Die britische Premierministerin Theresa May stellt am Donnerstag den Entwurf für das Brexit-Abkommen im Parlament in London vor. Das 585 Seiten starke Dokument war nach stundenlanger Debatte am Mittwochabend vom Kabinett gebilligt worden.
Jedoch muss sich die Regierungschefin auf heftigen Gegenwind einstellen und dürfte grösste Schwierigkeiten haben, für den Deal eine Mehrheit im Parlament zu finden, das den Vertrag später ratifizieren muss. Die Opposition kündigte an, gegen das Abkommen zu stimmen. Harsche Kritik kam auch von Brexit-Hardlinern in ihrer eigenen Partei und der nordirischen DUP. Mays Minderheitsregierung ist auf die Unterstützung der DUP-Abgeordneten angewiesen.
Den Entwurf anzunehmen, sei schwer gewesen, vor allem mit Blick auf die umstrittene Irland-Frage, sagte May. «Aber ich glaube, es ist eine Entscheidung, die zutiefst im nationalen Interesse ist.» Die Regierungschefin räumte mit Blick auf das Parlament in London ein: «Es liegen noch schwierige Tage vor uns.»
Einer der grössten Widersacher Mays, der einflussreiche Hinterbänkler Jacob Rees-Mogg, sprach in der BBC von einem «ziemlich miesen Abkommen». Er kündigte an, im Parlament gegen den Entwurf zu stimmen. DUP-Chefin Arlene Foster teilte mit: «Als Unionisten können wir kein Abkommen unterstützen, das das Vereinigte Königreich auseinanderbrechen lässt.» Das habe Folgen für die Abstimmung.
Trotzdem sind die Chancen auf einen geordneten Brexit mit der Billigung durch das Kabinett deutlich gestiegen. Damit ist aus Sicht der EU-Kommission ausreichender Fortschritt erreicht, sodass ein Brexit-Sondergipfel einberufen werden könnte – nach Angaben von Diplomaten voraussichtlich am 25. November. EU-Chefunterhändler Michel Barnier will sich am Donnerstagmorgen mit EU-Ratschef Donald Tusk treffen. Danach gibt Tusk eine Erklärung ab.
Irlands Regierungschef Leo Varadkar begrüsste die Entscheidung des britischen Kabinetts. May habe ihr Versprechen gehalten, den Friedensprozess und das Karfreitagsabkommen zu schützen.
In Grossbritannien ist vor allem die von den Unterhändlern vereinbarte Lösung für die Frage umstritten, wie künftig Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden sollen.
Die Europäische Union verlangte dafür eine Garantie und setzte sie im Entwurf auch durch. Barnier beschrieb den nun getroffenen Kompromiss so: Man werde alles daran setzen, in der im Vertrag vorgesehenen Übergangsphase eine dauerhafte Lösung auszuhandeln. Im Juli 2020 könne man entscheiden, die Übergangsphase zu verlängern.
Der sogenannte Backstop stösst auf heftigen Widerstand bei den Brexit-Hardlinern in Mays Konservativer Partei und in der DUP. Die nordirische Partei sträubt sich gegen jegliche Sonderbehandlung Nordirlands. Zudem fordern die Brexit-Hardliner in Mays Partei, dass der Backstop nur für eine begrenzte Zeit gelten dürfe.
Nur wenn nach dieser Frist keine Lösung gefunden ist, tritt eine Notfallklausel in Kraft. Demnach würde Grossbritannien zunächst als Ganzes in der Europäischen Zollunion bleiben. Für Nordirland würden einige weitergehende Bestimmungen gelten.
Kommt der Vertrag zustande, wäre ein geordneter Austritt am 29. März 2019 gesichert sowie eine Übergangsphase bis mindestens Ende 2020, in der sich fast nichts ändert. Ob dies gelingt, dürfte sich aber erst nach einer Zitterpartie in den nächsten Wochen herausstellen.
EU-Chefunterhändler Barnier sprach am Mittwochabend in Brüssel von einer «entscheidenden Etappe», die nun erreicht sei. «Wir sind an einem wichtigen Punkt dieser aussergewöhnlichen Verhandlungen angekommen», sagte Barnier. Es bleibe aber noch viel, viel Arbeit.
Von EU-Seite dürfte es nach Darstellung von Diplomaten nicht allzu grosse Schwierigkeiten geben. Die Botschafter der 27 bleibenden EU-Länder wurden am Mittwoch ausführlich informiert. Es seien keine entscheidenden Bedenken geäussert worden, hiess es anschliessend.
Eine Vorentscheidung treffen die Staats- und Regierungschefs bei dem geplanten Sondergipfel. Letztlich muss auch das Europaparlament den Vertrag ratifizieren. Mehrere Europaabgeordnete begrüssten die Einigung, kündigten aber eine genaue Prüfung an.
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker schrieb in einem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk, die Brexit-Verhandlungen seien fast am Ziel. Die EU-Kommission empfehle den EU-Staaten, auf Grundlage des entscheidenden Fortschritts die Verhandlungen abzuschliessen. (sda/dpa/vom)