International
Gesellschaft & Politik

Libanesen wählen erstmals seit neun Jahren ein neues Parlament

epa06714745 A Lebanese woman casts her ballot for the Lebanese parliamentary elections at a polling station in the town of Moukhtara, at Chouf District in Mount Lebanon, 06 May 2018. Lebanon is holdin ...
Eine Libanesin gibt ihre Stimme ab.Bild: EPA/EPA

Libanesen wählen erstmals seit 9 Jahren ein neues Parlament

06.05.2018, 22:3207.05.2018, 05:57
Mehr «International»

Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen haben die Libanesen zum ersten Mal seit neun Jahren wieder ein neues Parlament gewählt. Nach politischen Krisen, in denen das Parlament seine Amtszeit mehrmals eigenständig verlängert hatte, hielt sich die Wahlbeteiligung am Sonntag jedoch in Grenzen.

Kurz vor Schliessung der Wahllokale waren nach Angaben des Innenministeriums 46,88 Prozent der rund 3,6 Millionen registrierten Wähler an die Urnen gegangen. Beobachter schätzten, dass die Wahlbeteiligung in einigen Hochburgen der schiitischen Hisbollah höher war als im Rest des Landes. Erste Ergebnisse wurden im Laufe des Montags erwartet.

«Jeder Libanese muss wählen gehen und seine nationale Pflicht erfüllen», sagte der amtierende Ministerpräsident Saad Hariri, nachdem er selbst seine Stimme in der Hauptstadt Beirut abgegeben hatte. Auch Präsident Michel Aoun rief die Menschen auf, sich noch an der Wahl zu beteiligen.

Zum ersten Mal wurde eine Wahl im gesamten Libanon an einem einzigen Tag durchgeführt. 583 Kandidaten, darunter 111 Frauen, stellten sich für die 128 Sitze des Parlaments zur Wahl. Im aktuellen Parlament sitzen lediglich vier gewählte weibliche Abgeordnete.

A Lebanese policeman helps an elderly man arrive at a polling station to vote during the Lebanon's parliamentary elections in a southern suburb of Beirut, Lebanon, Sunday, May 6, 2018. Lebanon&#0 ...
Ein Polizist hilft einem älteren Mann beim Gang zur Wahlurne.Bild: AP/AP

Auch Libanesen in der Schweiz wählen

Und zum ersten Mal durften sich auch im Ausland lebende Libanesen an der Wahl beteiligen. Von den 889 in der Schweiz für die Wahl registrierten libanesischen Staatsangehörigen taten dies 441, also knapp die Hälfte.

Im Libanon leben rund sechs Millionen Menschen, wahlberechtigt sind etwa 3,6 Millionen. Die Wahl wird von mehr als 100 Beobachtern der Europäischen Union überwacht. Erste Ergebnisse werden im Laufe des Montags erwartet.

Bis zu 30'000 libanesische Polizisten und Soldaten sollten die Sicherheit der Wahl garantieren, nachdem der Libanon in den vergangenen Jahren immer wieder Ziel von Anschlägen gewesen war. Bis zum Mittag verlief die Stimmabgabe Beobachtern zufolge weitgehend ohne Zwischenfälle.

epa06715540 Lebanese Prime minister Saad Hariri casts his ballot at a ballot station in Baabda, south east Beirut, Lebanon, 06 May 2018. There are 976 candidates, including 111 women, competing for 12 ...
Der libanesische Premierminister Saad Hariri gibt seine Stimme ab.Bild: EPA/EPA

Krieg in Syrien und schiitisch-sunnitische Rivalität

Die Parlamentswahl ist beeinflusst vom Krieg in Syrien und dem überregional bedeutsamen Machtkampf zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran. Die ebenfalls schiitische Hisbollah kämpft an der Seite des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad im Nachbarland. Der sunnitische Ministerpräsident Hariri gilt als enger Vertrauter Saudi-Arabiens.

Bei der Wahl kommt erstmals ein neues Wahlgesetz zur Anwendung – weg von der Majorz und hin zur Proporzwahl –, das kleineren Parteien grössere Chancen einräumen sollte. Beobachter gehen jedoch nicht davon aus, dass es zu grösseren Veränderungen kommen wird.

Das Korsett des Konfessionalismus

Die 128 Parlamentssitze gehen jeweils zur Hälfte an Muslime und Christen. Komplizierte Regelungen sollen die Balance zwischen den Religionen in dem multikonfessionellen Land halten. Bei der letzten Parlamentswahl 2009 hatte das prowestliche Lager von Hariri die Mehrheit der Stimmen geholt.

Die Abgeordneten bestimmen den Ministerpräsidenten und entscheiden über die zentralen politischen Fragen des Landes. Überfällig sind wirtschaftliche Entscheidungen in einem Land, das unter täglichen Stromausfällen, Wasserknappheit und einem seit drei Jahren ungelösten Müllproblem leidet.

Gemäss der seit dem Ende des Bürgerkrieges (1975 bis 1990) geltenden Verfassung werden die drei höchsten Staatsämter von einem Sunniten (Ministerpräsident), einem Schiiten (Parlamentspräsident) und einem christlichen Maroniten (Staatspräsident) besetzt, und auch die Parlamentssitze werden unter den verschiedenen Konfessionsgruppen aufgeteilt.

epa06715558 Lebanese women show their ink-stained fingers after casting their vote at a ballot station in Baabda, south east Beirut, Lebanon, 06 May 2018. There are 976 candidates, including 111 women ...
Libanesinnen zeigen nach der Stimmabgabe ihre farbigen Daumen.Bild: EPA/EPA

Dominanz der Hisbollah erwartet

Ganz unabhängig vom Ausgang der Wahl am Sonntag dürfte die schiitische Hisbollah auch künftig das politische Geschehen dominieren. «Das neue Parlament wird für die Hisbollah kein Störfaktor sein. Sie wird davon profitieren, dass ihr keine grosse Koalition gegenübersteht», sagt Imad Salamay, Politikwissenschaftler an der American University in Beirut.

Und auch der sunnitische Ministerpräsident Hariri dürfte seinen Posten behalten – selbst wenn seine Zukunftsbewegung mehrere Sitze verlieren sollte.

Vertreter der Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen hatten im Vorfeld Korruption und ausländische Einflussnahme auf die Wahl kritisiert.

Der Libanon hat rund 1,5 Millionen Flüchtlinge aus dem Nachbarland Syrien aufgenommen. Die soziale und wirtschaftliche Lage in dem Mittelmeerstaat ist dadurch stark beeinflusst. Bei einer internationalen Geberkonferenz waren für den Libanon jüngst rund elf Milliarden US-Dollar an Krediten und Spenden bereitgestellt worden. (sda/dpa/afp)

Die besten Bilder des «Wings for Life World Run» in Zug

1 / 11
Die besten Bilder des «Wings for Life World Run» in Zug
Nikolina Sustic aus Kroatien wird weltweit Zweite.
Auf Facebook teilenAuf X teilen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
0 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
So unterschiedlich pendeln Schweizer und Amerikaner zur Arbeit
Wie pendeln Menschen weltweit zur Arbeit? Eine neue Studie bringt erstaunlich grosse Unterschiede zwischen Kontinenten, Regionen und einzelnen Städten zutage. Während vielerorts ein bunter Mobilitätsmix vorherrscht, setzen Amerikanerinnen und Amerikaner fast ausschliesslich aufs Auto.

Andere Länder, andere Sitten: Was hierzulande als «normal» angesehen wird, gilt andernorts als komplett exotisch. Kulturelle Unterschiede zwischen einzelnen Ländern oder Regionen gibt es in fast allen Bereichen des Lebens – auch beim Arbeitsweg.

Zur Story