«Gut», sagt sein Berater Klaus J. Stöhlker der «Nordwestschweiz». «Er sieht gut aus, ist vital und voller Tatendrang. Trotzdem: Sepp Blatter hat sich sein 40-Jahr-Jubiläum bei der FIFA natürlich anders vorgestellt.»
Auch wenn Wolfgang Niersbach, Präsident des deutschen Fussball Bundes, von einem «absoluten Super-GAU» spricht und wie viele andere Fussballfunktionäre den sofortigen Rücktritt Blatters fordert, wird der Walliser nicht vorzeitig abtreten. Stöhlker sagt: «Blatter wird für die letzten zwei Monate zurückkehren. Das garantiere ich Ihnen. Er wird jetzt Ferien nehmen und den schönen Herbst im Wallis geniessen.» Kandidieren wird Blatter bei der nächsten Wahl aber definitiv nicht mehr.
Die FIFA ist Blatters Leben. Er klammert sich an seinen Posten – so lange es geht. Und wahrscheinlich glaubt er sogar immer noch, dass er selbst kein Problem darstellt für den Weltfussballverband und die Korruptionsvorwürfe nur «Einzelfälle» sind.
Sofort. Und sie kann im Bedarfsfall um 45 Tage verlängert werden.
Ja, er kann. Blatter hat nach seiner provisorischen Suspendierung durch die FIFA-Ethikkommission zwei Tage Zeit für einen Einspruch. Den Einspruch muss der Walliser beim Präsidenten der Berufungskommission (Larry Mussenden aus Bermuda) einreichen. Wie am frühen Freitagmorgen bekannt wurde, hat er das auch getan. Blatters Anwälte Lorenz Erni und Richard Cullen teilten mit: «Präsident Blatter war enttäuscht, dass die Ethikkommission nicht dem Ethik- und Disziplinarcode gefolgt ist, welche die Möglichkeiten einer Anhörung beinhaltet.» Blatter sei zuversichtlich, «Beweise» präsentieren zu können, die «demonstrieren, dass er in keinerlei Fehlverhalten und Verbrechen involviert» sei.
Die Ethikkommission darf ihre Urteilsbegründung nicht kommunizieren. So sehen es die Statuten vor. Fakt ist aber: Die Schweizer Bundesanwaltschaft eröffnete am 24. September ein Strafverfahren gegen Blatter wegen zweier Hauptverdachtspunkte. Erstens: Blatter soll mit Jack Warner (Ex-Vize-Präsident der FIFA und Ex-Präsident der karibischen Fussballunion) am 12. September 2005 einen fragwürdigen TV- und Marketingvertrag abgeschlossen haben. Der Vertrag soll gegen die Interessen der FIFA gerichtet gewesen sein – im Klartext: Warner kam viel zu billig an die Rechte – und konnte sie teuer weiterverkaufen. Zweitens: Blatter soll Michel Platini (Vize-Präsident FIFA, UEFA-Präsident) im Februar 2011 zwei Millionen Franken bezahlt haben für angebliche Dienste zwischen Januar 1999 und Juni 2002.
Nein. Auch Blatters einstiger Ziehsohn und heutiger Gegenspieler Michel Platini wurde für 90 Tage suspendiert; er hat Rekurs eingelegt. Ebenfalls wurde der Generalsekretär Jérôme Valcke für 90 Tage gesperrt. Und der ehemalige Vize-Präsident Chung Mong-Joon aus Südkorea wurde sogar für sechs Jahre von allen Fussball-Aktivitäten ausgeschlossen.
Der milliardenschwere Spross des Hyundai-Konzerns hatte der FIFA 777 Millionen Dollar in Form von Entwicklungsfonds angeboten, sollte sein Heimatland den Zuschlag für die WM 2022 erhalten. Womit er gegen die Ethik-Richtlinien der FIFA verstossen hat.
Blatter muss sein Büro räumen. Und: Blatter darf sich nicht mehr in seiner Funktion als FIFA-Präsident öffentlich äussern.
Blatter erhält Stadionverbot für alle offiziellen Fussballspiele. Ein Testspiel darf er sich hingegen anschauen.
Laut FIFA-Statuten beerbt ihn sein Vizepräsident Issa Hayatou. Nur ist eher unwahrscheinlich, dass der Kameruner die operativen Geschäfte vom FIFA-Hauptsitz in Zürich aus führt. Denn der 69-jährige Hayatou ist gesundheitlich schwer angeschlagen und reist – wenn überhaupt – nur noch mit seinem Vertrauensarzt.
1990 ins FIFA-Exekutivkomitee gewählt, ist Hayatou der dienstälteste Vize von Blatter. Der Kameruner war immer wieder Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Zuletzt, als es um die Vergabe der Weltmeisterschaften von 2018 und 2022 ging. Die ARD hatte berichtet, dass Hayatou für seine Stimme für Katar eine Millionen-Zahlung erhalten haben soll. Doch bewiesen ist bis heute nicht. 2002 kandidierte Hayatou als FIFA-Präsident, unterlag Blatter, blieb aber trotzdem einer seiner wichtigsten Stimmenfänger in Afrika.
Der Präsident suspendiert, der interimistische Nachfolger schwer krank, der Generalsekretär freigestellt, der Mediendirektor weg – dem Weltfussballverband drohen die schwierigsten Tage in seiner 111-jährigen Geschichte. Stöhlker spricht zwar von einem sehr stabilen mittleren Kader bei der FIFA. Doch andere Kenner sprechen von einem Führungsvakuum. Von Blatters einstigem Kader sind nur Chefjurist Marco Villiger und der stellvertretende Generalsekretär Markus Kattner übrig. Wobei Kattners Unterschrift auf jenem Dokument über fragwürdige WM-Ticket-Deals aufgetaucht ist, welches Generalsekretär Valcke den Kopf gekostet hat. De facto ist die FIFA im Moment handlungsunfähig.
Ja. Selbst wenn die 90-Tage-Sperre gegen Blatter um 45 Tage verlängert wird. In diesem Fall könnte Blatter am 20. Februar 2016 wieder in den Fussball zurückkehren.
Das ist völlig offen. Die Meldefrist läuft am 26. Oktober ab. Kandidieren kann nur, wer in den letzten fünf Jahren während zweier Jahre eine Führungsfunktion im Fussball ausgefüllt hat. UEFA-Präsident Michel Platini galt bis vor einigen Wochen als Kronfavorit, ehe er selbst ins Visier der FIFA-Ethikkommission geriet. Trotzdem hat er gestern Morgen, unmittelbar bevor seine Sperre publik geworden ist, seine Bewerbung offiziell eingereicht. Neben Platini haben bisher der Südkoreaner Chung Mong-Joon sowie Prinz Ali bin al-Hussein aus Jordanien ihren Hut in den Ring geworfen. Fraglich ist, ob Platinis Bewerbung überhaupt rechtsgültig ist. Fakt ist hingegen, dass Chung Mong-Joon wegen seiner 6-Jahre-Sperre nicht kandidieren darf.
Nein. Zwar gibt er sich kämpferisch und will «vor nichts Halt machen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen». Doch seine Glaubwürdigkeit hat spätestens Schaden genommen, als publik wurde, dass er 2011 von der FIFA zwei Millionen Franken für Dienste kassierte, die er zwischen Januar 1999 und 2002 geleistet haben soll. Warum ist diese Zahlung so spät erfolgt? War die Zahlung ausschlaggebend, dass Platini immer auf eine Gegenkandidatur bei FIFA-Präsidentschaftswahlen verzichtet hat? Ausserdem war Platini eine treibende Kraft hinter der WM-Kandidatur von Katar, womit er sich schon früher angreifbar gemacht hat. Bitter für die Lichtgestalt des französischen Fussballs: Nach aktuellem Stand darf er am 12. Dezember bei der Auslosung für die EM 2016 in seiner Heimat nicht teilnehmen.
Spekuliert wird auch über eine Kandidatur von Angel Maria Villar. Der Spanier ist Vize-Präsident und ein erklärter Gegner von Reformen in der FIFA. Das erstaunt nicht, er scheint dem System Blatter bestens vertraut. Denkbar ist, dass die FIFA eine Übergangsführung einsetzt. An der Spitze muss ein Mann stehen, der keine eigene Agenda verfolgt (im Klartext: Nicht dafür schauen muss, dass er in vier Jahren genug Stimmen erhält, um wiedergewählt zu werden) und einen blitzsauberen Leumund hat. In diesen vier Übergangsjahren könnten sich potenzielle Kandidaten in Stellung bringen.
Der Südafrikaner Tokyo Sexwale steht unter anderem für die Globalisierung des Fussballs und für das Ende der Apartheid in Südafrika. Themen, die Blatter stets wichtig waren. Ausserdem gilt Sexwale als Blatter-Freund. Was dem Walliser die Option eröffnete, künftig ein Ehrenamt in der FIFA zu besetzen. Aber noch hat Sexwale seine Kandidatur nicht eingereicht. Der noch grössere Blatter-Coup wäre eine afrikanische Frau auf dem FIFA-Thron. Aber noch scheint die Zeit nicht reif für Isha Johansen, die Präsidentin des Fussballverbandes von Sierra Leone.
Der 62-Jährige war Aktivist der Anti-Apartheid-Politik und zusammen mit Nelson Mandela auf Robben Island inhaftiert. Bei der FIFA leitet der Unternehmer ein Komitee für die Fussballbeziehungen zwischen Israel und Palästina. Hier ist auch Blatters Ex-Berater Jérôme Champagne tätig, der auch als Präsidentschaftskandidat gilt.
Davon kann man ausgehen. Denn die Schadenersatzforderungen, welche Katar bei einer Neuvergabe stellen würde, könnten die FIFA existenziell bedrohen.