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Streit um serbische Autonummern: Kosovo droht ein neuer Gewaltausbruch

Mit serbischen Flaggen dekorierte Strasse in Nord Mitrovica.
Mit serbischen Flaggen dekorierte Strasse in Nord Mitrovica.Bild: Djordje Savic/EPA

Streit um serbische Autonummern alarmiert Nato: Kosovo droht ein neuer Gewaltausbruch

Alle Vermittlungsversuche zwischen Belgrad und Pristina sind gescheitert. Jetzt schalten sich die Amerikaner ein.
23.11.2022, 19:21
Remo Hess, Brüssel / ch media
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Im Norden des Kosovo stehen die Zeichen auf Sturm: Mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Krieges sind die Spannungen zwischen Kosovaren-Albanern und Serben wieder so gross, dass Beobachter einen neuen Ausbruch der Gewalt fürchten.

Die Nato, die mit einer 3700 Mann starken Schutztruppe präsent ist, der im Rahmen der KFOR-Mission auch Schweizer Soldaten angehören, ist alarmiert. Es gelte, eine neue Eskalation unter allen Umständen zu verhindern, warnt Generalsekretär Jens Stoltenberg. Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell spricht von der «gefährlichsten Krise» seit dem Ende des bewaffneten Konflikts.

Im Kern geht es um Souveränität

Um was geht es? Vordergründig liefert sich der Kosovo mit Serbien einen Streit um Autonummern. Die überwiegend serbische Bevölkerung rund um die Stadt Mitrovica im Nordkosovo benützt auch Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung noch immer serbische Kennzeichen. Das will die Regierung in Pristina nicht mehr akzeptieren und hat ein Gesetz erlassen, wonach auf dem Gebiet des Kosovo nur noch kosovarische Nummern gelten sollen.

Die Serben im Norden müssten ihre Autos also umrüsten, ansonsten drohen ihnen Strafen. Albin Kurti, der kosovarische Ministerpräsident, rechtfertigt dies mit einer gleichwertigen Handhabung in Serbien, wonach von Kosovo ausgegebene Nummernschilder dort ungültig sind. Im Grunde geht es also um die Souveränität des Kosovo und das Recht, auf dem eigenen Staatsgebiet die Verwaltungshoheit zu haben.

epa10321947 Serbian President Aleksandar Vucic and President of Azerbaijan Ilham Aliyev (not pictured) talk during their meeting in Belgrade, Serbia, 23 November 2022. President Aliyev is on an offici ...
Unterhält parallele Strukturen im serbisch dominierten Kosovo: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic.Bild: keystone

Verschiedentlich waren bereits Fristen verstrichen, um die neuen Regeln in Kraft zu setzen. Kurz vor Ablauf der letzten Deadline Anfang November drohten Vertreter der serbischen Minderheit damit, Strassenblockaden einzurichten. Auch Brandanschläge auf Autos mit kosovarischen Kennzeichen hat es schon gegeben.

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic verlegte Armeeeinheiten an die Grenze und auch die kosovarische Regierung liess Spezialpolizisten verstärkt im Nordkosovo patrouillieren. Anfang November entliess Pristina dann den Polizeichef des serbisch dominierten Nordens. Wenig später legten ethnische Serben im kosovarischen Staatsdienst ihre Funktion nieder. Hunderte Polizisten, Richter und Beamten blieben zu Hause. 135 Polizisten der EU-Mission Eulex mussten einspringen, um ein Mindestmass an Sicherheit zu garantieren.

Ist der EU-Aussenbeauftragte ein glaubwürdiger Vermittler?

Die EU ihrerseits bemüht sich seit Jahren um Vermittlung. Am Montag nun ist der letzte Versuch krachend gescheitert. Nach acht Stunden Nonstop-Verhandlungen in Brüssel zwischen Serbiens Präsident Vucic und Kosovo-Regierungschef Kurti musste EU-Chefdiplomat Josep Borrell entnervt aufgeben.

Für Kritik sorgte nachher, dass Borrell explizit Kurti für das Scheitern eines Kompromisses verantwortlich machte. «Es gibt eine Verantwortung für das Scheitern der Gespräche und für jede Eskalation und Gewalt, die in den folgenden Tagen vor Ort auftreten könnte», sagte Borrell und liess keinen Zweifel daran, dass er die Schuld bei Kurti sieht.

Der Spanier steht bei Kosovaren allerdings ohnehin sehr schlecht im Kurs. Er, dessen Land den Kosovo wie vier weitere EU-Länder nicht als unabhängiger Staat anerkennt, wird nicht als unparteiischer Vermittler gesehen. Kosovos Präsidentin Vjosa Osmani warf Borrell am Montag vor, ein «verzerrtes Bild der Realität» wiederzugeben und stets den «Aggressoren», also Serbien, zu bevorzugen.

Ministerpräsident Kurti betonte, offen für einen Kompromiss zu sein, aber nur, wenn das gesamte Bild mit einbezogen werde. Damit meint er die international breit abgestützte Initiative von Deutschland und Frankreich, die eine de facto Normalisierung der Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien zum Ziel hat. Kurti wirft Borrell vor, diesen Plan fallen gelassen zu haben.

In Abwesenheit einer Lösung und der sich zuspitzenden Situation intervenierten am Dienstag die USA und baten Kurti um eine Verschiebung der Frist um 48 Stunden, was dieser umgehend tat. Die USA gelten im Kosovo bis heute als Schutzmacht, da es Washington war, welches 2008 die Unabhängigkeit ermöglichte. Bis am Donnerstag also soll unter Einbezug Washingtons und der EU eine Lösung im Streit gesucht werden. Ob es gelingt, bleibt offen. (aargauerzeitung.ch)

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35 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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mMn
23.11.2022 20:17registriert September 2020
Das Problem ist, dass Albaner (wie wir ja bestens von den hier Lebenden wissen) ganz ganz sicher sind, dass sie etwas Besseres sind. Und wenn ich mir vorstelle, dass die nun neben Serben leben müssen, von denen wir ebenfalls wissen, dass ihre Meinung von sich selber kein My kleiner ist, dann kenne ich das Resultat: Zoff

Was es brächte von beiden Seiten, wäre Demut und die Erkenntnis der Realität, das wir alle Gleich "gut" sind und die Vielfalt unterschiedlicher Kulturen und Sprachen etc. geniessen, anstatt als Grund für Hass heranzuziehen.
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