Im Norden des Kosovo stehen die Zeichen auf Sturm: Mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Krieges sind die Spannungen zwischen Kosovaren-Albanern und Serben wieder so gross, dass Beobachter einen neuen Ausbruch der Gewalt fürchten.
Die Nato, die mit einer 3700 Mann starken Schutztruppe präsent ist, der im Rahmen der KFOR-Mission auch Schweizer Soldaten angehören, ist alarmiert. Es gelte, eine neue Eskalation unter allen Umständen zu verhindern, warnt Generalsekretär Jens Stoltenberg. Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell spricht von der «gefährlichsten Krise» seit dem Ende des bewaffneten Konflikts.
Um was geht es? Vordergründig liefert sich der Kosovo mit Serbien einen Streit um Autonummern. Die überwiegend serbische Bevölkerung rund um die Stadt Mitrovica im Nordkosovo benützt auch Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung noch immer serbische Kennzeichen. Das will die Regierung in Pristina nicht mehr akzeptieren und hat ein Gesetz erlassen, wonach auf dem Gebiet des Kosovo nur noch kosovarische Nummern gelten sollen.
Die Serben im Norden müssten ihre Autos also umrüsten, ansonsten drohen ihnen Strafen. Albin Kurti, der kosovarische Ministerpräsident, rechtfertigt dies mit einer gleichwertigen Handhabung in Serbien, wonach von Kosovo ausgegebene Nummernschilder dort ungültig sind. Im Grunde geht es also um die Souveränität des Kosovo und das Recht, auf dem eigenen Staatsgebiet die Verwaltungshoheit zu haben.
Verschiedentlich waren bereits Fristen verstrichen, um die neuen Regeln in Kraft zu setzen. Kurz vor Ablauf der letzten Deadline Anfang November drohten Vertreter der serbischen Minderheit damit, Strassenblockaden einzurichten. Auch Brandanschläge auf Autos mit kosovarischen Kennzeichen hat es schon gegeben.
Serbiens Präsident Aleksandar Vucic verlegte Armeeeinheiten an die Grenze und auch die kosovarische Regierung liess Spezialpolizisten verstärkt im Nordkosovo patrouillieren. Anfang November entliess Pristina dann den Polizeichef des serbisch dominierten Nordens. Wenig später legten ethnische Serben im kosovarischen Staatsdienst ihre Funktion nieder. Hunderte Polizisten, Richter und Beamten blieben zu Hause. 135 Polizisten der EU-Mission Eulex mussten einspringen, um ein Mindestmass an Sicherheit zu garantieren.
Die EU ihrerseits bemüht sich seit Jahren um Vermittlung. Am Montag nun ist der letzte Versuch krachend gescheitert. Nach acht Stunden Nonstop-Verhandlungen in Brüssel zwischen Serbiens Präsident Vucic und Kosovo-Regierungschef Kurti musste EU-Chefdiplomat Josep Borrell entnervt aufgeben.
Für Kritik sorgte nachher, dass Borrell explizit Kurti für das Scheitern eines Kompromisses verantwortlich machte. «Es gibt eine Verantwortung für das Scheitern der Gespräche und für jede Eskalation und Gewalt, die in den folgenden Tagen vor Ort auftreten könnte», sagte Borrell und liess keinen Zweifel daran, dass er die Schuld bei Kurti sieht.
Der Spanier steht bei Kosovaren allerdings ohnehin sehr schlecht im Kurs. Er, dessen Land den Kosovo wie vier weitere EU-Länder nicht als unabhängiger Staat anerkennt, wird nicht als unparteiischer Vermittler gesehen. Kosovos Präsidentin Vjosa Osmani warf Borrell am Montag vor, ein «verzerrtes Bild der Realität» wiederzugeben und stets den «Aggressoren», also Serbien, zu bevorzugen.
Ministerpräsident Kurti betonte, offen für einen Kompromiss zu sein, aber nur, wenn das gesamte Bild mit einbezogen werde. Damit meint er die international breit abgestützte Initiative von Deutschland und Frankreich, die eine de facto Normalisierung der Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien zum Ziel hat. Kurti wirft Borrell vor, diesen Plan fallen gelassen zu haben.
I thank Ambassador Hovenier for his commitment and engagement. I accept his request for a 48-hour postponement on imposition of fines for illegal ‘KM’ (and other) car plates. I am happy to work with the US and the EU to find a solution during the next two days. https://t.co/iXq1SCM8JL
— Albin Kurti (@albinkurti) November 21, 2022
In Abwesenheit einer Lösung und der sich zuspitzenden Situation intervenierten am Dienstag die USA und baten Kurti um eine Verschiebung der Frist um 48 Stunden, was dieser umgehend tat. Die USA gelten im Kosovo bis heute als Schutzmacht, da es Washington war, welches 2008 die Unabhängigkeit ermöglichte. Bis am Donnerstag also soll unter Einbezug Washingtons und der EU eine Lösung im Streit gesucht werden. Ob es gelingt, bleibt offen. (aargauerzeitung.ch)
Was es brächte von beiden Seiten, wäre Demut und die Erkenntnis der Realität, das wir alle Gleich "gut" sind und die Vielfalt unterschiedlicher Kulturen und Sprachen etc. geniessen, anstatt als Grund für Hass heranzuziehen.