend hatte die Polizei versucht, ein Aufeinanderprallen von rechten und linken Gruppen zu verhindern. Die rechte Szene hatte am Karl-Marx-Monument eine Kundgebung mit einem Aufzug durch die Innenstadt beantragt. Am Monument wurde ein Transparent mit dem Spruch «Deitsch un' frei woll'n mer sei» des Dichters Anton Günther (1876-1937) angebracht.
Szenen aus #Chemnitz. Ohne Kommentar. #c2708 pic.twitter.com/MM3XcMQJEn
— ENDSTATION RECHTS. (@ER_MV) 27. August 2018
Gut eine Stunde vorher hatten zahlreiche Menschen gegen rechte Gewalt demonstriert, nur wenige Meter vom rechten Lager getrennt. Nach dieser Kundgebung im Stadtpark von Chemnitz drängten Hunderte Demonstranten in Richtung der Kundgebung der rechten Szene auf der gegenüberliegenden Strassenseite. Dort skandierten sie Parolen wie «Nationalismus raus aus den Köpfen» und «Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda».
Ein weiteres Video aus #Chemnitz. Die Nazis skandieren: "Raus aus unsrer Stadt" und "Frei, sozial und national".https://t.co/CxuVaurrRo pic.twitter.com/pJiCWz3AGO
— Chronik gegen Rechts (@Chronik_ge_Re) 27. August 2018
Nachdem sich die beiden Demonstrationen am Montagabend aufgelöst hatten, räumte ein Polizeisprecher Personalmangel in den eigenen Reihen ein. Man habe mit einigen Hundert Teilnehmern gerechnet und sich entsprechend vorbereitet, aber nicht mit einer solchen Teilnehmerzahl, sagte er auf Anfrage der Nachrichtenagentur DPA. «Der Einsatz verlief nicht störungsfrei.»
Dia Polizei hat die Lage meiner Einschätzung nach nicht mehr im Griff. #Chemnitz #c2708 pic.twitter.com/8gEthKM9Gu
— Felix Huesmann (@felixhuesmann) 27. August 2018
Nach Einschätzung der Polizei am Abend konnte eine Eskalation und ein Aufeinandertreffen der beiden Lager nur mit Mühe verhindert werden. Die Polizei hatte auch Wasserwerfer aufgefahren. Allerdings musste davon kein Gebrauch gemacht werden.
Zwischen rechter Demo und Gegendemo stehen erstaunlich wenig Polizisten, Stimmung bleibt weiter sehr aufgeheizt #c2708 #Chemnitz pic.twitter.com/T7o2Hwfw67
— Frank Schneider (@chefreporterNRW) 27. August 2018
Noch am Nachmittag hatte Polizeipräsidentin Sonja Penzel versichert, es seien ausreichend Kräfte angefordert worden. Es werde nicht zugelassen, dass Chaoten die Stadt vereinnahmen, sagte sie.
A stabbing led to far-right protests on Sunday in Chemnitz, where police struggled to control the violent crowds. Before further demonstrations from both right- and left-wing groups got underway tonight, the chief of police in Chemnitz Sonja Penzel made the following statement: pic.twitter.com/YnBglgGjar
— DW Politics (@dw_politics) 27. August 2018
Bereits im Vorfeld hatten deutsche Politiker die Eskalation scharf kritisiert. «In Deutschland ist kein Platz für Selbstjustiz, für Gruppen, die auf den Strassen Hass verbreiten wollen, für Intoleranz und für Extremismus», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montagnachmittag in Berlin.
Zu den Ereignissen in #Chemnitz: In Deutschland ist kein Platz für Selbstjustiz. pic.twitter.com/O39AZsU1zl
— Steffen Seibert (@RegSprecher) 27. August 2018
«Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Strassen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin, das hat bei uns in unseren Städten keinen Platz, und das kann ich für die Bundesregierung sagen, dass wir das auf das Schärfste verurteilen», betonte Seibert.
Auch die rechtspopulistische AfD hatte sich von der Gewalt distanziert. Ihre Spontandemonstration habe «nichts, aber auch gar nichts, mit den anschliessend stattgefundenen Jagdszenen in der Stadt zu tun» gehabt, erklärte der sächsische Parteichef Jörg Urban.
Ich bin erschrocken über die neo-nazistischen Ausschreitungen in #Chemnitz. Vorfälle wie diese sind auf das Schärfste zu verurteilen!
— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) 27. August 2018
Österreichs konservativer Bundeskanzler Sebastian Kurz, der mit der rechtspopulistischen FPÖ regiert, schrieb am Montagabend auf Twitter: «Ich bin erschrocken über die neo-nazistischen Ausschreitungen in Chemnitz. Vorfälle wie diese sind auf das Schärfste zu verurteilen!» (sda/dpa/afp)