Es war kurz vor Mitternacht, zwei Polizisten befanden sich gerade zur Raucherpause vor der Polizeiwache von Champigny-sur-Marne, als der Mob angriff. Rund vierzig Jugendliche rannten mit Eisenstangen, Feuerwerkskörpern und Pétanque-Kugeln an.
Die beiden Flics konnten sich gerade noch in die Eingangsschleuse retten und die Gittertür im letzten Moment schliessen. «Sonst hätte es wohl Tote gegeben», meinte ein Polizeigewerkschafter später.
Weil die Angreifer keinen Polizisten packen konnten, schlugen sie mehrere Polizeiwagen schrottreif. Zugleich zündeten sie mächtige Feuerwerksgranaten, die in den Schluchten zwischen den Wohntürmen einen Heidenlärm verursachen und bis zu 150 Meter weit tragen. Die belagerten Polizisten verteidigten sich aus den Fenstern des ersten Stockwerks mit Tränengas, ohne damit viel zu erreichen.
Das Samstagabendkonzert dauerte, bis aus den Nachbargemeinden polizeiliche Verstärkung anrückte. Endlich verzogen sich die Vermummten in die umliegenden Wohntürme. Verhaftet wurde vorerst niemand.
Dafür zirkulierten sofort Videoszenen der Attacke im Internet. Sie sorgten noch am Montag landesweit für Empörung. Innenminister Gérald Darmanin erklärte, er lasse sich «von diesen kleinen Caïds nicht beeindrucken»; vielmehr prüfe er eine Verbot von Feuerwerkskörpern. Das wirkte so hilflos wie die Ankündigung des Elysée-Palastes, Präsident Emmanuel Macron werde am Donnerstag Polizeivertreter zu einer Aussprache empfangen.
Der Polizeigewerkschafter Grégory Joron erklärte bei einer kleinen Polizeidemo vor dem attackierten Kommissariat: «Ich höre die vollmundigen Erklärungen von Politikern, die solche Attacken als inakzeptabel bezeichnen. Bloss lassen sie den Worten nie wirklich Taten folgen.» Sein Kollege Eddy Deboste fügte an: «Der Hass auf die Flics nimmt ständig zu. Jetzt kommen sie auch, um zu töten.»
Damit bezog er sich nicht nur auf den Angriff in Champigny. Vor knapp einer Woche hatten drei mutmassliche Dealer in Herblay-sur-Seine, einem anderen Vorort von Paris, zwei Polizisten in ihrem Fahrzeug brutal angegriffen und sich ihrer Faustfeuerwaffen bemächtigt. Ein Polizist erhielt zwei Schüsse, sein Berufskollege ringt mit vier Schüssen im Leib mit dem Tod.
Laut der Zeitung «Le Parisien» werden in Frankreich derzeit jeden Tag 30 Polizisten Opfer von Attacken oder Aggressionen. Beliebt sind nächtliche Hinterhalte: Oft minderjährige, teils von Drogenhändlern angestachelte Banlieue-Kids zünden Autos oder Mülltonnen an – und decken die anrückende Feuerwehr und Polizei dann mit allen möglichen Wurfgeschossen ein.
In der französischen Alpenmetropole Grenoble filmten sich vermummte Dealer im August, wie sie mit Kalaschnikows durch eine «cité» (Wohnsiedlung) patrouillierten – vermutlich, um ihr Terrain gegenüber einer anderen Bande und der Polizei abzustecken.
Bei dem Sturm auf die Polizeiwache von Champigny scheinen nicht in erster Linie Dealer am Werk gewesen zu sein. Auslöser war möglicherweise eine Polizeikontrolle, bei der sich ein flüchtender Mofafahrer verletzte. Das zeigt, wie gespannt die Lage in diesen Wohnvierteln ist – und wie wenig es braucht, um sie ausbrechen zu lassen.
Die Coronakrise verschärft die soziale Misere in diesen Vierteln. Die Arbeitslosigkeit steigt, Drogenbanden offerieren ein geregeltes Auskommen: Vierzehn- oder Fünfzehnjährige gehen von der Schule, weil sie auf ihrem Wachposten am Eingang der «cité» 50 Euro am Tag verdienen.
Andere fallen den Salafisten in die Hände, die teils selber dealen. Die Grenzen sind fliessend, wie die Polizisten in Champigny selbst wissen: Ihr Kommissariat – das einzige für die 78'000 Einwohner der Gemeinde – befindet sich einem heruntergekommenen Wohnblock, in dem die Dealer ein- und ausgehen.
Diese unhaltbaren Zustände sind in Frankreich kein Geheimnis. Macron spricht seit langem von der «Rückeroberung der für die Republik verlorenen Territorien». In Champigny wurde die Zahl der Polizisten darauf um 25 auf 160 erhöht. Geändert hat dies nichts.
Die Polizeigewerkschafterin Linda Kebbab, die von algerischen Eltern abstammt, erklärte, die Banlieue-Jugend respektiere die Polizei umso weniger, als diese immer häufiger der Gewalt und des Rassismus bezichtigt werde. (bzbasel.ch)
Perspektivlosigkeit kann entweder in Depression oder Hass mutieren. Beides mit sehr unschönen Resultat.
Als 15 Jähriger 50 Euro am Tag zu verdienen sieht auf dem ersten Blick extrem cool aus, aber die 1'500 Euro/Monat sind dann mit 20 viel zu wenig. Das realisieren sie natürlich nicht. Und ob sie je die Hierarchie hochklettern weiss auch niemand. Also am Ende doch ein Leben in Armut und ohne Schulabschluss.
Frankreich hat viel verschlafen... und es könnte jetzt schon zu spät sein.
big brain time right here.
Die Politik in Frankreich hat es schlicht die letzten Jahrzente verpennt sich um diese Leute zu kümmern. Stattdessen hat man sie eben den kriminellen überlassen. Repression alleine bringt nichts (hat schon nichts gebracht als Sarko 2005 die gepanzerten Truppeb in die Banlieus geschickt hat), denn die Leute brauchen eine Perspektive.
Aktuell ist es so, dass abgewiesene Asylsuchende aus Algerien nicht ausgeschafft werden können, wenn sie sich dagegen wehren.
Algerien nimmt keine Asylbewerber, die gegen ihren Willen ausgeschafft werden sollen, wieder zurück.
Ein DOK auf SRF beleuchtete kürzlich das Problem. Und Perspektivenlosig-keit ist auch in der Schweiz ein Pulverfass.
Polizisten werden angepöbelt, die Leute, Läden und Restaurants beklaut.
Das passiert bei uns. Jetzt.