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Scholz und Macron beschwören deutsch-französische Freundschaft

«Zwei Seelen, eine Brust» – Scholz und Macron beschwören deutsch-französische Freundschaft

22.01.2023, 22:1422.01.2023, 23:02
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Nach erheblichen Spannungen in den letzten Monaten haben Deutschland und Frankreich am 60. Jahrestag des Elysée-Vertrags die Bedeutung ihrer Freundschaft für die Zukunft Europas beschworen. Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte am Sonntag bei einem Festakt in der Pariser Sorbonne-Universität, Deutschland und Frankreich seien für ihn wie «zwei Seelen in einer Brust». «Für einen Franzosen über Deutschland zu sprechen heisst, über einen Teil von sich selber zu sprechen», sagte er vor mehr als 30 Ministern beider Regierungen und rund 200 Parlamentariern.

«Deutsch-französischer Motor ist eine Kompromissmaschine»

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dankte den «französischen Brüdern und Schwestern» auf Französisch für ihre Freundschaft. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Ländern wertete er als Normalität bei einer so engen Zusammenarbeit. «Der deutsch-französische Motor ist eine Kompromissmaschine – gut geölt, aber zuweilen eben auch laut und gezeichnet von harter Arbeit», sagte Scholz. «Seinen Antrieb bezieht er nicht aus süssem Schmus und leerer Symbolik. Sondern aus unserem festen Willen, Kontroversen und Interessenunterschiede immer wieder in gleichgerichtetes Handeln umzuwandeln.»

epa10423150 France's President Emmanuel Macron (3-R) and German Chancellor Olaf Scholz (3-L) attend a working session as part of the celebration of the 60th anniversary of the signing of the Elys ...
Gespräche zwischen Delegationen beider Länder mit Olaf Scholz (links) und Emmanuel Macron (rechts).Bild: keystone

Verbunden mit dem Festakt war eine gemeinsame Kabinettssitzung, die aber nur wenige konkrete Ergebnisse brachte. Der Ukraine sagen sie darin «unerschütterliche Unterstützung» zu, ohne auf konkrete Waffensysteme wie Kampfpanzer einzugehen.

Anreise mit zwei Regierungsfliegern

Vor 60 Jahren wurde der Élysée-Vertrag zur Aussöhnung der beiden einstigen Erbfeinde und Kriegsgegner in Paris unterzeichnet. Er gilt bis heute als Grundlage für die deutsch-französische Zusammenarbeit. Zum Jubiläums-Festakt und den anschliessenden Beratungen beider Regierungen wurde Scholz von fast dem kompletten Kabinett nach Paris begleitet. Nur Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) fehlte krankheitsbedingt. In einem zweiten Flugzeug reisten mehr als 100 Mitglieder des Bundestags an, angeführt von Parlamentspräsidentin Bärbel Bas (SPD).

Im selben Saal, in dem der Festakt stattfand, entwarf Macron vor gut fünf Jahren seine Vision eines souveränen Europas, die für viel Aufsehen sorgte. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gab aber bis zum Ende ihrer Amtszeit keine Antwort auf diesen Vorstoss. Scholz reagierte im vergangenen Sommer mit einer europapolitischen Grundsatzrede in Prag, in der er auf die Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft für Europa aber nicht näher einging. Beides kam in Frankreich nicht gut an.

German Chancellor Angela Merkel and French President Emmanuel Macron stand on the town hall balcony on occasion of the Charlemagne Prize awarding in Aachen, Germany, Thursday, May 10, 2018. (AP Photo/ ...
Trotz einer guten Beziehung ist Angela Merkel bis zum Ende ihrer Amtszeit nicht auf Macrons Europa-Pläne eingegangen.Bild: AP/AP

In Paris bedankte sich Scholz jetzt ausdrücklich für Macrons Sorbonne-Rede. «Heute arbeiten wir Seite an Seite daran, Europas Souveränität zu stärken», betonte er. Die Kräfte müssten gerade dort gebündelt werden, wo die Nationalstaaten allein an Durchsetzungskraft eingebüsst hätten: «Bei der Sicherung unserer Werte in der Welt, beim Schutz unserer Demokratie gegen autoritäre Kräfte. Aber auch im Wettbewerb um moderne Technologien, bei der Sicherung von Rohstoffen, bei der Energieversorgung oder in der Raumfahrt», sagte Scholz.

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz am Abend mit Macron lobte Scholz die Zusammenarbeit in Energiefragen. Es sei vor einem Jahr nicht vorstellbar gewesen, dass ein Wegbrechen russischer Gaslieferungen ohne Wirtschaftskrise zu bewältigen sei. «Das ist uns aber gelungen, mit europäischer Solidarität.» Er verwies darauf, dass Frankreich Deutschland mit Gas aushilft und umgekehrt Deutschland Frankreich mit Strom.

Hoffnung auf Lösung im Konflikt um US-Investitionsprogramm

Macron begrüsste den Kanzler vor der Sorbonne herzlich mit einer Umarmung. Deutschland und Frankreich seien entschlossen, ihre Freundschaft «zu einem der Lebensbäume der europäischen Souveränität» zu machen, sagte er in seiner Rede. «Sie können sicher sein, dass wir beide dieses einst unmögliche Paar, das einfach das Ergebnis von Wille, Mut und Stärke ist, weiter voranbringen werden.»

60 Jahre Élysée-Vertrag – 60'000 Gratis-Bahntickets für junge Leute
Anlässlich des 60. Jubiläums des Élysée-Vertrags gibt es im Sommer 60'000 Gratis-Fahrkarten, mit denen junge Menschen aus Deutschland und Frankreich das Nachbarland erkunden können. Das ist auf dem deutsch-französischen Ministertreffen am Sonntag in Paris vereinbart worden, wie der Élyséepalast mitteilte. Das Sonderticket solle zum Bahnfahren in den beiden Ländern ermuntern und werde kostenlos zur Verfügung gestellt. Die genauen Modalitäten wurden noch nicht bekanntgemacht, wie etwa die Gültigkeitsdauer des Tickets und wie genau junge Leute es erhalten können. (sda/dpa)

Im Konflikt um das amerikanische Klimaschutz-Investitionsprogramm geht Scholz von einer Lösung in den nächsten Monaten aus. «Ich bin gegenwärtig jedenfalls sehr zuversichtlich, dass wir im Laufe des ersten Teils dieses Jahres da notwendige Verständigungen erzielen können.» Das US-Inflationsbekämpfungsgesetz sieht milliardenschwere Investitionen in den Klimaschutz vor. Subventionen und Steuergutschriften sind daran geknüpft, dass Unternehmen US-Produkte verwenden oder selbst in den USA produzieren. In Europa befürchtet man Nachteile für heimische Unternehmen. Sowohl Scholz als auch Macron betonten die Notwendigkeit einer Reform der EU-Regeln für staatliche Unternehmenshilfen.

Serie von Verstimmungen in den letzten Monaten

Seit dem Amtsantritt von Kanzler Scholz vor gut einem Jahr hatte es immer wieder Verstimmungen im deutsch-französischen Verhältnis gegeben. So missfiel Frankreich im vergangenen Herbst der deutsche Widerstand gegen einen europäischen Gaspreisdeckel und das 200-Milliarden-Programm der Bundesregierung zur Abfederung der hohen Energiekosten. Macron warf Deutschland damals vor, sich in Europa zu isolieren. Die eigentlich für Oktober geplanten Beratungen beider Regierungen mussten vertagt werden, weil man noch nicht in allen Punkten Einigkeit herstellen konnte.

Zuletzt lief die Abstimmung bei den Waffenlieferungen in die Ukraine nicht richtig rund. Anfang Januar preschte Macron bei der Entscheidung über Späh- und Schützenpanzer vor und verkündete sie einen Tag vor Scholz und US-Präsident Joe Biden.

Vereinbarungen zu Klima, Wirtschaft, Verkehr

In der Abschlusserklärung der gemeinsamen Kabinettssitzung geht es um eine breite Kooperation von Verteidigung über Verkehr bis Klimaschutz.

– Klima: Beide Länder wollen den klimafreundlichen Umbau ihrer Wirtschaft vorantreiben und den Ausbau erneuerbarer Energien – allerdings «unter Achtung des Prinzips der Technologieneutralität». Im Gegensatz zu Deutschland setzt Frankreich bei der Abkehr von fossilen Brennstoffen nämlich stark auf Atomstrom. Diese unterschiedliche Ausrichtung erkennen beide Seiten an.

epa08011785 General view of the Nuclear power plant of Cruas Meysse, in Cruas, France, 20 November 2019. 58 nuclear power plants are operated in France. EPA/GUILLAUME HORCAJUELO
Frankreich setzt nach wie vor klar auf Atomstrom.Bild: EPA

– Energie: Deutschland und Frankreich haben vereinbart, die zwischen Spanien und dem südfranzösischen Marseille geplante Wasserstoff-Pipeline nach Deutschland zu verlängern. Das Pipeline-Thema hatte vergangenes Jahr für Streit gesorgt. Spanien und Deutschland hatten darauf gedrängt, dass eine seit längerem konzipierte Gaspipeline von Spanien nach Frankreich gebaut wird, um Gas weiter nach Deutschland zu bringen. Frankreich lehnte dies ab und vereinbarte mit Spanien stattdessen den Bau der Wasserstoff-Pipeline.

– Verkehr: Grenzüberschreitender Verkehrsverbindungen sollen vorangebracht werden. Unterstützt werde der Ausbau der Hochgeschwindigkeits-Bahnverbindung zwischen Paris und Berlin - die Bahnen beider Länder wollen zunächst einmal täglich einen schnellen Zug pendeln lassen - sowie der bereits für 2024 angekündigte Nachtzug zwischen den Hauptstädten. (sda/dpa)

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