Zwei Wochen nach den Wahlen im deutschen Bundesland Bayern sind die Wählerinnen und Wähler in Hessen zu einer Landtagswahl aufgerufen. Wieder reicht die Bedeutung der Regionalwahl weit über die Grenzen des Bundeslandes hinaus. Es geht auch um den Fortbestand der grossen Koalition in Berlin.
Schwarz mit Grün, das war in Deutschland lange Zeit schwer vorstellbar. Die konservativen, marktwirtschaftlich denkenden Christdemokraten auf der einen Seite und die linken Alt-68er der Ökopartei auf der anderen waren einst erbitterte politische Gegner.
Doch im wirtschaftsstarken Bundesland Hessen regieren CDU und Grüne jetzt einträchtig miteinander, das schwarz-grüne Bündnis hielt die volle fünfjährige Legislaturperiode.
Wenn am nächsten Sonntag ein neuer Landtag gewählt wird, dann können die beiden Partner laut Umfragen allerdings nicht im gleichen Masse von ihrer Regierungsarbeit profitieren. Während die Meinungsforscher den Grünen mit Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir an der Spitze satte Zugewinne verheissen, dürften die Christdemokraten von Ministerpräsident Volker Bouffier abstürzen.
Demnach könnten sich erstere von 11,1 Prozent auf bis zu 22 Prozent verbessern, letztere würden von 38,3 Prozent 2013 auf 26 bis 28 Prozent fallen.
Erklärbar ist das nur mit den Verhältnissen in Berlin. Dort regiert CDU-Chefin Angela Merkel in einer grossen Koalition mit den bayerischen Christsozialen (CSU) und den Sozialdemokraten (SPD). Schon bei der Bundestagswahl 2017 waren die drei Regierungsparteien – vor allem als Folge der Flüchtlingskrise 2015 – die grossen Verlierer.
Trotzdem kam es am Ende einer quälend langsamen Regierungsbildung mangels anderer Alternativen zu einer Neuauflage der «GroKo». Doch deren Zustimmungswerte sind nach einem Holperstart mit gleich zwei Regierungskrisen in nur sechs Monaten im Keller. Wie lange sie noch hält, könnte sich auch in Hessen entscheiden.
Schon bei der Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober wurden die Berliner Regierungsparteien abgestraft. Die CSU fiel um mehr als zehn Punkte und büsste ihre gewohnte absolute Mehrheit ein, die SPD stürzte von über 20 auf unter zehn Prozent ab.
In Hessen, wo sie bis 1999 jahrzehntelang selbst regierte, ist die SPD grösste Oppositionspartei. Die Chancen von Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel, im dritten Anlauf doch noch Ministerpräsident zu werden, sind sehr mässig. In den Umfragen liegen die Genossen bei 20 bis 23 Prozent – 2013 holten sie noch über 30 Prozent.
In Hessen leben nur 7,5 Prozent der deutschen Bevölkerung, doch das Wahlergebnis hat Sprengkraft für Berlin. Nach der Bayernwahl wurden in der SPD die Stimmen derer lauter, die die ungeliebte «GroKo» beenden wollen. Die einstige Hochburg Hessen ist für die Sozialdemokratie die letzte Hoffnung auf ein Erfolgserlebnis.
Sollte Schäfer-Gümbel wieder scheitern, könnte es in der Partei zur Explosion kommen. Sollte dagegen Bouffier die Staatskanzlei räumen müssen, könnte Merkels Wiederwahl als Parteichefin beim CDU-Parteitag im Dezember infrage stehen.
Vize-Regierungschef Al-Wazir ist laut Umfragen der beliebteste Politiker in Hessen, Landesvater Bouffier folgt an zweiter Stelle. Beide würden die Koalition eigentlich gern fortsetzen. Schwarz-Grün hat in Hessen auch deshalb gut funktioniert, weil jede Partei der anderen ihre Spielwiese liess.
Die CDU bekam im Bereich öffentliche Sicherheit mehr Geld für Polizisten, die Grünen wiederum können auf den Ausbau der Windenergie und die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs verweisen. Beim Thema Flüchtlinge gab es nie wirklich Streit, weil Bouffier trotz vorsichtiger Kritik immer auf der Linie Merkels war, die vom rechten CDU-Flügel und der CSU viel Prügel für die Öffnung der Grenzen für Syrienflüchtlinge 2015 bezog.
Die rechtspopulistische AfD, der das Flüchtlingsthema ab 2015 mächtig Aufwind gab, wird in Hessen laut Umfragen zweistellig in den Landtag einziehen. Sie wäre dann in allen 16 deutschen Landesparlamenten vertreten.
Dank starker Grüner könnte es am Ende für eine Fortsetzung von Schwarz-Grün reichen. Auch ein rot-rot-grünes Bündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei wäre denkbar.
Für Merkel wäre sowohl ein sehr schwaches SPD-Ergebnis, das die Koalition sprengt, gefährlich als auch ein sehr starkes Abschneiden der Sozialdemokraten, das Bouffier den Job kosten würde. «Merkel muss auf Mittelgut hoffen», kommentierte das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel».
Der liberal-konservative «Cicero» spricht von einem «Jogi-Löw-Syndrom» und zieht Parallelen zwischen der Kanzlerin und dem Trainer der Fussball-Nationalelf. «Man kann nach einer Niederlage wie der bei der WM und jener vor einem Jahr bei der Bundestagswahl schon einfach weitermachen, als sei nichts geschehen. Aber das wird nichts mehr. Weil es in Wahrheit vorbei ist», schrieb das Blatt. (sda/dpa)