Am 8. August veröffentlicht die niederländische Politikerin Willie Dille auf Facebook ein Video, das aufhorchen lässt. Die Gemeinderätin aus Den Haag behauptet darin, dass sie im März 2017 von einer «Gruppe Moslems entführt, vergewaltigt und misshandelt wurde».
Sie wolle, dass die «Welt endlich die Wahrheit erfährt», so Dille, die Mitglied der Rechtsaussenpartei PVV ist und zwischen 2010 und 2012 in der zweiten Kammer des niederländischen Parlaments sass.
Seit dieser Tat habe sie sich nie mehr sicher gefühlt, erzählt die vierfache Mutter und blickt sich immer wieder nervös um. Letzte Woche sei die Situation «schlimmer geworden», sagt Dille. Sie sei von zwei Marokkanern in einem Auto angehalten worden, welche gedroht hätten, ihr bald die Kehle durchzuschneiden und sie langsam verbluten zu lassen. Und gerade eben sei das wieder passiert.
Dille erhebt im rund zweiminütigen Clip schwere Vorwürfe an das Haager Ratsmitglied Arnoud van Doorns. Der Vorsitzende der Partei der Islamdemokraten habe die Vergewaltigung und die Bedrohungen in Auftrag gegeben.
Van Doorn war einst Mitarbeiter von Dille und ebenfalls PVV-Mitglied. Es kam jedoch zur Entlassung und van Doorn konvertierte zum Islam. «Er hasst mich», sagt Dille in ihrem Facebook-Post.
Trotz der Bedrohungen werde sie von allen Seiten in Stich gelassen, beschwert sich Dille im Video.
Van Doorn lässt aus dem Urlaub verlauten, er habe das Video von Dille zur Kenntnis genommen, werde darauf aber inhaltlich nicht reagieren. Allenfalls prüfe er eine Anzeige wegen übler Nachrede.
Dille ist für die Medien nach Veröffentlichung des Facebook-Videos nicht erreichbar. Eine Stellungnahme gibt es nur von der PVV-Fraktionsvorsitzenden Karen Gerbrands.
Dille sei keine verrückte und labile Frau, schreibt Gerbrands. Das Video sei entstanden nach einem Jahr des Elends und keinerlei Unterstützung durch die Polizei oder die Bürgermeisterin. Dille setze sich für das Freie Wort ein und werde weiter gegen den Islam kämpfen.
Sogar für ein PVV-Mitglied, dessen Parteichef Geert Wilders sich den Kampf gegen den Islam auf die Fahne geschrieben hat, fiel Dille in Vergangenheit mit ausserordentlich scharfen Worten auf. Vor gut zwei Jahren forderte sie, dass man den Islam mit einer Atombombe auslöschen sollte.
Am Tag darauf vermeldet Dilles Partei ihren Tod, die Politikerin nahm sich ihr Leben. «Was sie erleben musste und vor allem die Reaktionen darauf, konnte sie nicht mehr ertragen», schreibt die PVV.
Der Suizid der 53-Jährigen schockiert die niederländische Politik. Der niederländische Premierminister Mark Rutte drückt den Hinterbliebenen sein Beileid aus und wünscht Parteichef Geert Wilders Stärke.
Geschokt over het overlijden van Haagse PVV-raadslid Willie Dille. Mijn medeleven gaat uit naar de nabestaanden. Heb Geert Wilders en de PVV veel sterkte gewenst met dit zware verlies. Sta in nauw contact met burgemeester Pauline Krikke en J&V minister Ferdinand Grapperhaus.
— Mark Rutte (@MinPres) 9. August 2018
Wilders verbreitet auf Twitter eine Pressemitteilung, in der er Dille als warme Kollegin und als Menschen bezeichnet, die immer ein Auge für ihre Mitmenschen hatte. Mit grosser Niedergeschlagenheit habe man den Tod der ehemaligen Kollegin zur Kenntnis genommen.
— Geert Wilders (@geertwilderspvv) 9. August 2018
Die Bürgermeisterin Den Haags, Pauline Krikke, unterbricht ihren Urlaub. Sie schreibt: «Ich bin geschockt. Wir haben eine engagierte und passionierte Stadträtin verloren. Wir werden Willie Dille in jeder Debatte schmerzlich vermissen, ihren Humor und ihre passionierte Redeführung.»
Auch der im Video beschuldigte Arnoud van Doorn zeigt sich auf Twitter zunächst schockiert.
Zojuist verneem ik dat mijn ex-collega Willie Dille is overleden. Ondanks alle commotie ben ik hierdoor geschokt. Ik wens haar nabestaanden sterkte met het verlies. Trieste zaak.
— Arnoud van Doorn (@ArnoudvDoorn) 9. August 2018
Was steckt hinter den Anschuldigungen von Dille? Nach Beratungen kommen die Den Haager Polizei, die Justiz und die Bürgermeisterin zum Schluss, dass auch nach dem Tod der Politikerin vorerst keine weiteren Untersuchungen wegen der angeblichen Vergewaltigungen eingeleitet werden. Man habe zu wenig Anhaltspunkte, so die Begründung.
In einem gemeinsamen Statement heisst es, dass Frau Dille mehrmals das Gespräch mit der Polizei gesucht habe. Dabei habe sie stets gesagt, sie wolle keine weiteren Bemühungen der Polizei und auch eine Anzeige wolle sie nicht erstatten. Die Behörden schreiben: «Aus diesem Grund wollte sie keine weiteren Informationen liefern, auf deren Grundlage eine Untersuchung von Amts wegen hätte eingeleitet werden können.»
Sowohl die Polizei als auch die Bürgermeisterin hätten Dille mehrmals dazu aufgefordert, Anzeige zu erstatten, heisst es in der Stellungnahme, «doch aus Gründen die wir nicht kennen, hat sie das nicht getan».
Trotz der Erklärung der Behörden wollen nun einzelne Mitglieder des Haager Gemeinderats, dass die Polizei und die Bürgermeisterin der angeblichen Vergewaltigung nachgehen. Danielle Koster, von der Zentrumspartei CDA, sagt gegenüber Algemeen Dagblad: «Ich glaube nicht, dass jemand eine solche Geschichte erfindet.» Niemand habe den Suizid kommen sehen, hält Koster fest, «Dille machte in den letzten drei Monaten einen bärenstarken Eindruck».
Die Forderungen nach weiteren Untersuchungen rufen derweil Arnoud van Doorn wieder auf den Plan, der zunächst forderte mit der ganzen Diskussion in Ruhe gelassen zu werden.
Der Politiker der Islamdemokraten greift Ratskollegin Danielle Koster frontal an. Sie sei eine Feindin des Islams, die sich nun auf dem Rücken einer toten Kollegin politisch profilieren wolle, so van Doorn. «Tiefer kann man nicht sinken», twittert er aus dem Urlaub.
.@KosterDanielle is een vijand van de Islam en een gevaar voor de samenleving. Walgelijk om politiek te willen scoren over de rug van doden en collega raadsleden. Dieper kun je niet zinken. #bah
— Arnoud van Doorn (@ArnoudvDoorn) 10. August 2018
Der Tweet könnte Konsequenzen haben, wie Algemeen Dagblad heute schreibt: Bürgermeisterin Krikke will einen Bericht einreichen, damit die Staatsanwaltschaft und die Polizei Untersuchungen gegen van Doorn einleiten können.
Bereits Stunden vor der Attacke auf seine Ratskollegin irritiert van Doorn auf Twitter. Er postet ein Foto aus Marrakesch und schreibt dazu: «Die Niederlande, die Medien und die Hasspolitiker können mich mal.»
Nederland, de media en de haatpolitici kunnen even de pot op 👍😎 pic.twitter.com/tVDo6uClVR
— Arnoud van Doorn (@ArnoudvDoorn) 10. August 2018
Während in den niederländischen Medien der Fall breit diskutiert wird, findet er in den deutschen Medien kaum Beachtung. Dies wird auf Twitter und YouTube teilweise stark kritisiert.
Etwa auch vom AfD-Abgeordneten Harald Laatsch, der einen Artikel des «St.Galler Tagblatt» verbreitet und die Schweizer Medien als «Westfernsehen» bezeichnet.
International berichten Medien über den Tod von Willie Dille, einer Holländischen Politikerin aus der Partei von Gerd Wilders PVV.
— Harald Laatsch MdA (@haraldlaatsch) 11. August 2018
Hier aus der Schweiz, Ihr wisst schon, das neue Westfernsehen.https://t.co/3ayYRxBtc2
In AfD-Kreisen wird der Vergleich schon länger verwendet, da dort vermutet wird, dass die grossen Medienhäuser nur sehr verzerrt berichten.
Während bei den Hintergründen von Dilles Tod momentan noch vieles im Dunkeln liegt – und vielleicht das Thema auch deshalb von vielen Medien nur vorsichtig oder gar nicht behandelt wird – versuchen rechtsnationale Newsportale wie «Breitbart» damit bereits Stimmung gegen den Islam zu machen.
«Holländische Politikerin begeht Suizid nach angeblicher muslimischer Bandenvergewaltigung», heisst es dort im Titel.
Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Fall sucht man in besagtem Artikel indes vergebens. Dass Dille etwa der Polizei keine Angaben zur angeblichen Vergewaltigung machen wollte, dazu steht im Lauftext nichts. (cma)