Die Stimmung ist gekippt.
Eine am Freitag publizierte Umfrage der «Irish Times» zeigt: 65 Prozent der Iren wollen den Zusatzartikel 8 aus der Verfassung kippen, dem eine klare Mehrheit der Bevölkerung 1983 zugestimmt hat. Dieser schreibt vor, dass das Leben eines Fötus gleich viel Wert ist wie das Leben seiner Mutter. Die Folge: Frauen in Irland dürfen nicht abtreiben.
Auch dann nicht, wenn sie vergewaltigt wurden und kein Kind von ihrem Peiniger wollen. Auch dann nicht, wenn ihr Leben akut gefährdet ist.
Im Oktober 2013 starb die schwangere indische Zahnärztin Savita Halappanavar im Universitätsspital der irischen Stadt Galway an einer Blutvergiftung. Die Ärzte hätten ihr Leben retten können. Doch sie weigerten sich, den nicht lebensfähigen Fötus aus ihrem Körper zu holen. Die Begründung: Zusatzartikel 8 in der Verfassung.
Der Fall sorgte in der irischen Öffentlichkeit zu einem Aufschrei und trug dazu bei, dass es jetzt vorwärts geht.
Der irische Premierminister Leo Varadkar hat für kommenden Montagabend sein Kabinett zu einer Sondersitzung geladen. Es wird erwartet, dass die Versammlung grünes Licht für eine Referendumsabstimmung geben wird. Dann könnte das Volk voraussichtlich im Mai oder Juni darüber abstimmen, ob das Verbot aus der Verfassung gekippt werden soll. Derzeit sieht alles danach aus, dass es dazu kommen wird. Vor allem dank den jüngeren Stimmbürgern.
Zuerst fehlt aber noch der Entwurf, wie die zukünftige Regelung aussehen würde. Der meistgenannte Vorschlag: Frauen dürfen bis und mit der 12. Schwangerschaftswoche bedingungslos abtreiben. Ein Vorschlag, den gemäss der neu erhobenen Umfrage 56 Prozent der Iren befürworten.
Trotz noch fehlendem Abstimmungsdatum; der Abstimmungskampf ist bereits entbrannt.
Ein lächelndes Kind, das am Down-Syndrom leidet, soll es für die Abtreibungsgegner richten. Sie haben es zu ihrem Gesicht der Kampagne gewählt, wie sie vor einigen Tagen bekannt gaben. Unter dem Flyer, der in den irischen Briefkästen landen wird, steht geschrieben: «90 Prozent aller Babys mit Down-Syndrom werden in Großbritannien abgetrieben.»
Es ist nicht das erste Mal, dass Menschen mit Down-Syndrom als Pro-Argument für das Abtreibungsverbot gebraucht werden. Doch auch die Gegenseite hat schon mit Kindern mit Down-Syndrom für ihr Anliegen geworben.
Die Organisation Down Syndrom Irland ist verärgert. «Dies ist sehr respektlos gegenüber Kindern und Erwachsenen mit Down-Syndrom und ihren Familien», lassen sie verlauten. Es verursache eine Menge Stress für die Eltern. «Menschen mit Down-Syndrom sollten nicht als Argument für beide Seiten dieser Debatte benutzt werden.»
Eine Mutter eines Kindes mit Down-Syndrom ist nicht einverstanden. «Es ist nicht falsch, ihre lächelnden Gesichter zu zeigen», sagt sie. «Es ist auch keine emotionale Erpressung, wie die Abtreibungsbefürworter sagen.»
Die Meinungsbildung ist im vollen Gang. Jeder Ire hat etwas zum Thema Abtreibung zu sagen.
Auch Fintan O’Toole, Redaktor der «Irish Times». «Es gibt kaum Beweise dafür, dass irische Frauen Babys mit Down-Syndrom in Massen abtreiben werden», schreibt er vergangene Woche. Und in einem früheren Artikel greift er die katholischen Organisationen Irlands an. Er bezeichnet ihre Ideologie als «sektiererisch, paranoid, apokalyptisch». «Das sind die Organe, die Irland in der demokratischen Welt einzigartig gemacht haben, indem sie in der Verfassung ein Abtreibungsverbot verankert haben.» Neben Irland gilt nur in wenigen europäischen Ländern ein striktes Abtreibungsverbot. Beispielsweise in Malta.
Aufgegangen ist der Plan der irischen Abtreibungsgegner dennoch nicht. Auch in den vergangenen 35 Jahren haben irische Frauen abgetrieben. Seit der Zusatzartikel 8 in Kraft getreten ist, sind 160'000 Irinnen nach Grossbritannien gereist. Dort wurde ihr Wunsch erfüllt. Sie durften abtreiben.