Die National Rifle Association (NRA) hat schwierige Zeiten hinter sich. Langzeit-Geschäftsführer Wayne LaPierre lieferte sich im April einen Machtkampf mit Verbandspräsident Oliver North, bei dem dieser den Kürzeren zog. Cheflobbyist Chris Cox musste ebenfalls gehen. Ausserdem musste die NRA dem Kongress Unterlagen über mögliche Verbindungen mit Russland aushändigen.
Diese Querelen haben die NRA erschüttert, aber nicht wirklich geschwächt. Mit ihren fünf Millionen Mitgliedern bleibt sie eine der mächtigsten und meistgefürchteten Lobbyorganisationen der USA. Dafür sorgt nicht zuletzt ihre Finanzkraft. Nie zeigte sich dies so deutlich wie 2016, als die NRA rund 50 Millionen Dollar in die Präsidentschafts- und Senatswahlen investierte.
Der Löwenteil von 30,3 Millionen entfiel auf die Bestrebungen der Waffenlobby, Donald Trump zum Sieg über Hillary Clinton zu verhelfen. Dies hat das unabhängige Center for Responsive Politics in Washington errechnet, das sich mit dem Einfluss des Geldes auf die Politik befasst. Keine andere aussenstehende Gruppe habe auch nur annähernd so viel Geld in Trumps Wahlkampf gesteckt.
Mit diesem Erfolg aber begnügte sich die NRA nicht. Die restlichen 20 Millionen Dollar verwendete sie, um den Republikanern die Mehrheit im Senat und ihren Einfluss auf die kleine Kammer im Kongress zu sichern. Dabei konzentrierte sie sich auf sechs umkämpfte Sitze. Den mit Abstand höchsten Betrag erhielt der amtierende Senator Richard Burr aus North Carolina mit 6,3 Millionen.
Er siegte ebenso wie Marco Rubio (Florida), Roy Blunt (Missouri), Todd Young (Indiana) und Rob Portman (Ohio). Nur Joe Heck erlitt eine Niederlage in Nevada, wo die Demokraten dank der wachsenden Latino-Bevölkerung zunehmend die Oberhand gewinnen. Möglich sind solche enormen Geldsummen dank einem umstrittenen Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2010.
Die Direktspenden der NRA von insgesamt 870'000 Dollar im Jahr 2018 wirken im Vergleich mickrig. Sie gingen in den letzten Jahren praktisch nur an republikanische Politiker. Von den 235 Demokraten im Repräsentantenhaus erhielten gemäss der «New York Times» nur drei ein A-Rating der NRA für eine besonders waffenfreundliche Politik. 2008 waren es noch 67.
....this legislation with desperately needed immigration reform. We must have something good, if not GREAT, come out of these two tragic events!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) August 5, 2019
Die immer schärfere Polarisierung von Politik und Gesellschaft in den USA hat längst die Frage des Waffenbesitzes erfasst. Kein anderes Thema habe die Wählerschaft 2016 stärker entzweit, stellte die «New York Times» fest. So stimmten die Haushalte ohne Schusswaffen fast im ganzen Land mehrheitlich für Clinton, während jene mit Waffen praktisch flächendeckend Trump bevorzugten.
So viel Loyalität verpflichtet. Das zeigte sich auch anhand von Trumps Reaktion auf die jüngsten Massaker in El Paso und Dayton. Am Montagmorgen sprach er sich via Twitter dafür aus, die Hintergrundchecks für Waffenbesitzer zu verschärfen. In seiner Fernsehansprache ein paar Stunden später war davon keine Rede mehr. Wes Brot ich ess ...
Der Präsident bleibe «ein Gefangener der Waffenlobby und der NRA», klagten die führenden Demokraten im Kongress. Die NRA reagierte auf die jüngsten Massaker wie gewohnt: Die Antwort auf Waffengewalt seien nicht weniger, sondern mehr Schiesseisen. Und sie gab Videogames die Schuld, die auch in Europa beliebt sind, ohne dass ähnliche Gewaltakte geschehen.
Die Amerikaner besitzen rund 400 Millionen Schusswaffen. Mit ihnen werden mehr als 100 Menschen getötet – pro Tag! Zwei Drittel entfallen auf Suizide. Ein grosser Teil des restlichen Drittels geht auf das Konto der Bandenkriminalität in den Armenvierteln der Grossstädte. Für Schlagzeilen aber sorgen praktisch nur «Mass Shootings» mit mindestens vier Toten oder Verletzten.
Die Befürworter schärferer Waffengesetze versuchen, der NRA Paroli zu bieten. Sie können auf namhafte Geldgeber zählen, allen voran den früheren New Yorker Bürgermeister und Milliardär Michael Bloomberg. Noch ist die NRA gemäss der «New York Times» strukturell im Vorteil, aber in einzelnen, vorwiegend demokratisch regierten Bundesstaaten gab es erste Erfolge.
Wo die Republikaner regieren, wird das Recht tendenziell weiter gelockert. Aber erste Anzeichen für ein Umdenken sind vorhanden. Ausgerechnet Senator Marco Rubio, einer der grössten NRA-Profiteure von 2016, unterstützt so genannte Red-Flag-Gesetze, die es ermöglichen, auffälligen Personen per Gerichtsbeschluss zumindest zeitweise den Waffenbesitz zu verbieten.
Er habe sich wie viele an die häufigen Massenmorde gewöhnt, sagte Rubio in einem Interview. Bei der Konfirmation seines Neffen jedoch sei ihm plötzlich durch den Kopf gegangen: Was passiert, wenn jemand hereinkommt und zu schiessen beginnt? «Ich habe noch nie darüber nachgedacht. In dieser Absolutheit ist man beeindruckt und möchte, dass etwas geschieht.»
Im Februar beschloss die neue demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus erstmals seit 25 Jahren eine signifikante Verschärfung des Waffenrechts. Mitch McConnell, der als Chef der republikanischen Mehrheit die Traktandenliste im Senat festlegt, weigert sich jedoch, auch nur darüber zu diskutieren. Er hat mehr als 1,2 Millionen Dollar von der NRA erhalten.